Pyeongchang. Südkoreas Präsident will die Wiedervereinigung. Da kommt ihm der Besuch eines deutschen Präsidenten gerade recht.

"Sehr bedeutungsvoll.“ Das waren die Worte, die Moon Jae-in, seit neun Monaten Staatspräsident Südkoreas, in Richtung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewählt hat. Sehr bedeutungsvoll seien dessen Besuch und seine Teilnahme an der heutigen Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Das klingt nach einer diplomatischen Nettigkeit, doch man darf davon ausgehen, dass diese Worte sehr viel mehr ausdrücken als eine höfliche Floskel.

Wann immer ein deutscher Politiker die koreanische Halbinsel besucht, kommt in erster Linie ein Vertreter des Landes, das die Teilung überwunden und die Wiedervereinigung vollbracht hat. Was in Deutschland 40 Jahre lang traurige Realität war, kann man in Korea seit nunmehr 65 Jahren entlang des 38. Breitengrades beobachten: eine schwer bewachte und unüberwindliche Grenze mitten durch das Land.

Zeichen für das Land

Und so gibt es nur ein Thema, als Steinmeier auf seinen 65 Jahre alten Amtskollegen trifft, der ungleich mächtiger ist als der mit Repräsentativaufgaben betraute Bundespräsident. Nordkoreas Teilnahme an den Spielen in Pyeongchang sei „mindestens ein kleines Zeichen, das dem Geist der olympischen Idee entspricht“, sagte Steinmeier. Das „kleine Zeichen“ wird bei den 50 Millionen Südkoreanern sehr viel wichtiger genommen.

Nordkorea wird mit 22 Sportlern dabei sein, darunter zwölf Eishockeyspielerinnen für eine gemeinsame Mannschaft mit Südkorea. Machthaber Kim Jong Un hat zudem angekündigt, seine jüngere Schwester Kim Yo Jong nach Pyeongchang zu schicken – und Moon Jae-in will sie treffen. Beides wird als Zeichen der Annäherung zwischen den seit dem Bürgerkrieg (1950 bis 1953) verfeindeten Staaten gewertet.

Doch was bedeutet schon „Annäherung“? Auf der einen Seite der stalinistische Norden mit seinen 24 Millionen in meist bitterer Armut und völlig von der Außenwelt isoliert lebenden Menschen und einem Diktator an der Spitze, der als unberechenbar gilt. Auf der anderen der hoch entwickelte, reiche Süden, der nach Jahrzehnten der Militärdiktatur und autokratischer Regierungen erst vor 30 Jahren ernsthaft den Weg in Richtung Demokratie eingeschlagen hat.

Taktische Spielchen

Wann immer der Norden Signale der Verständigung sendet – so wie jetzt im Vorfeld der Spiele – liegt der Verdacht nahe, dass es sich um taktische Spielchen handelt, mit denen das schwer unter den Sanktionen leidende Land seine Lage verbessern will. Sogar die Militärparade, die Kim Jong Un am Tag vor der Eröffnung der Olympischen Spiele abhalten ließ, sehen manche als Zeichen der Entspannung, so absurd das auch zunächst klingen mag. Denn das nordkoreanische Fernsehen zeigte die Bilder nur in Ausschnitten, und Beobachter meinen, dass die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Armee deutlich kürzer und mit weniger Truppen abgehalten wurde als in den Vorjahren.

Im Süden sind die Menschen sehr empfänglich für jegliche Zeichen von Entspannung. Umfragen ergaben mehrheitlich Zustimmung zur Teilnahme Nordkoreas an den Spielen. Doch natürlich gibt es auch Gegner der Entspannungspolitik. Vereinzelt gab es lautstarke Demonstrationen gegen den Besuch aus dem Norden – als bei einer Demonstration Bilder von Kim Jong Un verbrannt wurden, schritt die Polizei ein. Das zeigt auch die politische Schizophrenie im Land. Denn noch immer ist nicht nur jeglicher Kontakt mit Nordkoreanern gesetzlich verboten, selbst ein Lob Nordkoreas wird mit Gefängnis bestraft.

Von der Universität verwiesen

Präsident Moon, der im Mai 2017 auf die wegen einer Korruptionsaffäre gestürzte Park Geun Hye folgte, setzt dennoch auf Verständigung. Die Ehrlichkeit seiner Absichten bestreitet niemand. Moons Vater war einst aus Nordkorea geflüchtet, er selbst wurde zeitweise von der Universität verwiesen, weil er sich für demokratische Reformen einsetzte. Später studierte er Jura und arbeitete als Anwalt für Menschen- und Bürgerrechte. Sein politischer Ziehvater Roh Moo Hyun war 2003 bis 2008 Präsident, ein Entspannungspolitiker, der sogar nach Pjöngjang reiste, um den damaligen Machthaber Kim Jong Il zu treffen. Er sagte einmal, ein Nordkorea mit Atombomben sei ihm lieber als ein Nordkorea am Abgrund, das zu Verzweiflungstaten neige. Er musste sich entschuldigen, obwohl viele seiner Landsleute ihm zustimmten. Der neue Präsident will nicht nur dessen Politik fortsetzen, er hat auch angekündigt, eine größere Distanz zu den USA wahren zu wollen.

Und damit geht er ein großes Wagnis ein, wenn man sich die geopolitische Lage Südkoreas vergegenwärtigt. Denn das Verhältnis zu den beiden großen Mächten Ostasiens ist traditionell extrem schwierig. Da ist zum einen China, das als riesiger Nachbar seit Jahrtausenden als Bedrohung empfunden wird. Außerdem hat Peking das nordkoreanische System immer gestützt und während des Koreakrieges Truppen geschickt, die den Zusammenbruch des Nordens verhinderten und die Kämpfe verlängerten.

USA entscheidende Stütze für Südkorea

Die andere Großmacht ist Japan, das 1910 Korea erobert und wie eine Kolonie behandelt hatte. Wegen der Unterdrückung der koreanischen Kultur und Sprache und der Gräueltaten japanischer Soldaten vor allem während des Zweiten Weltkriegs ist das Verhältnis vergiftet. Antijapanische Ressentiments sind auch heute noch weit verbreitet. Insofern waren die USA immer die entscheidende Stütze für Südkorea.

Südkorea setzt also auf einen eigenen Weg. Zu Steinmeier sagte Moon, mit der Teilnahme Nordkoreas sei die Hoffnung verbunden, dass diese Spiele „nicht nur Sportspiele werden, sondern eine Olympiade des Friedens“. Und dann zieht er wieder den Vergleich mit Deutschland. Die Ostpolitik in den 1970er-Jahren sei der Grundstein für die Versöhnung im geteilten Deutschland gewesen, was für Korea eine „große Lehre“ sei. Sehr passend dazu schenkte Steinmeier Moon ein Porträt des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, das der Künstler und Schauspieler Armin Mueller-Stahl geschaffen hat. Brandt habe „mit seiner mutigen Ostpolitik den Weg zur deutschen Wiedervereinigung gebahnt“, sagte er. Den Vergleich mit Brandt hörte Moon gewiss gern.

Dass es bis zu einer koreanischen Wiedervereinigung noch ein sehr langer Weg ist, daran zweifelt auf der Halbinsel niemand. Und das könnte durchaus Mut machen. Denn genauso haben es die Deutschen ja auch immer gesehen. Selbst im Spätsommer 1989 noch.