Hamburg. Dreieinhalb Wochen vor dem 33. Hamburger Stadtlauf testen drei Teilnehmer ihren körperlichen Zustand

Nach elfeinhalb Minuten hebt Tanja Punnanchira den rechten Arm. Das ist das vereinbarte Zeichen, das Laufband abzustellen. Ernährungswissenschaftlerin Doreen Brandt, die den Medizincheck am UKE Athleticum, dem Universitären Kompetenzzentrum für Sport- und Bewegungsmedizin am Turmweg, abhält, drückt die Stopptaste. Punnanchira nimmt die Atemmaske, die ihre Sauerstoffaufnahme misst, ab, schnauft. Ihr Puls rast. 187 blinkt auf dem Display.

Die letzten 65 Sekunden ist die 36 Jahre alte Asthmatikerin mit einer Geschwindigkeit von zwölf Kilometern in der Stunde gelaufen. „Ich bin geschafft“, sagt sie. Vor dem Test hat sie sich ihr Asthmamittel in den Rachen gesprüht. „Seit ich wieder regelmäßig laufe, ist meine Atemnot deutlich besser geworden.“ Sie joggt bis zu sechs Kilometer entlang der Außenalster. Ihr Körperfettanteil liegt bei 16 Prozent. Punnanchira lacht. „Darauf bin ich stolz.“

Dreieinhalb Wochen vor dem Start des 33. Haspa-Marathons hat die Sparkasse, Titelsponsor des Stadtlaufes, drei Mitarbeiter der Zweigstelle Berliner Tor zur umfangreichen Gesundheitsüberprüfung eingeladen. Punnanchira will die 5,4-Kilometer-Strecke der Betriebsstaffel laufen, dann den Stab an Haspa-Chef Harald Vogelsang für das vierte und letzte, 9,4 Kilometer lange Teilstück übergeben. Marcus Schoene hat sich für den erstmals angebotenen Halbmarathon entschieden. Auf dem Laufband schafft er 14 km/h – bei Puls 173. „Da ist meine persönliche Obergrenze“, sagt er. Die ehemalige Spitzenschwimmerin Anna Kylau traut sich zum vierten Mal auf die 42,195 Kilometer. Bisherige Bestzeit: 4:30 Stunden.

Kylau ist die Fitteste des Trios – das lassen zumindest die medizinischen Daten vermuten. Sie steigt bei 16 km/h nach fast 19 Minuten vom Laufband, Puls 210. „Bei Belastungen haben ich einen sehr hohen Puls, mein Ruhepuls liegt dafür bei 55“, sagt sie. Täglich fährt sie 14 Kilometer aus Niendorf mit dem Fahrrad zur Arbeit, schwimmt dreimal in der Woche eine Stunde, läuft jedes Wochenende und stählt jeden Morgen ihre Muskeln beim Krafttraining. Der Körperfettanteil der 26-Jährigen liegt bei 9,1 Prozent, der Wert einer Spitzensportlerin, die sie einmal war. Bei Normalgewichtigen, die Gesundheitssport treiben, liegt dieser Index gewöhnlich zwischen 20 und 30 Prozent, bei Frauen in der Regel höher als bei Männern.

„Alle drei können das leisten, was sie sich für den 29. April vorgenommen haben“, sagt Doreen Brandt nach erster Einschätzung. Das Belastungs-EKG fällt bei allen ohne Anzeichen für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems aus, das Lungenvolumen liegt im Normalbereich. Die exakten Auswertungen erhalten die Läufer in zwei Wochen mit Ratschlägen fürs Training und der optimalen Endzeit für ihre Strecke, die sie bei ihrem aktuellen körperlichen Zustand anstreben sollten.

Schoene, Körperfettanteil zwölf Prozent, hat sich für den Halbmarathon 1:45 Stunden vorgenommen. „Das sollte wahrscheinlich passen“, sagt Brandt. Den Marathon hat der 50-Jährige bereits in 3:39 Stunden absolviert, Topzeit für einen Hobbyläufer. Inzwischen tendiert Schoene zum Triathlon, ist Mitglied des Triathlon Teams Lüneburg. Auch Kylau bevorzugt den Dreikampf aus Schwimmen, Radfahren und Laufen. Beim Schwimmen steigt sie immer als eine der Ersten aus dem Wasser.

Professor Klaus-Michael Braumann (68), seit Dienstag emeritiert, ist ärztlicher Leiter des Fachbereichs Sport- und Bewegungsmedizin im Ambulanzzen­trum des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Er empfiehlt Hobbysportlern Untersuchungen dieser Art einmal im Jahr, „auf jeden Fall bevor man zum ersten Mal einen Marathon läuft“. Die meisten gesetzlichen Krankenkassen würden die Kosten dieser Leistungsdiagnostik übernehmen.

Zunächst gelte es, den allgemeinen Gesundheitszustand abzuchecken, sagt Braumann. Die Probanden, wie die drei Haspa-Angestellten, müssen einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllen, Krankheiten auflisten, Tabletten-, Alkoholkonsum, Ess- und Trinkgewohnheiten. Danach steht die individuelle Belastungsfähigkeit auf dem Prüfstand. Blutdruck, Puls, Sauerstoffaufnahme werden im Ruhezustand und bei (maximaler) Bewegung gemessen.

„Allgemeine Richtwerte gibt es nicht“, sagt Braumann, „nur individuelle.“ Der eine Sportler gerate bei Puls 150 nicht mal ins Schwitzen, „bei jemand anderem muss der Notarzt geholt werden“. Die Konsequenz: Für jeden sollte zugeschnitten auf seine körperlichen Besonderheiten und seinen Trainingszustand ein spezielles Programm geschrieben werden. Die Trainingslehre basiere auf Erfahrungen und Mittelwerten, die eben nicht für alle gelten. Und eine Leistungsüberprüfung kurz vor einem Marathon ergebe schon deshalb Sinn, um im Lauf das richtige Tempo anzugehen. Braumann: „Wer weiß, was er draufhat, der läuft weder zu schnell noch zu langsam, er kann die Geschwindigkeit wählen, mit der er problemlos ins Ziel kommt.“