Washington. Alexander Zverev ist nach seinem Sieg in Washington Vierter der Jahreswertung. Nur die ganz Großen übertreffen Hamburgs Tennis-Export.

Alexander Zverev hatte sich schon bei ganz Washington und seinem Helferteam bedankt, da kam an diesem strahlenden Sommertag mit emotionalen Worten auch Mutter Irina an die Reihe. Über all die Jahre halte sie nun den Laden zusammen bei den Tennis-Expeditionen der Zverevs in jedem Winkel der Welt, sie habe zusammen mit Vater Alexander auch für das unglaubliche Kunststück gesorgt, „dass zwei Brüder mit komplett unterschiedlichem Stil unter den besten 30 stehen“, und schließlich sorge sie ja auch noch dafür, „dass unser Pudel bei den Turnieren den nötigen Ausgang erhält. Der kann ja nicht zwei Stunden am Stück still sitzen.“ Da lachte auf dem Centre Court selbst Finalverlierer Kevin Anderson (Südafrika) mit.

Zwei Stunden Spielzeit allerdings brauchte Zverev ganz und gar nicht bei seinem vorerst letzten Siegeszug im ATP-Wanderzirkus, bei seinem bereits vierten Titelgewinn in dieser Paradesaison. Wie er sich auf der Zielgeraden des topbesetzten Wettbewerbs in der US-Kapitale durchsetzte, war in seiner ganzen Selbstverständlichkeit einfach imponierend.

Anderson, der 2,03-Meter-Riese, hatte im Endspiel (4:6, 4:6) genau so wenig eine Siegchance wie zuvor Japans Superstar Kei Nishikori im Halbfinale – jeweils nur rund eine Stunde brauchte der 20-jährige Hamburger für seine Triumphe. „Schlichtweg erstaunlich“ seien Zverevs Auftritte, gab der frühere Weltranglisten-Erste Jim Courier zu Protokoll, nicht gerade als Mann haltloser Schwärmereien bekannt. Zverev, so Courier, „hängt gerade alle Spieler seiner Generation weit ab“.

Zverev wird nur noch von den ganz Großen übertroffen

Nicht nur die. Zverev, die Nummer acht der Weltrangliste, wird in der Spielzeit 2017 nur noch von den ganz Großen übertroffen, von den beiden Altmeistern Roger Federer und Rafael Nadal. Federer schwebt in seiner eigenen Liga, mit zwei Grand Slam-Titeln und weiteren Erfolgen in Indian Wells, Miami und Halle. Dann kommt Rafael Nadal, der die French-Open-Krone und drei weitere Siege holte. Dann aber kommt auch schon Zverev mit seinen vier Turniersiegen, darunter immerhin auch der Masters-Coup in Rom (gegen Novak Djokovic) und nun der erste Sieg in der zweithöchsten ATP-Kategorie 500 in Washington.

„Er ist weiter als 99 Prozent der Spieler in diesem Alter“, sagt Zverevs neuer Coach, der frühere Weltranglisten-Topmann Juan Carlos Ferrero. Der unprätentiöse Spanier gilt als kluger Stratege und gewiefter Taktiker, er passt allem Anschein nach bestens in die Servicetruppe von Zverev hinein.

Ferrero sagte in Washington auch, in Zverev stecke trotz aller frühen Reife noch „gewaltiges Entwicklungspotenzial. Mental hat er noch Defizite, er hat diese Frustrationsphasen in manchen Spielen. Das ist aber normal bei jemandem, der 20 ist.“ Andererseits ist auch dies festzustellen: Zverev hat immer wieder die Qualität, gestärkt aus sportlichen Enttäuschungsmomenten hervorzugehen.

Zverev liegt klar auf Kurs

Wimbledon und den Rasen verließ er nach der unnötigen Achtelfinal-Niederlage gegen Kanadas Ballermann Raonic mit den Worten, alle sagten immer, man könne aus Niederlagen lernen, er sei es „aber langsam satt zu lernen“. Und nun, nach einer kleinen Sommerpause und körperlicher Auffrischung: Ein Turnierauftritt wie aus einem Guss, voller Souveränität und Selbstsicherheit, Siege fast ohne Makel. So ungefährdet gewann Zverev am Ende, dass es selbst die notorisch nervöse Mutter Irina auf dem Centre Court hätte miterleben können – wenn denn Pudel Lörvik nicht gerade den fälligen Auslauf gebraucht hätte.

Blickt man auf Alexander Zverev, kommt man gar nicht umhin, ihn mit den großen Namen der Branche zu vergleichen. Alle Spieler, die seit dem Jahr 2000 in der Frühzeit ihrer Karriere, also vor dem 21. Lebensjahr, schon vier Titel in einer Saison gewannen, wurden später auch Grand-Slam-Champions: Marat Safin, Lleyton Hewitt, Andy Roddick, Rafael Nadal, Novak Djokovic und zuletzt Juan Martin del Potro im Jahr 2008. „Ich bin noch längst nicht am Ende meiner Möglichkeiten, ich habe noch viel Arbeit vor mir“, sagte Zverev selbst, „aber ich habe mir auch bewiesen, dass ich schon mit den Großen mithalten und sie besiegen kann.“

Tatsächlich, das hat er: Von den aktuell besten zwanzig Spielern in der Weltrangliste hat er gegen 15 mindestens einmal gewonnen, darunter auch gegen Federer, Nadal und Djokovic. Dennoch wird Zverev immer noch als Next-Generation-Spieler vermarktet, dabei ist er aus dieser Rolle faktisch schon herausgewachsen. In der Jahreswertung der Profis liegt er auf Platz vier, vor ihm sind nur Federer, Nadal und der Österreicher Dominic Thiem besser platziert.

Zverev liegt klar auf Kurs, im November bei der Weltmeisterschaft in London dabei zu sein, beim rauschenden Saisonfinale in der 02-Arena – umso mehr, da Djokovic und der Schweizer Stan Wawrinka schon verletzungsgeplagt die Serie 2017 beendet haben. „Ich bin kein In-der-Zukunft-Typ“, sagt Zverev. „Ich bin einer, der hier und jetzt stark sein will.“ Das gelingt ihm nicht immer, aber immer öfter.