Hamburg. Der Belgier Xavier Reckinger ist der erste ausländische Bundestrainer. Morgen startet seine Mission mit der Damen-Nationalmannschaft.

Die Aufregung um seine Verpflichtung, die in den vergangenen Monaten zu spüren war, kann Xavier Reckinger nicht so recht verstehen. „In Deutschland scheint das eine große Sache zu sein. Für mich ist das aber kein großes Thema“, sagt der 33-Jährige auf die Frage, was es ihm bedeute, der erste ausländische Bundestrainer in der Geschichte des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) zu sein. Nicht dass man ihn falsch verstehe, „natürlich ist es eine riesige Ehre und Herausforderung, dass eine so ruhmreiche Hockeynation sich einen Coach aus dem kleinen Belgien holt“. Aber man müsse wissen, dass er als Rekordnationalspieler seines Landes (328 Länderspiele) niemals unter einem einheimischen Trainer gearbeitet habe. „Deshalb ist das für mich keine große Sache“, sagt er.

Wahrscheinlich haben sie „Reck“, wie Freunde ihn nennen, auch deshalb als Nachfolger von Jamilon Mülders (41) zum Bundestrainer der Damen gemacht: weil er so sympathisch unaufgeregt an seine neue Aufgabe herangeht, die von diesem Sonnabend an beim World-League-Finale im neuseeländischen Auckland beginnt. Und bei Licht betrachtet gibt es wirklich wenige Gründe, um über die Maßen aufgeregt zu sein. Die von Mülders verjüngte und taktisch grundsanierte Auswahl hat mit Olympiabronze in Rio 2016 ihr Potenzial nachgewiesen. Reckinger kennt die Spielerinnen, weil er seit Jahresbeginn als Assistenzcoach in Mülders’ Stab gearbeitet hatte. Und er war der Wunschkandidat des DHB und seines nach China gewechselten Vorgängers. Was also soll da noch Druck erzeugen?

Erwartungshaltung ist groß

Die Erwartungshaltung, könnte man dem entgegensetzen. Mülders immerhin glaubt, „dass Reck einer der besten Trainer werden wird, die der DHB je hatte, wenn man ihn in Ruhe arbeiten lässt“. DHB-Sportdirektor Heino Knuf hält den Neuen „für einen extrem dynamischen Coach mit einem sehr prägnanten Führungsstil, der es schafft, seine Zuhörer in einen Bann zu ziehen“. Und in Hockey-Deutschland wird nach Platz drei in Brasilien erwartet, dass es bei der WM im Sommer 2018 in England mindestens ebenfalls zu Bronze reicht. Damit muss ein junger Coach erst einmal klarkommen.

Werde er, sagt Reckinger, weil die Anspruchshaltung der anderen sich mit seiner eigenen decke und deshalb keinen Druck aufbauen könne. „Mein eigener Anspruch ist, dass ich einen so guten Job mache, dass ich nicht der letzte ausländische Coach im DHB bin“, sagt er. Bei den Vertragsgesprächen mit der Verbandsführung habe er gespürt, dass der DHB bereit sei, sich Einflüssen von außen zu öffnen. „Und genau das sehe ich als meine Stärke. Ich habe als Aktiver in meiner Heimat, den Niederlanden, Australien und Neuseeland viele Erfahrungen machen dürfen, und all diese Elemente versuche ich nun so zu vermengen, dass es die Mannschaft nach vorn bringt“, sagt er.

Als Zwölfjähriger schon Trainer

Tatsächlich glaubt Knuf, dass es an der Zeit war, diesen Schritt zu gehen, der mehr sein soll als ein Experiment. „Wir haben großartige Trainer in Deutschland und präferieren auch weiterhin einheimische Coaches. Aber dem Schulterblick auf die wahnsinnig gute Entwicklung, die das belgische Hockey genommen hat, verschließen wir uns nicht“, sagt er. Unter Mülders, der seine Assistenten nie nur als Hütchenaufsteller betrachtet, konnte Reckinger seine eigenen Vorstellungen bereits einbringen. „Deshalb wird er sich jetzt in der Ansprache an die Mädels auch nicht groß verändern“, glaubt Mülders, „er ist ein sehr ruhiger und sachlicher Typ, der sich perfekt auf neue Situationen einstellt und deshalb auch die Bedürfnisse des Teams umsetzen wird.“

