Hamburg. Handballtrainer Torsten Jansen über seine Spielphilosophie, den Nachwuchs des Vereins und den Aufstieg in die Zweite Bundesliga.

Torsten Jansen hat gerade zwei seiner vier Kinder in die Kita gebracht, als er um 8.45 Uhr zum Frühstück mit dem Abendblatt erscheint. Seit sechs Wochen, nach dem Rauswurf von Jens Häusler, trainiert der 40-Jährige die Drittliga des HSV, an diesem Sonnabend (19 Uhr, Sporthalle Hamburg) coacht er gegen den VTB Altjührden das Team des Tabellendritten zum letzten Mal in dieser Saison. Seine Bilanz: fünf Spiele, fünf Siege. Als A-Jugendtrainer hatte er zuvor den HSV-Nachwuchs in der Bundesliga Nord auf Platz drei geführt, die bisher beste Platzierung des Vereins. Am Donnerstag erhielt Jansen seinen Vertrag als Cheftrainer, sein Schwager Lars Hepp (37/VfL Eintracht Hagen) übernimmt vom 1. Juli an die HSV-A- und C-Jugend.

Probleme im Rücken und in der Wade zwangen den Weltmeister von 2007 und Europameister von 2004, der 178 Länderspiele (503 Tore) bestritt, seine Karriere im vergangenen Jahr beim THW Kiel zu beenden. „Ich hätte gerne weitergespielt“, sagt er, „aber mein Körper wollte nicht mehr.“

Herr Jansen, Sie haben 16 Jahre lang Handball auf höchstem Niveau gespielt. Wie schwer fällt es Ihnen, sich in Liga drei zurechtzufinden?

Torsten Jansen: Auch in der Dritten Liga wird guter Handball gespielt. Die Fehlerquote mag höher sein, aber wir bieten offenbar gute und spannende Unterhaltung, sonst würden nicht regelmäßig fast 3000 Zuschauer zu unseren Spielen kommen. Die Herausforderung für mich ist nicht die Dritte Liga, sondern dass ich jetzt an der Seitenlinie stehe, die Gesamtverantwortung trage, auch für die Entwicklung des Vereins, und meine Beurteilung davon abhängt, was meine Spieler anstellen.

Offensichtlich machen die vieles richtig. Innerhalb von neun Monaten haben Sie sich erst als Trainer der A-Jugendbundesliga und jetzt mit fünf Siegen in Folge in der Dritten Liga einen guten Ruf erworben. Sind Sie der geborene Coach?

Eigentlich bin ich immer noch Spieler. Ich habe meine Karriere ja erst vor einem Jahr beendet und sehe vieles noch aus dieser Perspektive, was mir hilft, Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Ich wollte immer meine Erfahrungen an Jüngere weitergeben. Und Handball ist ein Feld, auf dem ich mich sicher fühle, auf dem die Menschen mir glauben, was ich sage.

Reden war aber bislang nicht Ihre hervorstechendste Eigenschaft.

Ich bin kein Mann großer Worte, aber einer von klaren Ansagen. Wenn ich jedoch das Gefühl habe, gerade bei jüngeren Spielern, ein längeres Gespräch wäre angebracht, führe ich es natürlich.

Diejenigen, die Sie als Trainer beobachten, sagen, Sie arbeiteten nach dem Prinzip: je einfacher, desto besser.

Das ist meine Spiel- und Trainingsphilosophie. Handball ist ein einfaches Spiel, warum es also komplizieren.

Ihr Vorgänger Jens Häusler sagte, wenn Handball einfach wäre, wäre es Fußball.

Beim Handball geschieht alles auf engem Raum, mit hoher Geschwindigkeit, meist großer Präzision. Das verlangt den Spielern viel ab, hohe Aufmerksam- und Wachsamkeit. Ich hielte es für falsch, sie mit Systemen zu überfrachten. Das führt dazu, dass jemand, der plötzlich frei vor dem Tor steht, den Ball abgibt, weil er in dem Spielzug nicht derjenige ist, der werfen soll. Ich plädiere für einfache Lösungen, die sind erfahrungsgemäß auf Dauer die besten. Die Spieler sollen ihren Kopf frei haben, um Situationen schnell zu erfassen. Selbstverständlich vermittle ich ihnen Grundfertigkeiten, ein Basissystem, aber auf dieser Grundlage sollen sie auf dem Feld ihre Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen.

Das Sezieren des Gegners aufgrund intensiven Videostudiums halten Sie demnach für übertrieben?

Bereits als Spieler habe ich diese langen Sitzungen vor dem Fernseher nicht gerade geliebt. Auch hier sage ich: alles in Maßen. Ich studiere die Gegner schon, um Muster zu erkennen, weise das Team darauf hin, trainiere entsprechende Spielzüge. Taktische Vorgaben dürfen aber nie zum Korsett werden. Was passiert, wenn der Gegner nicht nach Schema A bis F spielt? Dann müssen wir improvisieren. Dazu sind wir mental leichter in der Lage, wenn nicht alle Abläufe detailliert festgelegt sind.

Hat sich der HSV denn wenigstens auf den Aufstieg in die Zweite Bundesliga festgelegt?

