Hamburg. Der 17 Jahre alte Berliner gilt als größte Nachwuchshoffnung im deutschen Tennis. Am Rothenbaum kann er sich beweisen.

In einer Tenniswelt, in der man sich daran gewöhnt hat, zwischen den Zeilen zu lesen, um den wahren Gehalt einer Aussage herauszufiltern, ist es erfrischend, einen Mann wie Rudolf Mollekerzu erleben. „Ich will mich nicht daran festhalten, sondern weitermachen. Ich habe größere Ziele“, sagte der 17 Jahre alte Berliner, nachdem er am Montagabend bei den German Open am Hamburger Rothenbaum den Spanier David Ferrer mit 7:5, 5:7, 6:3 ausgeschaltet hatte. Den Mann, von dem Molleker zuvor gesagt hatte, es sei für ihn etwas Besonderes, später einmal erzählen zu können, gegen einen der besten Spieler der Welt auf dem Centre-Court gespielt zu haben.

Nun also kann Rudi, wie der Weltranglisten-272. in der Szene genannt wird, später vielleicht erzählen, dass der Sieg gegen Ferrer der Startpunkt für eine Weltkarriere gewesen ist. Nichts weniger als eine solche traut sich der Blondschopf, der mit seiner Familie vor 14 Jahren als Spätaussiedler aus der Ukraine nach Deutschland kam, zumindest zu. „Rudi“ genannt zu werden, das ist in Erinnerung an das deutsche Fußballidol Völler sicherlich nicht die schlechteste Voraussetzung, um in Deutschland Publikumsliebling zu werden. Dass er zusätzlich genügend eigene Fähig- und Fertigkeiten mitbringt, um die Fans zu begeistern, das wies Molleker gegen Ferrer nach.

Solides Grundlinienspiel

Auch wenn der auf Weltranglistenposition 62 abgerutschte 36-Jährige seine besten Zeiten hinter sich hat, was Ferrers fehlerbehaftetes Spiel unterstrich, diktierte Youngster Molleker das Tempo und ließ sich von seinem Matchplan, auf der Basis seines sehr soliden Grundlinienspiels immer wieder Angriffsschläge zu platzieren, zu keiner Phase abbringen. Es ist besonders diese Coolness, die den zum Talentteam des Deutschen Tennis-Bunds (DTB) zählenden Oranienburger, der für Rot-Weiß Berlin in der Zweiten Bundesliga spielt, abhebt von anderen aufstrebenden Athleten.

Als er nach dem Sieg über Ferrer gefragt wurde, ob ihm die Geschichte eines 17-Jährigen geläufig sei, der 2014 am Rothenbaum das Halbfinale erreicht hatte, sagte er: „Natürlich weiß ich, dass Alexander Zverev hier vor vier Jahren im Halbfinale gegen David Ferrer verloren hat.“ So viel Schlagfertigkeit auch außerhalb des Courts haben nicht viele Teenager, wenn sie gerade den größten Erfolg ihrer Karriere geschafft haben.

Thiem: „Er ist ein richtig guter Spieler“

Michael Kohlmann hat den Werdegang Mollekers seit Jahren verfolgt. Der Daviscup-Teamchef aus Hagen ist keiner, der zu übertriebener Euphorie neigt. Dennoch sagt er: „Rudi hat sich in den vergangenen 18 Monaten vom Jungen zum Mann entwickelt, er ist vor allem menschlich gereift, hat sich aber auch körperlich und beim Aufschlag signifikant verbessert.“ Dass ein 17-Jähriger auf Sand Grundlinienduelle mit einem Altmeister wie Ferrer beherrsche, sei keinesfalls alltäglich. „Dennoch ist er sehr respektvoll mit dem Sieg umgegangen. Ich bin überzeugt, dass er auf einem sehr guten Weg ist“, sagt der 44-Jährige. Dominic Thiem, am Rothenbaum an Position eins gesetzt, bescheinigt Molleker „das Zeug dazu, es so weit zu bringen wie Alexander Zverev. Er ist ein richtig guter Spieler“, sagt der Österreicher.

Ein gewisser Hang zur Arroganz ist Molleker nicht abzusprechen. Dass er das Publikum mit derselben lässigen Handbewegung zu Szenenapplaus animierte wie sein Vorbild Zverev (aktueller Weltranglistendritter) oder dass er sich nach einer – zugegeben lehrbuchhaften – Rückhand gockelartig wie Cristiano Ronaldo aufpumpte, ist manchem aufgestoßen. „Ich habe mich in manchen Szenen auch gefragt, ob das sein muss. Aber manchmal muss die Anspannung auch raus, und grundsätzlich hat er seine Ausbrüche mittlerweile viel besser im Griff“, sagt Kohlmann.

Molleker trennte sich vom Chefcoach

Einer, der als Jugendlicher U-14-Weltmeister war, muss unweigerlich als Faustpfand für eine erfolgreiche Zukunft gelten. Im DTB wurde Molleker schon vor zwei Jahren als das größte Talent nach Zverev eingestuft. An der Tennisbase in Hannover, wo er bis zur Trennung von Cheftrainer Jan Velthuis vor einem Monat trainierte, gilt er als Zugpferd. Schon im vergangenen Jahr hatte der 185 Zentimeter große Rechtshänder, der aktuell von seinem Vater Roman und seinem Bruder German begleitet wird, am Rothenbaum für Furore gesorgt. In der Qualifikation schlug er den Argentinier Leonardo Mayer, der dann jedoch als Lucky Loser ins Hauptfeld rückte und das Turnier gewann, während Molleker in Runde eins mit 4:6, 3:6 an Russlands Shootingstar Karen Chatschanow scheiterte.

In diesem Jahr soll es nun noch ein paar Runden weitergehen für den Jungen, der im Mai in Heilbronn sein erstes Challengerturnier gewinnen konnte. Ursprünglich war sein Plan gewesen, sich nach dem Abschied von der Future-Tour bei den Challengern, der Vorstufe zur ATP-Tour, durchzuschlagen. Nun hat Molleker an diesem Mittwoch (15 Uhr/Sky Sport News HD) die Chance, erstmals in seiner Karriere ein Viertelfinale auf ATP-Level zu erreichen. „Hamburg ist mein Wohnzimmer, hier spiele ich mein bestes Tennis und fühle mich extrem wohl“, sagt er.

Abzuwarten bleibt, wie er mit der Situation klarkommt, gegen den slowakischen Qualifikanten Jozef Kovalik (25/Nr. 113) nicht als Außenseiter ins Match zu gehen, der nichts zu verlieren hat, sondern die Erwartungen erfüllen zu müssen, vorerst Hamburgs lokaler Hoffnungsträger zu sein. „Tatsächlich wird das ein sehr spannendes Match, weil man daran ablesen kann, wie Rudi mit mentaler Belastung zurechtkommt“, sagt Kohlmann, „wir sollten aber alle vorsichtig sein, ihm jetzt schon zu viel Druck zu machen.“ Wer von sich eine Weltkarriere erwartet, hat an Druck wahrlich schon genug.