Krasnodar/Madrid. Das gab es in der WM-Geschichte noch nie: Einen Tag vor der Eröffnung schmeißt Spanien seinen Nationaltrainer Julen Lopetegui raus.
Paukenschlag nur einen Tag vor der Fußball-Weltmeisterschaft: Der spanische Fußballverband hat sich zwei Tage vor dem ersten Turnierspiel gegen Portugal von seinem Nationaltrainer Julen Lopetegui getrennt. Das teilte Verbandschef Luis Rubiales am Mittwoch in Krasnodar mit, nachdem tags zuvor der Wechsel Lopeteguis zu Real Madrid nach der Weltmeisterschaft in Russland bekanntgegeben worden war.
"Wir danken Julen für alles, was er getan hat, denn er ist einer der großen Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass wir in Russland sind, aber wir müssen ihn entlassen", sagte Rubiales. Es sei eine klare Botschaft vonseiten des Verbandes vonnöten gewesen. Als Interimscoach springt bei der WM nun der bisherige Sportdirektor Fernando Hierro ein.
Die Entlassung hatte sich im Laufe des Tages angedeutet. Eine für 10.30 Uhr angesetzte Pressekonferenz verzögerte sich zunehmend um letztlich mehr als eineinhalb Stunden. Zuvor ließ sich Verbandspräsident Rubiales in der "Marca" wie folgt zitieren: „Wir werden die Entscheidung treffen, die am besten für unsere Mannschaft ist. Wir werden verantwortungsvoll handeln.“ Ein Bekenntnis zu Lopetegui klingt anders. Und es sollte auch keines geben.
Spieler sollen um Lopeteguis gekämpft haben
"Wir haben uns dazu gezwungen gesehen, ihn seines Amtes zu entheben“, sagte Rubiales dann am Mittwoch im Team-Quartier in Krasnodar. Der Verbandschef war am Dienstag erst zehn Minuten vor der offiziellen Verkündung über Lopeteguis Wechsel zu Real informiert worden. Anschließend sei er nach Medienberichten vor Wut übergekocht. Das Verhältnis zum Nationaltrainer war zerrüttet, beide Alphatiere konnten sich nicht mehr über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit zusammenraufen.
Real Madrids Trainer seit 1999
Auch dass die Nationalspieler laut "Marca" bis zur letzten Sekunde um Lopeteguis gekämpft haben sollen, änderte nichts mehr an der Trennung. Damit ist der GAU für die wiedererstarkte „La Furia Roja“ im Kampf um den WM-Titel perfekt. Bereits an diesem Freitag (20 Uhr/ARD) trifft der Weltmeister von 2010 im so wichtigen ersten Gruppenspiel in Sotschi auf Europameister Portugal. Lopetegui will sich nach Verbandsangaben erst nach seiner Rückkehr nach Spanien zu seinem spektakulären Abgang äußern.
Rubiales: Denkbar komplizierteste Situation
„Wir stecken in einer komplizierten Situation, die komplizierteste, die man sich vorstellen kann“, sagte Rubiales. Der neue Boss des spanischen Fußball-Verbandes (RFEF) erhob schwere Vorwürfe gegen Real. „Wir hatten überhaupt keine Information über das“, sagte Rubiales. „Julen hätte es lieber gehabt, wenn die Dinge anders gehandhabt worden wären.“
Offenbar hatten Lopetegui und Real die Verhandlungen völlig an den RFEF-Funktionären vorbei geführt und Rubiales überrumpelt. „Ich kann mich nicht auf einen Anruf fünf Minuten vorher einlassen“, sagte Rubiales und meinte damit den Zeitpunkt, als die Königlichen ihre völlig überraschende Pressemitteilung veröffentlichten.
Erst 50 Minuten nach der Real-Verlautbarung hatte der RFEF mit einer dürren Presseerklärung reagiert, in der er die Ausstiegsklausel in Lopeteguis Vertrag bestätigte. Nach einem „Marca“-Bericht erhält der Verband eine Ablöse in Höhe von 2 Millionen Euro – und steckt nun unmittelbar vor der WM in einem Chaos. Lopeteguis Abschied ist selbst im schnelllebigen Profigeschäft ein einmaliger Vorgang.
Ramos & Co. akzeptierten die Trennung
Nach Informationen von „Marca“ hätten sich die Spieler mit Kapitän Sergio Ramos von Real Madrid an der Spitze für den Verbleib Lopeteguis ausgesprochen. Die Spieler hätten die Entscheidung der sofortigen Trennung „akzeptiert“, sagte Rubiales.
Der 40 Jahre alte Ex-Profi war erst Mitte Mai zum neuen Verbandschef gewählt worden und wirkte in seiner ersten Bewährungsprobe gleich auf der Weltbühne des Fußballs von den Ereignissen überrollt. Er sprach von Werten, die man nicht brechen dürfe („Die Umgangsformen sind wichtig“), von „mangelndem Respekt“ und erklärte: „Wir müssen an einer Reihe von Entscheidungen arbeiten, die zwei Tage vor Beginn der WM kommen. Es gibt viel zu tun.“
Real-Boss ignorierte Rubiales' Bitte
„Kanonenschuss gegen die Selección“ titelte sogar die Real nahestehende Madrider Sportzeitung „AS“, nachdem Reals Coup bekannt geworden war. Rubiales koche vor Wut, hieß es in Medienberichten weiter. Auch und vor allem der Zeitpunkt der Bekanntgabe sei „schrecklich“ gewesen, schreibt zum Beispiel „AS“. Lopetegui war für die Pressekonferenz am Mittwoch angekündigt worden, erschien aber nicht. Der frühere Torhüter hatte seit seinem Amtsantritt 2016 als Nachfolger von Vicente del Bosque keines seiner 20 Spiele verloren.
Rubiales habe nach Medienberichten Lopetegui und Real-Boss Florentino Pérez am Dienstag darum gebeten, dass die Verpflichtung erst nach der WM bekanntgegeben wird. Die Fachzeitung „Mundo Deportivo“ sprach von einer „Bombe“, das Konkurrenzblatt „Sport“ von einer „Madrider Rakete gegen La Roja“ und auch davon, dass Pérez „die Nationalmannschaft in die Luft gejagt“ habe. Kommentar von Radio Marca aus Krasnodar: „Das ist mehr ein Meteorit als eine Bombe, die hier eingeschlagen hat.“
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wal/dpa/sid