Hamburg. Der Hamburger Torben Johannesen über die Qualen im Deutschland-Achter, der in Bulgarien seinen Weltmeistertitel verteidigen will.

Im Fußballverein gab es eine Warteliste, deshalb entschied Torben Johannesen als Elfjähriger, beim Rudern zu bleiben. Das war ein Glücksgriff. Heute (10.30 Uhr) startet der 23-Jährige vom RC Favorite Hammonia mit dem Deutschland-Achter im Vorlauf der WM in Plowdiw (Bulgarien), am Sonntag will das deutsche Paradeboot den WM-Titel vom vergangenen Jahr erfolgreich verteidigen. Im Interview erklärt der Lehramtsstudent (Deutsch und Physik), warum er sich gern quält.

Hamburger Abendblatt: Herr Johannesen, jahrelang haben Sie Ihrem sieben Jahre älteren Bruder Eric dabei zugesehen, wie er sich fürs Rudern gequält hat. Warum in aller Welt haben Sie sich trotzdem denselben Sport ausgesucht?

Torben Johannesen: Als Kind sieht man eher die Erfolge, die der große Bruder hat, man ist bei den Regatten dabei, erlebt die tolle Stimmung unter den Sportlern. Das wollte ich auch alles erleben. Dass die Quälerei dazugehört, um Erfolge zu erreichen, habe ich erst realisiert, als mich das Rudern schon gepackt hatte.

Es heißt, dass Ruderer im Leistungssport mit am härtesten trainieren. Macht es Ihnen Spaß, sich zu quälen?

Johannesen: Wenn es keinen Spaß machte, würde doch niemand rudern. Natürlich gibt es Momente, in denen ich mich quälen muss, im Winter zum Beispiel, wenn es kalt ist und es regnet und wir trotzdem frühmorgens aufs Wasser müssen. Wir trainieren 25 bis 30 Stunden pro Woche, der Aufwand ist enorm, aber Spaß ist noch immer der Hauptgrund dafür, dass ich das alles tue. Dieses Glücksgefühl, wenn eine harte Trainingseinheit oder ein Rennen geschafft ist – wenn ich das nicht mehr hätte, würde ich aufhören.

Was fasziniert Sie am Rudern?

Johannesen: Dass es Einzel- und Teamsport zugleich ist. In der Vorbereitung muss jeder individuell seine Topleistung bringen und kann niemandem die Schuld geben, wenn es nicht läuft. Im Team muss man sich einordnen und alles so aufeinander abstimmen, dass die Balance optimal ist. Das beste Team ist das, in dem jeder Einzelne 100 Prozent seiner Leistung abruft und das zu 100 Prozent Teamleistung führt. Wenn der Einzelne zu viel oder zu wenig tut, kann das sofort die Teamleistung schmälern. Diese Balance zu finden ist die hohe Kunst, und das fasziniert mich besonders.

Seit 2017 sind Sie fester Bestandteil des Deutschland-Achters. Was bedeutet es Ihnen, in diesem Paradeboot sitzen zu dürfen?

Johannesen: Es ist eine große Ehre, und es macht mich stolz. Gleichzeitig ist es auch Verpflichtung, immer sein Bestes zu geben.

Seit der Silbermedaille bei Olympia 2016 ist der Achter unbesiegt. Wird Gewinnen da irgendwann zur Gewohnheit?

Johannesen: Nein,mich treibt jeder Sieg an. Ich freue mich über jedes gewonnene Rennen.

Auch bei dieser WM sind Sie Favorit. Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um?

Johannesen: Daran gewöhnt man sich nicht, und einige gehen daran auch kaputt. Wir wissen, dass wir uns auf unseren Erfolgen niemals ausruhen dürfen, weil andere Nationen wie die USA, Australien, die Niederlande, Rumänien oder Großbritannien nah dran sind und hart arbeiten, um uns zu schlagen. Wir bauen uns den Druck auch selbst auf, weil wir alle immer gewinnen wollen.

