Hamburg. Die Hamburger Hockeytorhüterin Silja Paul hat ihre Knochenmarktransplantation überstanden und darf wieder mit dem Team trainieren.

Schlucken tut weh, der Geschmackssinn leidet – ein Mundpilz macht Silja Paul dieser Tage zu schaffen. Aber trotzdem sagt sie jedem, der sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt, dass sie sich super fühle. Und sie meint es auch genauso. „Ich habe wieder einen Alltag, kann rausgehen und Freunde treffen. Deshalb habe ich wirklich keinen Grund zu klagen“, sagt sie.

Man muss den Leidensweg kennen, den die 20 Jahre alte Hockeytorhüterin des Bundesligisten Großflottbeker THGC beschreiten musste in den vergangenen 22 Monaten, um diese Aussage einschätzen zu können. Seit die Diagnose Leukämie ihr Leben auf links drehte im April 2016, hat Silja Paul viele Monate im Universitätsklinikum Eppendorf verbracht. Sie hatte im November 2016 die erste Chemotherapie überstanden und war guter Hoffnung, bis im Juli 2017 neue Krebszellen entdeckt wurden, die eine Knochenmarktransplantation nötig machten.

Blasenentzündung als schwerer Rückschlag

Als Anfang Oktober der passende Spender – weiblich, Jahrgang 1994, aus Köln, mehr ist nicht bekannt – gefunden war, war die Freude groß und auch die Sorge. Davor, wochenlang auf der Isolierstation liegen zu müssen, aber vor allem davor, dass ihr geschundener Körper die neuen Zellen abstoßen könnte und alles von vorn beginnen müsste. Am 12. Oktober floss das Spendermark aus einem Beutel 90 Minuten lang durch den zentralen Venenkatheter in ihrem Hals. An ihrem Bett wachten die Eltern. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn man realisiert, dass dieser unscheinbare Beutel die zweite Chance zu leben bedeutet, und zu wissen, dass ich ohne diesen Beutel nicht mehr da wäre“, sagt sie.

Zehn Tage dauert es im positiven Fall, bis sich erste Leukozyten (weiße Blutkörperchen) zeigen. Tage, in denen Silja Paul an Fieber und Schüttelfrost litt, eine Mundschleimhautentzündung bekam und sich wegen der starken Medikamente ständig übergeben musste. Streng isoliert, um vor allen Keimen geschützt zu werden, lag sie im Bett und wartete auf die erlösende Nachricht, die am zehnten Tag tatsächlich kam. Ihr Körper hatte die Spenderzellen angenommen. „Das war überwältigend. Ich durfte zum ersten Mal auf den Balkon und frische Luft atmen. Etwas Größeres hätte ich mir in dem Moment nicht vorstellen können“, sagt sie.

Wünsche auf kleine Zettel geschrieben

Der nächste Rückschlag folgte nur zwei Tage nach der Entlassung: eine virale Blasenentzündung. „Ich habe noch nie zuvor solche Schmerzen gehabt. Kein Schmerzmittel schlug an, ich war am Ende“, sagt sie. Fünfeinhalb Wochen Krankenhaus folgten, täglich musste die Blase mittels Katheter mit mehreren Litern Wasser gespült werden. Erst Mitte Dezember durfte sie zurück zu den Eltern nach Itzehoe. Weihnachten mit der Familie zu feiern, das habe ihr alles bedeutet. „Ich habe am Tisch gesessen, und mir liefen vor Freude die Tränen herunter.“ Für eine wie sie, die immer lacht, die mit ihrem Lebensmut alle mitreißen kann, war das eine Befreiung. Weil sie spürte, dass sie Gefühle zulassen muss, auch die negativen, um diesen dauerhaften Kampf gegen den Tod verarbeiten zu können.

Anfang Januar ging Silja Paul mit einer Freundin an die Elbe. Sie schrieben Wünsche auf kleine Zettel, verbrannten diese und streuten die Asche in den Fluss, als symbolischen Neustart. „Grüble weniger – lebe mehr“ steht auf dem Pullover, den sie beim Gespräch trägt. Es könnte ihr Lebensmotto sein, aber so ganz mag es nicht mehr auf sie passen. „Natürlich denke ich viel nach, und es ist nicht immer einfach, positiv in die Zukunft zu schauen, wenn man Rückschläge erlitten hat“, sagt sie. Das Gefühl, seit eineinhalb Jahren nichts geleistet zu haben, bedrückt sie. Ihre Freundinnen sagen: „Wir studieren nur, du hast den Krebs besiegt, das ist eine große Leistung!“ Aber Silja Paul kann darin keine Leistung erkennen.

Lebensmut nicht eingebüßt

Ihren Lebensmut aber, den hat sie mitnichten eingebüßt. „Ich ermahne mich immer, niemals zu vergessen, dass ich die Chance bekommen habe, die andere nicht hatten“, sagt sie, „und es hilft mir, mir klarzumachen, dass es anderen viel schlechter geht. Dann bin ich dankbar für mein Leben.“ Noch immer muss sie Menschenmengen meiden. Obst und Gemüse muss geschält, Nahrung erhitzt werden, um bestmöglich alle Keime zu vermeiden, die das Immunsystem belasten würden.

Erst nach einem Jahr gilt sie als geheilt. Aber sie fühlt sich gut, sie plant die Rückkehr in ihre Ottensener Wohngemeinschaft, die Aufnahme eines Maschinenbaustudiums im Herbst. Und seit drei Wochen darf sie auch wieder zum Athletiktraining mit ihrer Mannschaft gehen. Mit Mundschutz zwar und dosiert, aber sie ist wieder zurück im Leben. Man muss verstehen, dass sie sich super fühlt.