Hamburg. Serie: Ist das noch unser Fußball? Früher spielte der SC Sperber in der Regionalliga, heute reicht das Geld kaum für die Bezirksliga.

Jens Stümpel (54) steht im Sport-Duwe-Stadion Alsterdorf am Heubergredder. Das Vorstandsmitglied des Nord-Bezirksligisten SC Sperber deutet auf die Holzbänke der Tribüne: „Mussten wir machen lassen“, sagt er. Er dreht sich um und zeigt auf den Hügel an der Gegengeraden. „Die Befestigung des Walls fiel immer um. Haben wir auch gemacht.“ Es folgt eine Führung durch den Kabinentrakt – wie eine kleine Zeitreise in die 80er-Jahre.

Ein morbider Charme umgibt das Ganze

Zwei Räume, 16 Quadratmeter für die Heimmannschaft, neun für die Schiedsrichter. Plus eine sehr kleine Trainerkabine. Die Fenster werden mit alten Kettenzügen geöffnet. „Die Gäste“, sagt Sperbers sportlicher Leiter und Schatzmeister Olaf Heidrich (48), „müssen sich unten umziehen.“ Den Gang runter befindet sich eine weitere Kabine mit 16 Quadratmetern. Davor ein ausgefranster Schuhabtreter. Stümpel fasst die Lage so zusammen: „Ein leicht morbider Charme umgibt das Ganze.“ Heidrich ergänzt: „Wir benötigen 25.000 bis 40.000 Euro pro Jahr, um das Stadion zu erhalten.“

Gerne würden beide die traditionsreiche Spielstätte modernisieren. Sie ist immerhin Eigentum des einst zweitklassigen Vereins (1966–69 und 1970–72) mit heute noch 400 Mitgliedern in der Fußball­abteilung. Und sie würden gerne noch mehr Jugendarbeit leisten, die ehrenamtlichen Trainer und Helfer wenigstens ab und zu für ihre Kosten und ihren Einsatz höher entlohnen als „mit einer Aufwandsentschädigung im nicht mal dreistelligen Betrag im Monat, der eigentlich absurd ist“, wie Heidrich berichtet. Doch das Geld fehlt überall.

Vielleicht wirkt die aktuelle Entwicklung des Profifußballs so grotesk, weil ein Amateurverein wie der SC Sperber kein Einzelfall ist. Sondern vielmehr ein Fallbeispiel. Die Millionenablösen im Big Business Profifußball erscheinen im Vergleich zu den Sorgen der Basis ebenso abenteuerlich wie die Gehälter, die zum Beispiel der HSV zahlt. Die Not ist groß bei den Kleinen – doch die Großen scheint das wenig zu interessieren.

Ohne Hilfe hätte Sperber kein Stadion mehr

1,5 Milliarden Euro erhalten die Proficlubs jährlich alleine durch den neuen Fernsehvertrag. Die Basis des Fußballs, die 25.000 Amateurvereine, partizipiert mit drei Prozent. „45 Millionen Euro geteilt durch 25.000 Vereine, das sind 1800 Euro pro Verein für eine Saison. Das ist sehr dürftig, das verdampft doch“, sagt Heidrich. Es gibt zwar einige bescheidene Zuschüsse vom Hamburger Fußball-Verband wie für Trainerfortbildungen. Doch ohne Hilfe im eigenen Club hätte Sperber sein Stadion längst aufgeben müssen. „Es gibt Abteilungen hier im Verein, die über den Geschäftsbetrieb ein gewisses Plus erwirtschaften, die helfen uns bei der Instandhaltung der Anlage“, sagt Stümpel. Bei der zusätzlichen Sponsoren­suche versucht man es auf die kreative Art. Von der U-Bahn-Station Alsterdorf können die Fahrgäste direkt ins Stadion und auf die Bandenwerbung blicken. Die 1,2 Millionen Blicke sind ein Verkaufs­argument, um die Vereinskasse wenigstens etwas auffüllen zu können.

Geld erhalten die Spieler sowieso keines. Stattdessen wird ihnen die Chance darauf, den auch in Hamburg im Amateurfußball im Schnitt rückläufigen Zuschauerzahlen entgegenzuwirken, mehr und mehr genommen. „Früher“, erinnert sich Heidrich, „war der Sonntag für den Amateurfußball bestimmt. Wenn demnächst auch am Sonntag um 13.30 Uhr gespielt wird, werden noch mehr Vereine große Probleme kriegen.“

Sperber selbst kickt am Freitagabend daheim – doch wenn der HSV spielt, kommen statt im Schnitt 80 nur 70 Zuschauer. 30 Euro Mindereinnahme sind das. Klingt wenig. Ist für einen Club, der jeden Cent benötigt, eine halbe Entlohnung für die Schiedsrichter. Tritt Sperber an einem Sonntag auswärts an, hat der jeweilige Gastgeber ein viel massiveres Problem, da der HSV und St. Pauli häufiger sonntags spielen.

Amateure leisten gesellschaftlichen Beitrag

„Und das ist ja noch nicht das Ende“, sagt Stümpel. „Einige unserer Spieler haben Dauerkarten für den HSV und für St. Pauli. Ab und zu gibt es auch beruf­liche Kontakte zu den Clubs. Dann sind eben einige auch mal nicht da, wenn die Spiele zeitgleich stattfinden. Damit müssen wir leben.“ Zu allem schlechten Überfluss kursieren mittlerweile wieder Pläne, die Proficlubs erst später in den DFB-Pokal einsteigen zu lassen. Setzt sich das Modell durch, ist selbst die kleine Chance auf den Jackpot von garantierten 100.000 Euro für den Hamburger Pokalsieger in der ersten DFB-Pokalrunde fast völlig entwertet.

Dass der TV Sender Sky eine Vorausscheidungsrunde der Amateurvereine übertragen und honorieren wird, ist kaum denkbar. „Gegen diese Pläne“, sagt Stümpel, „muss die Basis unbedingt Sturm laufen. Die Amateurvereine leisten einen unendlich hohen gesellschaftlichen Beitrag zur Integrationsarbeit, vermitteln Teamgeist, Fairness und vieles mehr. Oftmals sind die Clubs sogar ein Familienersatz, gerade für benachteiligte Kinder. Das muss besser gewürdigt und unterstützt werden.“

Sie lieben auch den großen Sport

Dabei sind Stümpel und Heidrich keine Profifußball-Hasser. Stümpel ist St. Paulianer, Heidrich HSVer. Sie lieben auch den großen Sport. „Der Zulauf bei den Jugendmannschaften entsteht sogar, weil der Fußball so grandios vermarktet wird“, erklärt Stümpel. Nur dürften die Vereine damit nicht alleingelassen werden. Mittlerweile hat sich sogar ein Aktionsbündnis unter Führung des Unterhachinger Ehrenpräsidenten Engelbert Kupka (78) gebildet. Es heißt „Rettet die Amateure“. Olaf Heidrich und Jens Stümpel befürworten das. „Der Amateurfußball“, sagt Olaf Heidrich, „muss sich eine Lobby erarbeiten.“ Sonst gerate die Basis bald völlig aus dem Blickfeld.