Eppan. Nationalspieler gehen unterschiedlich mit der Kritik um. „Verstehe, dass man die Aktion nicht gut finden muss.“

Die Tischchen von Mats Hummels und Manuel Neuer waren im Strandbereich des Hotelpools vorbereitet worden. Timo Werner bekam seinen Platz auf einer Empore mit Aussicht auf die Umgebung des Mannschaftshotels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Julian Draxler saß unter einem Sonnenschirm auf dem Rasen. Auf der Terrasse fanden sich Sami Khedira, Marco Reus und später auch noch Ilkay Gündogan ein.

Genau genommen gab es für jeden der prominentesten deutschen Fußballer ein vorbereitetes Tischchen. Nur für einen Spieler nicht: Mesut Özil. Es handelt sich um die Szenerie einer mittäglichen Fragestunde. Medientag heißt diese Veranstaltung, die seit vielen Jahren einmalig vor großen Turnieren stattfindet. Alle Spieler sitzen an ihren Tischen bereit, Journalisten rücken an, stellen Fragen. Manchmal auch unangenehme Fragen. Özil flüchtete vor diesen Fragen. Sein Schweigen wird bis nach Russland zu hören sein.

Trikot mit einer Widmung versehen

Özil war zusammen mit Ilkay Gündogan in den Blickpunkt einer noch größeren Öffentlichkeit geraten. Ihr Treffen – inklusive gemeinsamem Foto und Überreichung je eines unterschriebenen Trikots – mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip ErdoganMitte Mai in London schlug höchste Wellen. Und warf Fragen auf. Fragen nach der Existenz von gemeinsamen Werten. Fragen nach dem Gelingen von Integration in Deutschland.

Gündogan hatte sein Trikot mit einer Widmung versehen: „Für meinen verehrten Präsidenten – hochachtungsvoll ...“ Gündogan besitzt keinen türkischen Pass. „Wir sind in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen. Die Stadt hat einen sehr hohen Migrations­anteil. Es war daher für mich ein tiefer Schlag, dass es so dargestellt wird, dass wir nicht integriert seien und nicht nach deutschen Werten leben würden“, sagte Gündogan am Dienstag in Südtirol.

„Kein politisches Statement setzen“

Doch ein Politikum war in der Welt, das zu moderieren allen Beteiligten noch immer schwerfällt. So schwer, dass es die deutsche Mannschaft nun auch als Ballast mit in die WM nehmen wird. Am vergangenen Sonnabend beim Testspiel in Österreich wurden Özil und Gündogan von Fans aus dem deutschen Block teilweise ausgepfiffen. „Das macht natürlich etwas mit einem“, räumte Gündogan ein.

Eine ähnliche Reaktion des Leverkusener Publikums ist am Freitag im letzten Test vor der Abreise nach Russland gegen Saudi-Arabien nicht ausgeschlossen. „Man ist Pfiffe von gegnerischen Fans gewohnt, aber wenn die eigenen Fans pfeifen, dann ist es schwierig damit umzugehen. Mal sehen, wie es in Leverkusen ist“, sagte Gündogan, der bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nur ausgesuchten Medien zur Verfügung stehen wollte.

Gündogan (l.) traf Erdogan am 13. Mai
in London
Gündogan (l.) traf Erdogan am 13. Mai in London © Getty Images

„Einige Reaktionen haben mich getroffen, vor allem auch die persönlichen Beleidigungen. Ich verstehe, dass man die Aktion nicht gut finden muss.“ Die vergangenen Wochen seien eine Erfahrung gewesen, „die nicht leicht war. Wir haben durch unsere Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin. Es war nie das Thema, ein politisches Statement zu setzen.“

Seltsames Verhalten von Özil

So ähnlich hatte sich Gündogan bereits vor drei Wochen schriftlich geäußert. Thema damit erledigt – hatten sie beim Deutschen Fußball-Bund gesagt und gehofft. „Mesut und Ilkay sind junge Menschen. Man muss sie nicht auf ewig verdammen“, sagte Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff jüngst: „Es passiert auch hoch qualifizierten und erfahrenen Politikern, dass sie ins Fettnäpfchen treten, dass sie Fehler machen oder falsche Symbole aussenden – und danach geht’s weiter.

Für Fußballer sollten keine anderen Maßstäbe gelten.“ Spätestens seit dem arrangierten Besuch der beiden Spieler bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mitte Mai wähnte der DFB den Störfall beerdigt. Doch besonders Özil legt in dieser Affäre ein seltsames Verhalten an den Tag. Der Mittelfeldspieler zieht sich seitdem zurück und schweigt. Aus seinem Umfeld heißt es, dass es schwer sei, ihn zu einer öffent­lichen Auseinandersetzung mit dem Thema zu bewegen. Es ist wahrscheinlich, dass der DFB ebenfalls versuchte, ihn zu einem Statement zu bewegen. Erfolglos.

Özil habe „die Wahrnehmung, alles zu dem Thema gesagt zu haben“, übermittelte der DFB am Dienstag, um das Fehlen des Spielers zu erklären. Bisher ist ein schriftlicher Satz aufgezeichnet, mit dem das Steinmeier-Treffen im Nachgang angereichert wurde: „Ich bin hier aufgewachsen und stehe zu meinem Land.“