Zürich. Der gestürzte Fifa-Boss spricht über Korruption, ausstehende Bezüge, Wladimir Putin und ein kritisches Telefonat mit einem Deutschen.

Kurz nach zehn klopft es an der Tür. Joseph "Sepp" Blatter tritt fast pünktlich in unser Büro in Zürich ein. Der einst mächtigste Funktionär des Weltfußballs, 1,61 Meter klein, geht etwas gebeugt und will seriös und zugänglich wirken. Er trägt ein Hemd, darüber eine Weste, ein dunkelblaues Sakko.

Kritiker sagen, Blatter sei Pate der Fifa-Mafia gewesen. Im Gespräch mit dem Abendblatt wird sich der 81-Jährige winden wie ein Entfesselungskünstler und bestreiten, von den kriminellen Machenschaften während seiner 18 Jahre an der Fifa-Spitze etwas gewusst zu haben. Das ist kaum vorstellbar. Korruption, gekaufte Stimmen und WM-Turniere, Schmiergelder in Millionenhöhe: Die Liste der Vorwürfe ist lang.

Führende Funktionäre wurden verhaftet. Zurzeit läuft in New York ein spektakulärer Prozess; ein Zeuge wurde vom Leibwächter auf offener Straße erschossen. Der Weltfußball unter Schock.

Sepp Blatter lächelt, schaut kurz aus dem Fenster und legt die Stirn in Falten. Fertig zum Interview mit der Funke Mediengruppe. "Ich hoffe, das wird hier kein Standgericht."

Hamburger Abendblatt: Herr Blatter, von der Fifa wurden Sie für sechs Jahre gesperrt. Wie verbringt der einst mächtigste Mann des Fußballs nun seine Zeit?

Sepp Blatter: Ich räume noch einige Probleme auf – unter anderem mit meinem früheren Arbeitgeber, der Fifa. Aber grundsätzlich geht es mir gut, und ich schaue nach vorne.

Erhalten Sie keine Bezüge mehr vom Fußball-Weltverband?

Nein. Aber ich kämpfe noch um einige Bezüge, die mir von der Fifa zustehen. Ich habe Auftritte in den Medien, ich halte Vorträge mit Studenten, mit Wirtschaftsfachleuten und Sportorganisationen. Außerdem arbeite ich an einem zweiten Buch unter dem Titel: 41 Jahre Fifa.

Wird es eine Abrechnung?

Ich werde die Wahrheit schreiben. Meine Wahrheit. Ich werde keinen Rachefeldzug starten. Ich werde das schreiben, was aus meiner Sicht in der Fifa geschah.

Sie waren 18 Jahre Fifa-Präsident, man sagt, die Fifa sei wie Ihre Familie gewesen. Nun hat man Sie vom Hof gejagt.

Ich wurde als Präsident der Fifa weder verabschiedet noch abgewählt. Man ist nicht elegant mit mir umgegangen. Man hat mir nicht mehr die Zeit geben wollen, um das Reformprogramm, das wir 2011 beschlossen hatten, umzusetzen. Damals führten wir eine spezielle Kommission ein, die die Bonität der Mitglieder des Exekutivkomitees prüft. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hat diesen Prozess geleitet. Die Ironie des Schicksals war, dass sich ausgerechnet die Uefa mit allen Kräften dagegen gewehrt hat – ihr Sprecher war der damalige Generalsekretär Gianni Infantino.

Und Sie wollen von Schwarzgeld in Millionenhöhe, dubiosen TV-Verträgen und Absprachen in Hinterzimmern nichts gewusst haben? Sie haben die Fifa doch Jahrzehnte von der Spitze aus geführt? Sie haben Stimmen für Ihre Wiederwahl gekauft….

Ich habe nie Stimmen gekauft.

Sie sind das Gesicht der korrupten Fifa...

Insbesondere Ihre deutschen Medienkollegen haben mich vorverurteilt, weil ich mich für Südafrika statt Deutschland als Veranstalter der WM 2006 eingesetzt hatte. Das hat man mir übel genommen. Wenn ich in deutschen Stadien war, hat man mich behandelt wie einen Störenfried.

Liegt es an ihrem eher schwierigen Verhältnis zum Nachbarn, weil deutsche Top-Funktionäre wie DFB-Vorstandsmitglied Reinhard Rauball Ihnen in der Vergangenheit den Rücktritt nahelegten?

Herr Rauball rief mich eines Tages an und sagte, ich solle zurücktreten. Ich sagte ihm: Von welcher Wolke steigen Sie denn gerade herab? Deutschland wollte mich nie als Fifa-Präsidenten.

Wurde das Sommermärchen 2006 mit Schmiergeldern gekauft?