Als Zwölfjähriger schon hatte der nahe Antwerpen lebende Reckinger begonnen, Jugendteams zu coachen. Mit 19 war er Co-Trainer in Belgiens Eliteliga, mit 23 hatte er dort seinen ersten Cheftrainerjob parallel zur eigenen Karriere. Aktuell betreut er noch bis Ende der Saison 2017/18 die Herren von Racing Brüssel. Dieser Erfahrungsschatz ist sein größtes Plus, außerdem eilt ihm der Ruf voraus, sich individuell auf seine Schützlinge einstellen und sie dadurch stärker machen zu können. „Mein Vorteil als neuer Bundestrainer ist, dass ich objektiv bin, weil ich erst seit neun Monaten in diesem System bin. Ich kann deshalb unbelastet arbeiten“, sagt er.

Duell mit seinem Vorgänger

Überrascht habe ihn in den vergangenen Monaten wenig. „Dass die Deutschen sehr gute Grundlagen haben, über ein sehr ausgeprägtes Abwehrverhalten verfügen und sich schnell an neue taktische Strukturen gewöhnen, wusste ich. Jetzt, da ich ein paar Monate mit ihnen arbeiten durfte, verstehe ich auch die kulturellen Hintergründe, warum das so ist“, sagt er. Verbesserungspotenzial sieht Reckinger, der zwar sehr gut Deutsch spricht, seine Ansprachen aber noch auf Englisch halten wird („Damit ich auch wirklich das sage, was ich meine“), in der Effektivität im Ausnutzen von Torchancen. „Und wir müssen in Sachen Athletik und Geschwindigkeit zulegen, wenn wir in der Weltspitze mithalten wollen“, sagt er.

Der aktuelle Weltranglistenplatz sechs spiegele zwar das Niveau wider, auf dem sich das deutsche Damenhockey aktuell bewege, dennoch hätte er nichts dagegen, „wenn wir in Auckland besser abschneiden“. Ergebnisse stehen beim World-League-Finale, für das er acht Hamburgerinnen nominiert hat, indes nicht im Vordergrund. „Mir ist wichtig, dass wir uns in jedem Spiel weiterentwickeln. Unser Fokus liegt aber auf der WM 2018“, sagt er.

Gespür für Timing

Dass es in der Vorrunde nach dem Auftaktmatch gegen Olympiasieger England (Sa, 0 Uhr MEZ) und vor dem Gruppenabschluss gegen Argentinien (Di, 6 Uhr) am Sonntag (6 Uhr) zum ersten Duell mit Mülders und dessen neuem Team kommt, sei nur ein vergnüglicher Nebenaspekt. „Die Mädels werden sich auf ihr Spiel konzentrieren und sich totlachen, wenn sie mich Chinesisch sprechen hören“, glaubt Mülders. „Wir werden uns vorm Spiel fest in die Arme nehmen, und nach dem Spiel werde ich mich für die Punkte bedanken“, sagt Reckinger.

So richtig aufregend wird es für den verheirateten Vater eines Sohnes (3) erst nach seinem Premierenturnier werden. Am 28. November ist die Rückkehr nach Belgien geplant, einen Tag später soll seine Tochter auf die Welt kommen. Ein Gespür für Timing besitzt er also auch.

Die deutschen Herren gewannen das letzte von drei Testspielen gegen England in Mannheim 5:2. Niklas Bruns und Constantin Staib (beide Club an der Alster) trafen. Anschließend nominierte Bundestrainer Stefan Kermas die Hamburger Tobias Walter, Tobias Hauke (beide HTHC), Johannes Große, Dieter Linnekogel, Staib (alle Alster) und Florian Fuchs (Bloemendaal/Niederlande) für das World-League-Finale im indischen Bhubaneswar (1. bis 10. Dezember).