Hamburg. Claudia Neumann musste 53 werden, ehe sie im ZDF die Champions League kommentieren durfte. Sie machte fast alles richtig.

Diese Frau macht klare Ansagen: Gleich nach dem Foul von Neymar an Nacho nennt sie die Attacke "nicklig". Kein Warten auf die Zeitlupe. Sie will offenbar gerade "Das muss Gelb geben" sagen. Da hat der Schiedsrichter schon die Karte gezogen. Sie spricht jetzt: nichts. Das Bild sagt ja alles.

Ist eine kleine Aktion technisch geglückt, sagt sie es. Kein Brüllen, kein schwurbeliges Überhöhen eines nach der Papierform megagalaktischen, überirdisch metaphysischen Fußballspiels wie das Achtelfinale der Champions League zwischen Real Madrid und Paris St. Germain. Das vorweggenommene Endspiel, das Blablabla der Fußballreportersprache, ohne dass der Ball auch nur einmal von links nach rechts gerollt wäre. Einmal sagt sie, sie könnte jetzt alle Rekorde aufzählen. "Aber es zählt, was heute ist." So ist das.

Kurz, nicht aufgebläht. Das kommt an

Das macht sie ordentlich, die Kollegin Claudia Neumann vom ZDF beim ersten Livekommentar einer Frau zu einem Spiel der Königsklasse im deutschen Fernsehen. Nein, Königinnenklasse wird das nie. So viel Prognose darf sein. Die Regenten am Livemikro werden auf Sicht testosterongesteuert bleiben. Und so viele Frauen gibt es trotz reichlich Erfahrung und Wissen auch nicht in deutschen Fußballfernsehen.

Claudia Neumann musste 53 werden, ehe ihr dieser Mittwochsjob zugeteilt wurde. Sofort erkennt sie an, wenn eine Situation etwas Genialisches hatte, wenn im Detail, im Kleinen die spielerische Größe aufblitzt. Dazu braucht sie kein goethesches Vokabular, keine laaaaaaaanggezogenen Vokale à la Rooooonaldooo! Ein bisschen Beobachtungsgabe, etwas Zettelwissen aus dem Archiv und ruhige Analyse. Kurz, nicht aufgebläht. Das kommt an.

"Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht", sagt Neumann. "Aber wir erleben hier ein tolles Spiel, ein Hin und Her." Da wird einem nicht die letzte Weisheit vorgesetzt, nichts vorgekaut. Die Kommentatorin ordnet ein, sagt, wo die Zuteilung gefehlt hat beim 0:1. Später sieht man das in der Übersicht. Sie hatte offenbar schon im ersten Moment richtig hingeguckt. Kroos im Strafraum sinnlos umgerissen, Ronaldo verwandelt den Elfmeter, PSG bringt sich um die Führung – das Drama ist offensichtlich. Da braucht es keine Dramatisierung vom Mikro.

Als Feldreporterin ist sie seit Langem bekannt

Claudia Neumann hat, das muss als Bemerkung biografischer Karrieresteps reichen, als erste Frau im deutschen Fernsehen bei einer WM live kommentiert. Erst "nur" bei den Frauen, dann als erste Frau bei der EM der Kerle 2016 in Frankreich. Als Feldreporterin und Fragestellerin ist sie aus der Bundesliga so bekannt wie alle anderen Mainzelmännchen.

Mit Blick auf die längst etablierten "Jessys" auf anderen Kanälen (Wellmer, Kastrop) könnte man Claudia Neumann einen alten Hasen nennen. Verbale und handfeste Übergriffe gegen Frauen in den Medien lassen den Begriff etwas altbacken erscheinen. Denkt man an den Kollegen Bela Réthy, kann "alter Hase" auch eine Chiffre für routinierte Langeweile sein.

Ein bisschen Blauäugigkeit ist auch bei Neumann dabei. "Marcelo schwer verletzt." Nein, dass die Betreuer schon nach zehn Minuten auf den Platz rennen, bedeutet nur, dass sie bei dem brasilianischen Laienschauspieler Marcelo nur sichergehen wollen, dass der Schiedsrichter nicht doch noch auf Stürmerfoul anerkennt. Dieser Lockenkopf ist ein Filou.

In anderen europäischen Fußballnationen sind Frauen bei Liveübertragungen so alltäglich, dass das Machotum schon fast ausgestorben ist. Die resolute spanische TV-Frau Sara Carbonero interviewte bei der WM 2010 Nationaltorhüter Iker Casillas nach jedem Spiel. Spanien wurde Weltmeister, die beiden heirateten später.

So weit muss es bei Claudia Neumann nicht kommen. Das ZDF, vor Jahrzehnten mit Carmen Thomas und "Schalke 05" baden gegangen, hat im Jahr 2018 den Dienstplan mal nach professionellen Gesichtspunkten besetzt. Claudia Neumann hat in ihrer klaren, geschäftsmäßigen Art zu einem außergewöhnlichen Spiel beigetragen.