Luhmühlen. Der pferdesportliche Mehrkampf hat in der Heide eine lange Tradition. Das Abendblatt machte einen Rundgang mit den Pferden.

Allan ist entspannt. Kein Schnauben, auch die Hufe stehen still. Die kleine Untersuchung am Eingang des Stallgeländes erträgt der dunkelbraune Wallach der Schwedin Malin Josefsson gelassen. Fachtierarzt Jürgen Martens checkt mit einem Lesegerät, ob der Chip unter der Haut am Hals die richtige Identitätsnummer trägt. Währenddessen überprüft Kollege Matthias Baumann die ordnungsgemäßen Impfeintragungen im Gesundheitspass. Ein kurzes Abtasten der Lymphknoten. „Alles in Ordnung“, sagt Doktor Martens. Allan darf in den Stall gebracht werden. Keine Infektionsgefahr. Erst am Nachmittag wird genauer nachgeschaut. Nur wer die sogenannte Verfassungsprüfung für die jeweiligen Wettbewerbe bestanden hat, darf überhaupt antreten in der Vielseitigkeit, der Königsdisziplin des Reitsports.

Aber noch ist es nicht so weit. Überall auf dem weitläufigen Gelände in der Westergellerser Heide wird aufgebaut, geputzt, poliert. Fein machen für den heutigen Donnerstag. Dann beginnt das berühmte Vielseitigkeitsturnier im niedersächsischen Luhmühlen vor den Toren Hamburgs mit seinen unterschiedlichen Prüfungen. Der pferdesportliche Mehrkampf – zwei Tage Dressur, danach der Geländeritt und am Sonntag zum Abschluss das Springturnier – hat in der Heide eine lange Tradition. 1975 fanden die ersten Wettbewerbe statt. Auch fünf Europameisterschaften wurden hier schon ausgetragen. 2019 steht Nummer sechs an. Aktuelle Titelträgerin ist mit Ingrid Klimke (50) eine der erfahrensten deutschen Reiterinnen. Sie wird mit ihrem 14-jährigen Wallach Hale Bob am Start sein.

Unruhe rund ums Dressurgeviert

Nicht jedem Pferd, das an diesem noch kühlen Mittwochmorgen Erstkontakt mit dem Gelände aufnimmt, gefällt die Unruhe rund ums Dressurgeviert. Musik, Fahrradfahrer, Hunde, Menschen, die von A nach B gehen, das muss man mögen als Turnierpferd. „Daytona scheint ein bisschen irritiert“, sagt Bärbel Auffarth. Die Mutter von Team-Olympiasiegerin Sandra, selbst eine Trainerin, beobachtet die Tochter, die ihre achtjährige Stute einreitet. Dressur sei nicht die Lieblingsdisziplin von Daytona, erzählt sie. „Unterordnen, brav sein ist nicht so ihr Ding.“ Mutter und Tochter sind wie viele der Teilnehmer mit ihrem riesigen Tourbus angereist. Vorne Wohnbereich, der hintere gehört den Pferden, geparkt wird auf dem karg-staubigen Stallgelände, Dusch- und ­Toilettenhäuschen inklusive. Reitsport ist rustikal.

Dressur-Disziplintrainer Jürgen Koschel (72) aus Hamburg steht schon seit dem frühen Morgen am Rand der Einreiteplätze, gibt kleinste Anweisungen. „Lob ihn, lob ihn mehr“, ruft er Felix Etzel (24) zu, der seinen Bandit verschiedene Schrittfolgen üben lässt. Für Jörg Kurbel (51) betritt er das Dressurgelände, hebt einen Stein auf, der Josera’s Entertain You bei einer Achtsamkeitspause stört. „Glückwunsch, Sandra“, ruft er dann Auffarth (30) zu. Die Weltmeisterin von 2014 hat gerade in den Niederlanden zwei Prüfungen gewonnen. Nun soll Daytona Beach an die nächsthöhere Aufgabe herangeführt werden: die Deutsche Meisterschaft, die ebenfalls Teil der Wertungsprüfungen in Luhmühlen ist.

Sichtungstest für die Weltreiterspiele

Für Bundestrainer Hans Melzer (67) ist das Turnier auch ein Sichtungstest für die Weltreiterspiele im September dieses Jahres im US-amerikanischen Tryon. Am Ende der Woche wird er die vorläufigen Nominierungen bekannt geben. Bis auf Olympiasieger Michael Jung ist der gesamte Kader am Start. Mit einem Becher Kaffee in der Hand wandert er herum, beobachtet das vielstimmige Treiben.

Für die Dressur und auch das Springreiten hat er seine Disziplintrainer am Start. Er ist der Mann fürs große Ganze. Und: Melzer ist derjenige, der die 30 deutschen Teilnehmer zum Einreiten ins Gelände führen wird: dort, wo Designer Mike Ethe­rington-Smith zum zweiten Mal nach 2017 den Parcours entworfen und aufgebaut hat. „Fair, aber technisch anspruchsvoller als im vergangenen Jahr“, sagt der Bundestrainer. Und schiebt gleich noch ein dickes Lob für die Gastgeber hinterher. „Dafür, dass es hier wochenlang nicht geregnet hat, ist die Bodenqualität hervorragend.“ Auch weil die landwirtschaftliche Beregnungsanlage mitbenutzt werden darf.

Dass es immer wieder kritische Stimmen besonders wegen des unfallträchtigen Geländeritts gibt, kann Melzer verstehen. „Wir haben in den vergangenen Jahren an vielen Stellschrauben gedreht und die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt“, sagt er. Die Teiche und Hindernissprünge sollen auch von unerfahrenen Paaren möglichst problemfrei gemeistert werden. „Grundsätzlich aber muss man wissen: Wer vom Pferd fällt, fällt aus zwei Metern Höhe.“ Vergangenen Sonnabend starb Prinz Georg-Constantin (41), das designierte Oberhaupt der Familie Sachsen-Weimar, bei einem Reitunfall.

Gemessen an anderen sportlichen Wettbewerben ist die Vielseitigkeitsreiterei, außer vielleicht beim TV-Quotenbringer Olympische Spiele, eher eine Randsportart. In diesem Jahr überträgt der NDR-„Sportclub“ am Sonnabend von 15.40 bis 16.50 Uhr sowie am Sonntag von 14.10 bis 15.15 Uhr live im TV und bei NDR.de. Aber auch die Preisgelder sind überschaubar. Der deutsche Meister, Sieger einer Drei-Sterne-Prüfung, bekommt 6000 Euro. Leben kann man davon nicht, weshalb die Mehrzahl der Reiter parallel schon als Ausbilder, Trainer, Pferdewirt oder Tierarzt tätig ist. Matthias Baumann (55) ist so ein Fall. Dreimal war er deutscher Meister, Teilnehmer bei drei Olympischen Spielen, eine Goldmedaille. „Mein Traum war es, Tierarzt zu werden.“ Und weiter Teil einer besonderen Gemeinschaft zu sein.