Meiner Ansicht nach nein. Ich weiß, dass mir das angesichts der aktuellen Ereignisse niemand abnimmt, aber: Fußball-Weltmeisterschaften werden nicht gekauft. Dieses Sommermärchen wurde entschieden durch den mysteriösen Abgang des Neuseeländers Charles Dempsey, der beim letzten Wahlgang des Exekutivkomitees aufstand und sagte: Hey, Mr. President, I shall, i would… Dann nahm er seine Tasche und ging.

Schöpften Sie keinen Verdacht, dass er geschmiert worden sein könnte?

Ich habe mit ihm später gesprochen. Er sagte: Herr Blatter, da kommen die Europäer und die Engländer, die sagen: Ich soll für Deutschland stimmen. Dann kommen meine Freunde aus Asien und Südafrika und sagen: Du musst für Südafrika stimmen. Den Druck hat er offensichtlich nicht ausgehalten und ist dann einfach gegangen.

Wo sind die ominösen 6,7 Millionen Euro gelandet, die das deutsche WM-Organisationskomitee unter Führung von Franz Beckenbauer als Kulturzuschuss tarnte, dann aber auf dem Konto des mittlerweile gesperrten Katarers und Fifa-Exekutivmitglieds Mohamad bin Hammam landeten?

Das weiß ich nicht.

Die Version von Franz Beckenbauer lautet: Dieses Geld sei eine Art Vorleistung gewesen, um den 200 Millionen Euro schweren Zuschuss der Fifa zu erhalten...

Das stimmt nicht. Das ist Quatsch. Das habe ich auch vor der Schweizer Bundesanwaltschaft, die mich als Auskunftsperson einlud, gesagt. Dass man zuerst etwas zahlen muss, damit man im Gegenzug Geld bekommt von der Fifa, ist abstrus. Das macht ja auch keinen Sinn.

Franz Beckenbauer Ende September beim Spiel des FC Bayern gegen Wolfsburg
Franz Beckenbauer Ende September beim Spiel des FC Bayern gegen Wolfsburg © Imago/Jan Hübner

Seit dem Skandal um diese Zahlung gilt Franz Beckenbauer als unerwünschte Person. Bedauern Sie das?

Es ist doch alles noch in der Schwebe. Bevor man jemanden für schuldig spricht, sollte man den Fall erst einmal lückenlos aufklären. Franz Beckenbauer haben diese Vorwürfe schwer getroffen. Gesundheitlich geht es ihm nicht gut, ich mache mir Sorgen um ihn und kann es nur schwer nachvollziehen, dass die einstige Lichtgestalt des Fußballs ohne Beweise vorverurteilt wird (Beckenbauer unterzog sich zuletzt einer Herz-OP; Anm. d. Red.).

Haben Sie Kontakt zu ihm?

Gelegentlich.

Floss Schmiergeld bei der doppelten WM-Vergabe an Russland und Katar?

Auch das weiß ich nicht. Als wir die Entscheidung trafen, in einem Wahlgang zwei Weltmeisterschaften zu vergeben, hatte dies rein kommerzielle Gründe, damit unsere Partner und Sponsoren frühzeitig wussten, wohin die Weltmeisterschaften gingen.

Im Prozess in Brooklyn berichten ehemals hochrangigen Fifa-Funktionäre von Schmiergeldzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe. Ein Manager eines TV-Senders wurde wenige Tage vor dem Prozess von seinem Leibwächter ermordet. Das erschüttert den Fußball und passt so gar nicht in ihre Welt…

Warten wir erstmals ab. Lasst die Justiz walten.

Wie konnte es passieren, dass ein kleiner reicher Wüstenstaat wie Katar die WM bekommen konnte?

Sie wurde entschieden vom französischen Staatspräsidenten. Ich weiß, dass in dem ominösen Meeting im Élysée-Palast in Paris der jetzige Katarer Emir Tamim Michel Platini zu sich gerufen hat. Platini sagte mir danach: Du, wir haben jetzt ein Problem mit den USA, weil der französische Staatschef mir empfohlen hat, die Interessen Frankreichs zu vertreten und mit meinen europäischen Wahlmännern für Katar zu stimmen.

Wundert es Sie denn nicht, dass angesichts undurchsichtiger Hinterzimmerdeals der Eindruck entsteht, dass die Fifa unter ihrer Regie ein mafiös strukturierter Verband war?

Die Fifa als Organisation ist nicht korrupt. Als Präsident dieses großen Verbandes kann man aber nicht kontrollieren, ob einzelne Menschen korrupt werden. Das geht nicht.

Sind Sie korrupt, Herr Blatter?

Nein, ich bin nicht korrupt. In dem Urteil der Ethikkommission wurden die Wörter Korruption und Bestechung explizit herausgenommen.

Werden Sie zur Weltmeisterschaft nach Russland fliegen?

Ich bin eingeladen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, werde zur WM nach Russland reisen und mir wahrscheinlich das Eröffnungsspiel oder das Endspiel anschauen.

Erwarten Sie, dass Sie ausgepfiffen werden?

Sicher nicht.