London. Kontrahenten feuern zum Abschluss der “MayMac World Tour“ eine Kanonade der Geschmacklosigkeiten ab. 10.000 Fans sind begeistert.

Erstaunliche Mengen leerer Bierflaschen sind das, die dort liegen, wo kurz zuvor noch Tausende Menschen standen. Man könnte mit dem, was die Massen allein während des Wartens in sich hineingeschüttet haben, wohl einen ganzen Londoner Pub eine Nacht lang betreiben, sogar mit Überschreitung der Sperrstunde. Aber was ist schon eine Nacht in einer Bar gegen den Wahnsinn, der in der SSE-Arena in Wembley tobt am Freitagabend?

Willkommen zur "MayMac World Tour", der als Pressereise getarnten Weltmeisterschaft im Aneinanderreihen von Schimpfwörtern. Es treten gegeneinander an: Der US-Amerikaner Floyd Mayweather (40), unter Kampfsportfans bekannt als der gewichtsklassenübergreifend wohl beste Boxer aller Zeiten; und der Ire Conor McGregor (29), Superstar der Käfigkämpfer und erstes Mitglied der Ultimate Fighting Championship (UFC) mit WM-Titeln in zwei Gewichtsklassen gleichzeitig.

McGregor muss auf Tritte verzichten

Am 26. August messen sich die beiden Kämpfer in Las Vegas im Ring nach Boxregeln im Superweltergewicht (bis 69,8 kg), das bedeutet, McGregor darf nicht treten, keine Ellbogen und Knie benutzen und nicht nachschlagen, wenn der Gegner am Boden liegen sollte. Und weil Experten der Meinung sind, das Duell könne mit einem Erlös von mehr als 600 Millionen US-Dollar zum umsatzträchtigsten Faustkampf der Geschichte werden, hat die Marketingmaschinerie eine „Welttournee“ mit Stopps in Los Angeles, Toronto, New York vorgesehen – und einem Abschluss in London.

Irische Fans in ihrem Element

Dort, wo am Abend danach der Berliner Arthur Abraham gegen IBO-Supermittelgewichtschampion Chris Eubank jr. (England) antreten soll, brennt am Freitagabend die Luft. Die 10.000 Fans, die eine der kostenfreien Eintrittskarten ergattern konnten, scheinen Testosteron statt Bier aus ihren Plastikbechern zu saufen. Geschätzt 98 Prozent von ihnen sind junge bis mittelalte Männer, viele gekleidet in die grünen Leibchen der irischen Fußballnationalmannschaft, die irische Trikolore um die Schultern geknotet. Sie singen, wie man das von irischen Sportfans kennt – nicht immer schön, aber immer laut und ohne lange Pausen. Es riecht nach Bier, aber nicht nach Sieg und Sensation, sondern nach dem kalkulierten Eklat, den diese skurrile Tour schon dreimal geboten hat. In den USA hatten die beiden Hauptdarsteller die Klaviatur der Provokationen ausgereizt, sie hatten mit Geldscheinen geworfen, die Rassismus- und Homophobiekarten gespielt und sich überhaupt ganz mies benommen.

Ohrenbetäubende Pfiffe für Mayweather

Zwei Stunden warten die Fans, auf einen leeren Ring starrend und von ohrenbetäubendem Gangsta-Rap beschallt, auf ihr Idol und ihren neuen Lieblingsfeind. Und als es dann losgeht, spielt Mayweather, der sich selbst nach dem wichtigsten Antrieb in seinem Leben nur „Money“ nennt, seine Rolle als Hassfigur mutig und gut, das hat er schon immer getan, und darauf ist Verlass. Er kommt als Zweiter in die Arena, die bei McGregors Walk-in fast explodierte und nun zusammenzubrechen droht unter den Buh-Rufen und Pfiffen der aufgeheizten Masse, die dem „Pretty Boy“ ein tausendfaches „Who are you?“ entgegenschleudert.