Wir setzten uns kommende Woche zusammen, um die nächste Serie weiter vorzubereiten. Wir haben bereits zwei erfahrene Spieler geholt, fünf A-Jugendliche hochgezogen. Ich mag Sie langweilen, aber ich bin als Profi sehr gut damit gefahren, von Spiel zu Spiel zu denken. Wir haben immer gesagt, dass der Aufstieg ein Ziel ist, aber auch betont,
dass wir dafür nicht unsere Grundsätze über Bord werfen. Wir wollen unsere Talente entwickeln, das heißt auch, dass wir ihnen gestandene Spieler zur Seite stellen, die diese Entwicklung fördern. Im nächsten Jahr ist der Aufstieg noch schwieriger, weil nur zwei der vier Meister der Dritten Ligen aufsteigen. Das ändert nichts an unseren Ambitionen. Wir sind ein Leistungssportverein.

Weil der HSV nur eine Herrenmannschaft hat, ist der Kader mit rund 20 Spielern sehr groß. Gibt es Pläne für ein zweites Team?

Nein. Das müsste in der untersten Klasse anfangen. Das ergibt keinen Sinn, kein guter A-Jugendlicher würde dort spielen wollen. Wir verstehen uns als Leistungssport-, aber auch als Ausbildungsverein. Zu uns kommen viele Jugendliche anderer Clubs. Schaffen sie später nicht den Sprung in unser Herrenteam, könnten sie zu ihrem Verein zurückkehren. Davon profitieren alle. Die Spieler, weil sie bei uns gut ausgebildet wurden, ihr Verein, weil er einen besseren Spieler zurückbekommt und dadurch höhere Ziele anstreben kann.

Wie schätzen Sie das sportliche Potenzial Ihrer Mannschaft ein?

In diesem Team – und in unserer A-Jugendbundesliga – steckt großes Potenzial. Ich sehe bei allen den Willen und die Bereitschaft, hart an sich zu arbeiten; was bei allem Talent immer noch Voraussetzung dafür ist, es irgendwann in die Zweite oder Erste Liga zu schaffen. Das traue ich den meisten unserer Jungs zu. Jeder gibt beim Training 100 Prozent. Das macht richtig Spaß.

Wo sehen Sie derzeit die größten Problemfelder für die Entwicklung des Vereins anderthalb Jahre nach der Insolvenz der damaligen HSV-Bundesligamannschaft?

Dass wir in Hamburg in absehbarer Zukunft keine Internatsplätze mehr für Handballtalente von außerhalb erhalten werden. Zuletzt mussten wir drei A-Jugendlichen absagen, die gern zu uns gekommen wären, weil wir sie nirgendwo unterbringen konnten. Wenn ich die fantastischen Möglichkeiten und Einrichtungen in Potsdam und Berlin sehe, hinkt die Sportstadt Hamburg diesen Leistungsportstrukturen erheblich hinterher. Wir mögen hier zwar großartige Veranstaltungen haben, hochwertigere als anderswo in Deutschland, doch es wäre ebenso wichtig, die Basis zu stärken. Davon könnte die Stadt meines Erachtens noch viel stärker profitieren.

Der Olympiastützpunkt in Dulsberg führt ein Internat, in dem heute auch noch Handballer wohnen.

Wir erhalten aber keine neuen Plätze mehr, weil Handball in Hamburg keine Schwerpunktsportart ist und demnächst auch keine wird. Das Paradoxe ist dabei: Als der HSV noch Bundesliga spielte, hatten wir mehrere Plätze im Internat. Damals hätten wir sie nicht zwingend gebraucht, weil kaum jemand den gewaltigen Sprung von der A-Jugend in die Bundesliga schafft. Jetzt aber brauchen wir sie dringend, weil der Übergang von der A-Jugend in die Dritte Liga wesentlich einfacher und der perfekte nächste Schritt für die Entwicklung dieser Spieler ist.

Welche Konsequenz ergibt sich für den HSV daraus?

Dass wir nur noch Spieler aus der Metropolregion holen können. Oder wir finden Gastfamilien, was uns bislang nicht gelungen ist. Die formalen Anforderungen an eine Gastfamilie sind sehr hoch – auch zu Recht. Denn es geht schließlich darum, dass Eltern ihre Kinder ruhigen Gewissens in die Obhut anderer Menschen geben können.

Können Sie sich vorstellen, demnächst zu einem Verein zu wechseln, der Ihnen bessere Strukturen/Arbeitsbedingungen bietet?

Ich habe den Job übernommen, weil zwei Menschen im Verein, die ich sehr schätze, Präsident Marc Evermann und Sportchef Martin Schwalb, mir diese Aufgabe zugetraut haben. Ich bin beiden loyal verbunden. Schwierigkeiten sind dazu da, sie zu meistern, und zudem fühlen sich meine Familie und ich in Hamburg sehr wohl. Mir würde es schwerfallen, die Stadt zu verlassen.

Wie haben Sie denn Ihre weitere Trainerkarriere geplant?

Ich habe keinen Plan! Als Spieler war das schon schwierig, Pläne zu schmieden, als Trainer fällt das noch schwerer.