Woher kommt diese Einstellung bei Ihnen? Erziehung? Das Vorbild des Bruders?

Johannesen: Eric spielt eine große Rolle. Er hat mir immer vorgemacht, was man mit harter Arbeit und Zielstrebigkeit alles erreichen kann, und dem wollte ich nacheifern. Unsere Eltern haben stets unterstützt, dass wir ehrgeizig waren, auch wenn es für meine Mutter nicht schön war, dass es bei jedem Brettspiel nur ums Gewinnen ging. Aber mein Vater ist auch so.

Das heißt, Ehrgeiz beschränkt sich bei Ihnen nicht auf den Leistungssport?

Johannesen: Nein, ich war auch in der Schule so, und bin es jetzt in der Uni auch. Meine Grundschullehrerin sagte einmal, dass mein Ehrgeiz schlecht sei und ich dadurch nicht teamfähig wäre. Da lag sie wohl nicht ganz richtig.

Tatsächlich kann Ehrgeiz krankhaft werden und schaden. Glauben Sie, dass Sie gefährdet sind, sich zu übernehmen?

Johannesen: Ich zweifle manchmal, ob es zu viel ist, was ich mir zumute. Ich habe aber gelernt, auch mal loszulassen. Wenn ich mit Freunden Sport mache, kann ich es ganz ruhig angehen lassen. Und ich trainiere nicht mehr, wenn ich krank bin. Außerdem arbeite ich seit diesem Jahr mit einem Mentaltrainer, weil ich gemerkt habe, dass in dem Bereich noch viel zu optimieren ist. Die Balance aus physischer Anspannung und psychischer Entspannung ist im Rennen das Optimum. Aber das kann man nicht sofort können, das muss man lernen.

Wie fühlt sich der Moment im Rennen an, in dem aus körperlicher Auslastung pure Qual wird?

Johannesen: Der kommt meist bei der Hälfte der Strecke, bei der 1000-Meter-Marke. Jeder einzelne Muskel brennt, der Körper schreit, dass er nicht mehr kann, und trotzdem muss man weitermachen und die Extrakraft mobilisieren, die es braucht, um zu gewinnen. Wir beschreiben diese Phase gern als Tunnel, weil einem schwarz vor Augen wird, man nur noch auf den Vordermann guckt und nichts anderes mehr wahrnimmt.

Ist diese Willenskraft angeboren?

Johannesen: Manche haben sie, ich musste sie erlernen. Das ist ein Prozess, der Jahre dauert. Vieles geht über Erfahrung in Rennen. Aber der Trainer kann Reize setzen, indem er beim Ergometertraining Zeiten vorgibt, die man noch nie geschafft hat, und einen dann mental unter Druck setzt. Und man braucht einen Steuermann, der das Team motiviert, es heiß macht. Unser Martin Sauer hat das drauf. Wenn er die richtigen Worte findet, haben alle Gänsehaut und wollen nichts anderes als sich quälen.

Wie fühlt es sich an, wenn die Ziellinie erreicht und die Qual endlich vorbei ist?

Johannesen: Im ersten Moment erleichtert, aber dann kommt der Schmerz. Hände und Unterarme sind taub, die Füße tun weh, jeder Muskel schmerzt. Das kann sich niemand vorstellen, der es nicht erlebt hat.

Ihr Traum ist es, 2020 bei Olympia in Tokio mit Ihrem Bruder im Achter zu siegen. Bei der WM ist Eric nur als Ersatzmann dabei. Wie realistisch ist es, dass er es in zwei Jahren noch mal ins Aufgebot schafft?

Johannesen: Sehr realistisch, er ist ein Topsportler. Das Ziel, in Tokio gemeinsam Gold zu holen, ist ein wichtiger Grund, warum wir den Sport machen. Das treibt die ganze Familie an. Wenn wir das schafften, wären alle unglaublich glücklich.