Tourette-Syndrom in Dauerschleife

Und dann wird sie abgefeuert, die Kanonade der Geschmacklosigkeiten. Eine Aneinanderreihung von schmutzigen Worten, Tourette-Syndrom in Dauerschleife. Hätte ein US-Zensor Hand anlegen dürfen an die Aufzeichnung – dem Zuhörer würde das Dauerpiepen wie ein Tinnitus vorkommen. Aber das hier ist live und leider ungeschnitten! Wer bis Freitag ernsthaft bezweifelte, dass der Mensch vom Affen abstammt, der bekommt in der SSE-Arena den Gegenbeweis geliefert. Wie zwei Gorillas im Revierkampf springen die Schauspieler umeinander her, bellen sich an wie aufgeputschte Kampfhunde. Sie versuchen nicht einmal, lustig zu sein, es bleibt beim stumpfen Beleidigen des anderen und dem blasierten Preisen des eigenen Selbst.

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In Wahrheit nichts ist als eine Mogelpackung

Wenn die Chöre der Fans, die Mayweather singend auffordern, seine Steuerschulden zu bezahlen, sich hinzusetzen und zu schweigen, das Einzige sind, was das Niveau des Spektakels ein kleines Stück vom klebrigen Bodensatz des Prekariats abhebt, ist wohl alles gesagt über eine Veranstaltung, die letztlich bestens zu dem passt, was sie bewirbt. Zu einem Event, das von denen, die damit viel Geld verdienen werden, als größter Kampf der Ge-schichte angepriesen wird, aber in Wahrheit nichts ist als eine Mogelpackung, die dem Ansehen beider Sportarten schaden dürfte.

Boxpuristen sagen gern, dass Mayweather gegen McGregor Zirkus sei, den niemand brauche. Das ist schon deshalb falsch, weil das Interesse an diesem Zirkus so groß ist, wie es sich selbst ein Roncalli kaum erträumen könnte. Nun lässt sich über Geschmack nicht streiten, viele Menschen hören ja auch die Musik von Helene Fischer, schauen Dschungelcamp, essen Rosenkohl oder wählen die AfD.

Wie FC Bayern gegen Rugbymeister

Das Traurige ist nur, dass den Fans tatsächlich so lange suggeriert wird, McGregor könne das schaffen, was in 49 Kämpfen keinem Boxprofi gelang, bis sie es glauben und bereit sind, bis zu 83.000 Dollar für einen Platz am Ring zu bezahlen, um zusehen zu dürfen. Dabei ist für den bärtigen Iren ein Sieg gegen Mayweather nur dann möglich, wenn er abgesprochen würde. Alles andere ist schlicht undenkbar. Es ist ja nicht mal so wie im DFB-Pokal, wo der Sechstligist aus Brandenburg in der ersten Runde gegen Bayern München antritt und an einem völlig verrückten Tag eine klitzekleine Chance auf eine Überraschung hat, nein. Mayweather gegen McGregor, das ist wie Bayern München gegen den deutschen Rugbymeister nach Fußballregeln. Aussichtslos, es sei denn, Robert Hoyzer pfeift und die Brüder aus seinem Wettcafé stehen an der Linie.

Weil dies jedoch, zumindest überwiegend noch, eine freie Welt ist, muss man mit Spektakeln wie dem am 26. August leben. Und anerkennen, dass man es mit schlauen Geschäftsmännern zu tun hat, die sich für das Volk zum Affen machen und später gemeinsam die Hände reiben. Was fehlte auf der „MayMac World Tour“, das war eine körperliche Auseinandersetzung. Mit dieser hatten viele für London gerechnet, nach dem Motto „Save the worst for last“. Floyd Mayweather und Conor McGregor schlagen sich bis zum 26. August zwar – aber nur auf die Schenkel, vor Lachen darüber, dass sie so viele Menschen an der Nase herumführen.

Auf dem Weg durch das Bierflaschen-Labyrinth zum U-Bahnhof Wembley Park unterhalten sich zwei junge Männer, nicht erkennbar einem Fanlager zuzu-ordnen. „Das sind schon beides ziemliche Arschlöcher“, sagt der eine. Der andere nickt, dann sagt er: „Aber zwei ziemlich clevere Arschlöcher.“