Hamburg. Bei der Judo-WM in Ungarn bestreitet die 22 Jahre alte Hamburgerin Nieke Nordmeyer ihre ersten Welttitelkämpfe im Seniorenbereich.

Ist jemand, der im Alter von vier Jahren beschließt, Olympiasieger zu werden, größenwahnsinnig, zielstrebig oder einfach nur kindlich-naiv? Einen wichtigen Eindruck davon, welche Antwort auf sie zutrifft, könnte Nieke Nordmeyer in dieser Woche bekommen. Bei der Judo-WM in Ungarns Hauptstadt Budapest bestreitet die 22 Jahre alte Hamburgerin ihre ersten Welttitelkämpfe im Seniorenbereich.

Und obwohl sie in der Gewichtsklasse bis 52 Kilogramm, die an diesem Dienstag auf dem Programm steht, in der Weltrangliste nur Rang 58 belegt, hat sie sich einen Platz unter den besten sieben als Ziel gesetzt. „Immerhin bin ich in meinem zweiten Erwachsenenjahr schon die deutsche Nummer eins, daraus ziehe ich Selbstbewusstsein“, sagt sie. Eine Schnellstarterin ist Nieke Nordmeyer trotz ihrer nationalen Ausnahmestellung nie gewesen.

„Ich bin kein Supertalent“

„Ich bin ein Typ, der Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Ich bin kein Supertalent, sondern eine harte Arbeiterin, aber das hat mir geholfen, um immer dranzubleiben und nicht den Fokus zu verlieren“, sagt sie. Zum Judo war sie gekommen, weil die Eltern es wichtig fanden, dass die Tochter Sport treibt. Und weil sie schon immer gern raufte, fiel die Wahl auf den Kampfsport. Beim Harburger Turnerbund lernte sie die Grundlagen, heute ist der TH Eilbeck ihr Heimatverein, obwohl sie seit drei Jahren in Köln lebt, um am Bundesstützpunkt zu trainieren.

Der Umzug war erzwungen, „sonst wäre ich aus der Nationalmannschaft geflogen“, gestört hat er sie nicht. „Ich bin ein Freigeist, wollte mich unbedingt auf den Sport fokussieren. Wo, das war mir egal“, sagt sie. Für den Traum vom Olympiasieg lebte sie im ersten Jahr in Köln von 100 Euro Sporthilfe im Monat, weil sie von ihren Eltern unabhängig sein wollte. Im Internat der Sporthochschule, wo sie Sport und Leistung studiert, durfte sie umsonst übernachten.

Seit zwei Jahren ist sie Sportsoldatin

Seit zwei Jahren ist die Absolventin der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg nun Sportsoldatin, „seitdem kann ich mich unbeschwerter auf Judo konzentrieren, was mir sehr gut tut“. Sich kompromisslos in ein Ziel verbeißen zu können, das betrachtet Nieke Nordmeyer als ihre größte Stärke – und ihre größte Schwäche zugleich. „Das Problem ist, dass man manchmal verkrampft, wenn man sich zu sehr auf ein Ziel versteift“, sagt sie. Im Judo, wo es keine Gruppenphase gibt, in der man eine Niederlage ausgleichen kann, ist die Vorbereitungsarbeit von vielen Monaten manchmal im Bruchteil einer Sekunde über den Haufen geworfen.

Um diese mentale Höchstbelastung besser zu meistern, arbeitet die Harburgerin seit einiger Zeit mit einem Psychologen zusammen, der ihr beigebracht hat, Erwartungen von außen nicht in Druck umzusetzen. „Ich weiß, was ich kann, darauf fokussiere ich mich“, sagt sie. Acht Monate war Nieke Nordmeyer nun fast ununterbrochen in Trainingslagern, um sich auf den Saisonhöhepunkt in Ungarn vorzubereiten. Abschalten wird sie auch nach der WM nicht, dann steht ein dreiwöchiger Bundeswehrlehrgang an.

„Amandine ist meine Kraftquelle“

Zum Glück hat sie eine Verlobte, die aus eigener Erfahrung heraus größtes Verständnis für die Nöte einer Leistungssportlerin aufbringt. Die Französin Amandine Bouchard ist Weltranglistenachte in der 52-Kilo-Klasse, das Paar trainiert gemeinsam und kämpft sogar manchmal gegeneinander – aber nur auf der Matte. „Amandine ist meine Kraftquelle“, sagt Nieke Nordmeyer.

Freie Zeit verbringen sie entweder bei Bouchards Familie in Paris oder im Ferienhaus der Familie Nordmeyer in der Lüneburger Heide. Dort in ein paar Wochen auf eine erfolgreiche WM zurückschauen zu können, das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg, 2020 in Tokio das Ziel aus Kindertagen zu verwirklichen.

Mit Martyna Trajdos (Eimsbütteler TV) geht die zweite Hamburger WM-Starterin in der Klasse bis 63 Kilogramm als Medaillenkandidatin am Donnerstag an den Start. Nordmeyer und Trajdos kämpfen zum Abschluss am Sonntag auch noch im Teamwettbewerb.