Hamburg. Christian Blasch macht eine „fatale“ Beobachtung und weiß, wie auch im Fußball „enormer Druck“ von Referees genommen werden könnte.

Die Diskussionen um das Thema „Videobeweis in der Bundesliga“ haben am Montag zu einer Reaktion im Deutschen Fußball-Bund geführt. Der frühere Fifa-Schiedsrichter Hellmut Krug (61) wurde als Projektleiter abgesetzt und soll sich künftig auf die inhaltliche Analyse und die fachliche Dokumentation konzentrieren. Krugs Posten übernimmt Lutz-Michael Fröhlich (60), Sportlicher Leiter der Eliteschiedsrichter. Krug steht seit Wochen im Zentrum der Kritik rund um den Videobeweis – und intern auch wegen seines Führungsstils .

Christian Blasch hat diese Entscheidung ebenso wie die Entwicklungen der vergangenen Wochen als interessierter Fan verfolgt, allerdings aus einem ganz eigenen Blickwinkel. Der 42-Jährige ist Deutschlands bester Hockey-Schiedsrichter und in dieser Funktion seit den Olympischen Spielen 2008 mit dem Videobeweis vertraut, den die für mutige Innovationen bekannte Sportart seitdem bei internationalen Turnieren und im Europacup einsetzt. In der Bundesliga fehlen die finanziellen und technischen Mittel dafür. Da Hockey besser mit dem Fußball vergleichbar ist als Football oder Eishockey, die auch mit dem Videobeweis arbeiten, aber per se deutlich mehr Unterbrechungen des Spielflusses aufweisen, ist Blasch’ Einschätzung der aktuellen Lage im Fußball hochinteressant.

„Die Einführung wirkt überhastet“

„Grundsätzlich wirkt die Einführung überhastet, viele Dinge scheinen nicht durchdacht worden zu sein“, sagt er. Für besonders befremdlich hält der Mülheimer zwei Dinge: zum einen, dass der Videoschiedsrichter aktiv ins Spielgeschehen eingreift. Im Hockey wird er nur tätig, wenn einer der beiden Schiedsrichter oder die Spieler den Videobeweis einfordern, der nur bei Strafecken-, Siebenmeter- oder Torentscheidungen genommen werden darf. Vor vier Jahren wurde den Teams dieses Einspruchsrecht zugestanden, das man so oft pro Spiel hat, so lange man im Recht bleibt. 80 Prozent der Videobeweise gehen mittlerweile auf Teameinsprüche zurück. „Das hat enormen Druck von den Schiedsrichtern genommen. Ich empfehle dem Fußball dringend, das auch einzuführen“, sagt Blasch.

Zum anderen wundert ihn, dass der Spielleiter die Entscheidung seines Videoassistenten auf einem Bildschirm am Spielfeldrand kontrollieren kann. „Damit verlängert man die Dauer erheblich und untergräbt zudem die Autorität des Videoschiedsrichters. Der Eindruck entsteht, dass sich die Kollegen im Fußball nicht über den Weg trauen, das ist fatal“, sagt er. Die Klagen über unterbrochenen Spielfluss würden abnehmen, je weniger Zeit die Kontrolle benötige. Im Hockey fällt der Videoassistent seine Entscheidung meist innerhalb von 60 Sekunden.

Verständnis für die Unsicherheit

Verständnis zeigt Blasch für die Unsicherheit, die seine im Fußball pfeifenden Kollegen aktuell ausstrahlen. „Natürlich ist der Druck auf die Schiedsrichter gerade sehr hoch, weil der Eindruck erweckt wird, sie dürften sich nun, da sie den Videobeweis als Hilfsmittel haben, keine Fehler mehr erlauben. Die Zweifel sind extrem groß, weil es typisch deutsch ist, Veränderungen erst einmal abzulehnen“, sagt er. Dennoch rät er dazu, mit Gelassenheit zu reagieren „und nicht minutenlang nach einem Fehler zu suchen, der vielleicht gar nicht vorliegt“.

Geduld sei in der Fußball-Bundesliga nun das Gebot der Stunde. „Wir haben im Hockey, das bei Weitem nicht so im Fokus steht wie der Fußball, auch zwei Jahre gebraucht, bis sich alles eingespielt hatte. Man muss sich herantasten an das, was sinnvoll ist.“ Mittlerweile sei der Videobeweis aus dem Spitzenhockey nicht mehr wegzudenken. „Er hat für mehr Gerechtigkeit gesorgt und ist für mich ein zusätzliches Sicherheitsnetz“, sagt Blasch. „Deshalb rate ich dem Fußball, diese Saison ehrlich und offen als Testphase zu nutzen und danach zu entscheiden, was man optimieren kann, damit alle Seiten glücklich sind.“ Ob im aufgeheizten Businessbetrieb Bundesliga diese Geduld aufgebracht wird, bleibt abzuwarten.