Hamburg. Profiboxerin Susi Kentikian plant nach ihrem 30. Geburtstag die nächsten Schritte im Ring und auch im Leben.

Inaktiv – das ist der Status, mit dem Susi Kentikian derzeit in der weltweiten Profibox-Datenbank „Boxrec“ geführt wird. Wer sie kennt, diese 152 Zentimeter kleine Powerfrau, wird dieses Wort niemals mit ihr verbinden. Aber die Statistiker sind gnadenlos. Wer mehr als ein Jahr nicht zu einem Wettkampf in den Ring gestiegen ist, wird als inaktiv abgespeichert, und weil ihr letzter Auftritt als Fliegengewichtsweltmeisterin 13 Monate zurückliegt, kann sich die in Armenien geborene Hamburgerin gegen das Signum nicht wehren.

Wobei das nicht ganz richtig ist. Sie hätte längst kämpfen können, Angebote gab es. Aber die kamen aus dem Ausland, mehr als 10.000 Euro brutto wären dort nicht zu verdienen gewesen. Für eine, die sich in ihren besten Zeiten für das Fünffache nicht die Handschuhe übergestreift hätte, sind solche Angebote Tiefschläge. Dann lieber inaktiv, auch weil die besten Zeiten – als Jungstar im Hamburger Universum-Stall – lange vergangen sind. Ihre letzten beiden Kämpfe, im Oktober 2015 gegen Susana Cruz Perez aus Mexiko im Wilhelmsburger Inselpark und im Juli 2016 in der Sporthalle Hamburg gegen die Kroatin Nevenka Mikulic, waren Minusgeschäfte.

Auf falsche Berater eingelassen

Kentikian hatte sich auf falsche Berater eingelassen, nicht zum ersten Mal seit der Trennung von ihrem ersten Manager Christoph Wesche vor fünf Jahren, sie war bitter enttäuscht worden und hatte sportlich nicht überzeugen können, weil der Kopf nicht frei war für den Sport. Weil das professionelle Frauenboxen in Deutschland die Talsohle erreicht hat, ist es still geworden um die Boxerin Kentikian. Phasen mit monatelangen Pausen hat sie immer mal erlebt, aber mehr als ein Jahr ausgesetzt hat sie noch nie, seit sie 2005 Profi geworden war.

Die Zeit abseits von Gym und Ring hat sie genutzt, um sich mit Alternativen für das Leben nach dem Leistungssport zu befassen. Sie ist in der RTL-Show „Let’s Dance“ angetreten, „das hat meinem Selbstbewusstsein gut getan, weil ich Hemmungen überwunden und mich von einer anderen Seite gezeigt habe.“ Da stand nicht mehr die Kämpferin vor der Kamera, sondern eine trotz ihres wilden Temperaments bisweilen schüchterne Frau, die endlich einmal ihre weiblichen Züge betonen durfte.

Lehren aus den Enttäuschungen gezogen

Seit Montag ist Susi Kentikian 30 Jahre alt. Sie hat ihren Geburtstag nicht gefeiert, plant auch keine große Party. Aber nicht, weil sie mit dem Altern Probleme hätte, nein: „Ich habe das Gefühl, dass ich in den nächsten Monaten viele Anlässe zum Feiern haben werde.“ Es ist dieser Lebensmut, mit dem sich das Flüchtlingskind durch alle Untiefen des Lebens manövriert hat. „Ich verliere nie den Glauben an das Gute im Menschen, denn wer diesen aufgibt, gibt sich selbst auf“, sagt sie.

Dennoch habe sie Lehren aus den Enttäuschungen der vergangenen Jahre gezogen. „Ich habe an Erfahrung gewonnen und lerne immer mehr, mich nicht mehr auf die falschen Leute einzulassen. Ich bin kein Objekt, das man benutzen kann. Ich warte jetzt, bis die guten Sachen kommen“, sagt sie. Das bleibt zu beweisen. Dass sie sich nicht hetzen lässt und die Angebote, die sie beispielsweise für die Teilnahme an fragwürdigen TV-Shows erhält, sorgfältig abwägt, nährt die Hoffnung, dass sie tatsächlich „die richtige Spur gefunden“ hat, wie sie selber voller Überzeugung sagt.

Gesangsausbildung angedacht

Was also soll werden aus dem nächsten Lebensjahrzehnt? Susi Kentikian schüttelt ihre schwarze Lockenmähne, dann zählt sie ihre Prioritäten auf. Motivationstraining möchte sie auf ihrer neuen Internetpräsenz (kentikian.com) anbieten, Trainerstunden geben und Vorträge halten. Ein Casting für eine Rolle in einem Boxerfilm hat sie hinter sich, auch die seit Jahren angedachte Gesangsausbildung möchte sie forcieren.

Und auch so etwas wie „Let’s Dance“ wäre einen weiteren Versuch wert, „wenn es zu mir passt“. Ihr Herzenswunsch aber ist die Rückkehr in den Ring, „und weil ich all das, was ich geschafft habe, nur schaffen konnte, weil ich an mich geglaubt habe, glaube ich auch jetzt, dass ich stärker als je zuvor zurückkehren werde!“ Einen Trainer hat sie derzeit nicht, sie hält sich mit Grundlagentraining im Fitnessstudio und beim Joggen fit.

Neues Ziel

Weil das Profiboxen derzeit wenig Anreiz liefert, hat sie sich ein neues Ziel gesteckt: Olympia. Bevor sie Profi wurde, waren Boxerinnen bei den Spielen nicht zugelassen. 2012 in London feierten sie Premiere, vor Rio 2016 öffnete der olympische Weltverband den Profis seine Türen. 2020 in Tokio wird es fünf statt drei Frauenklassen geben. „Ich kann also Profi bleiben und trotzdem zu Olympia. Ich habe immer davon geträumt, einmal Gold bei Olympia zu holen“, sagt sie.

Für dieses Ziel will sie zu ihrem ersten Trainer Frank Rieth zurückkehren, der sie als Zwölfjährige entdeckte und ihr die Grundlagen beibrachte, von denen sie bis heute zehrt. Schon vor ihren letzten Kämpfen half Rieth ihr in der Vorbereitung, durch die Aufhebung der Trennung zwischen Amateuren und Profis dürfte er nun offiziell in ihrer Ecke stehen. „Frankie ist genau der Richtige, weil er mir den nötigen Dampf machen wird.“ Mit inaktiv ist es dann endgültig vorbei.