Hamburg. In der Elbphilharmonie stellt der 41 Jahre alte Ukrainer seine beruflichen Pläne vor, lässt aber das sportliche Vorhaben offen.

Da gab es diesen Moment, in dem das Vorhaben, die wichtigste Frage nicht zu beantworten, in sich zusammenzufallen drohte. „Sportlich bin ich fast vor der Rente, aber nur fast“, sagte Wladimir Klitschko, und natürlich glaubten diejenigen Zuhörer, die in dem 41 Jahre alten Ukrainer noch immer den Schwergewichtsboxer sehen, endlich einen Anhaltspunkt dafür gefunden zu haben, dass Klitschko seine Karriere fortsetzen würde. Immerhin steht seit dem 29. April, als er im Londoner Wembleystadion dem Briten Anthony Joshua (27) in einer epischen Schlacht durch technischen K. o. in Runde elf unterlegen war, die Entscheidung aus, ob der vertraglich vereinbarte Rückkampf stattfinden soll.

Nun wäre der Kleine Saal der Elbphilharmonie, in den Klitschko am Mittwochmittag geladen hatte, ein angemessener Ort gewesen, um einen Schlussstrich zu ziehen unter eine aktive Leistungssportkarriere, die in der Nacht von Wembley trotz des Ergebnisses einen krönenden Höhepunkt haben würde.

„Trotz der Niederlage viel gewonnen“

Er habe, gab der Zweimeterhüne zu, „trotz der Niederlage so viel gewonnen. Die Reaktionen und der Zuspruch der Fans waren überwältigend.“ Dennoch war er nicht bereit, die Entscheidung, auf die die Boxwelt wartet, bekanntzugeben, und das hatte zwei Gründe. Zum einen ist der langjährige Dreifachchampion selbst noch nicht sicher, wie es weitergehen soll, „innerhalb der nächsten 14 Tage werde ich mich entscheiden“.

Zum anderen aber hatte er eine Mission zu erfüllen. Der Termin in Hamburgs angesagtester Location war schon vor dem Duell mit Joshua gebucht worden, um der Öffentlichkeit das vorzustellen, woran er und sein Team eineinhalb Jahre gearbeitet haben: die Marke „Klitschko“. Und diese Präsentation sollte nicht durch sportliche Fragen verwässert werden.

Klitschko als Dozent

Seit vergangenem Jahr bietet der Wahl-Hamburger an der Schweizer Elite-Universität St. Gallen ein Studienmodul zum Thema „Change and Challenge Management“ an, in dem er als Dozent seine im Sport gemachten Erfahrungen mit dem Bestehen von Herausforderungen teilt. Ziel ist es, Menschen dabei zu unterstützen, berufliche oder private Vorhaben umzusetzen.

Flankiert von einer Smartphone-App, die unter dem Slogan „Decoding Success“ auf mit Codes verschlüsselte Audio- und Videobotschaften setzt, und einer völlig neu gestalteten Internetpräsenz (klitschko.com) stellte Klitschko mit der Telekom, dem Softwaregiganten SAP, dem Automobilkonzern Porsche und der Fitnesskette McFit illustre Partner vor, die in Zukunft mit der Marke Klitschko kooperieren wollen. Die Digitalisierung des Mittelstands sei ein Ziel, das man gemeinsam verfolgen wolle, „denn darin liegt der Erfolg der Zukunft“, sagte Klitschko.

Klitschko vs. Joshua im Wembley Stadion:

Klitschko vs. Joshua im Wembley Stadion

Klitschko geriet ins Hintertreffen
Klitschko geriet ins Hintertreffen © Getty Images | Richard Heathcote
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Nun ist es grundsätzlich absolut positiv, wenn Leistungssportler sich Gedanken über ihre Zukunft machen. Die stark amerikanisierte Art der Präsentation jedoch, dieses Bauchpinseln vor Publikum, wirkte befremdlich und hatte hoch peinliche Fremdschäm-Momente. Als beispielsweise Mc-Fit-Gründer Rainer Schaller seine Lobpreisung des Geschäftspartners Klitschko mit den Worten „Ich liebe dich“ garnierte, hätte nur noch gefehlt, dass unter den rund 500 Ehrengästen und Medienvertretern Heizdecken mit Mc-Fit-Logo angepriesen worden wären.

Und hätte nicht das formidable „German Pop Orchestra“, das eine Klassikversion von Klitschkos Walk-in-Song „Can’t stop“ der Red Hot Chili Peppers intonierte, im Hintergrund ausgeharrt, dann hätte zwischen all den Werbeeinspielern, in denen Produkte der Partner ebenso angepriesen wurden wie Klitschkos neues Buch und seine in Kürze auf den Markt kommende Sportschuhkollektion, klassische Butterfahrt-Atmosphäre aufkommen können.

Neues Leben als Unternehmer

Wladimir Klitschko ist, spätestens seit er 1996 die Ukraine verließ und im Westen zum Multimillionär wurde, ein global denkender Mensch. Er kämpft darum, die weltweite Bedeutung, die ihm sein sportliches Können eingebracht hat, in sein neues Leben als Unternehmer hinüberzuretten. Und er ist ein Showman, der das Rampenlicht liebt. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass er noch vorrangig als Boxer wahrgenommen wird und nicht als Unternehmer. Darin liegt der Knackpunkt, denn in gewisser Weise studiert der Doktor der Sportwissenschaften sein Change Management an sich selbst.

Der Unternehmer Klitschko kann den Rückkampf mit Joshua nicht ablehnen angesichts von mindestens 20 Millionen Euro Börse, die zu verdienen wären. Der Sportler Klitschko, bekannt geworden durch seine defensive, auf eigene körperliche Unversehrtheit bedachte Kampfführung, sollte dagegen immerhin in Erwägung ziehen, dass er bei einer erneuten – und vielleicht deutlicheren – Niederlage viel mehr verlieren könnte als nur einen weiteren Kampf. Und der Mensch Klitschko? Der ist ein Sinnsuchender, zerrissen zwischen Ehrgeiz und Vernunft, der nun den richtigen Zeitpunkt finden muss loszulassen, um anzukommen.