Essen. Oliver Bierhoff warnt im Abendblatt-Interview vor gefährlichen Tendenzen im deutschen Fußball und fordert mehr Solidarität ein.

Seit zwölf Jahren ist Oliver Bierhoff mittlerweile Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Im Abendblatt-Interview spricht der 48-Jährige über die Arbeit mit Talenten und seine Sorge vor zu viel Egoismus.

Sie sind schon zwölf Jahre Manager der Nationalmannschaft. Man hat bisweilen das Gefühl, Sie hätten erst gestern angefangen.

Oliver Bierhoff: Wenn ich manchmal mittrainiere, sagen manche, ich hätte erst letztes Jahr aufgehört. Ich weiß aber nicht, ob ich das als Kompliment verstehen soll. Ob ich früher schon so langsam aussah. Oder jetzt so schnell.

War das EM-Viertelfinale gegen Italien der Höhepunkt des Jahres?

Bierhoff: Für mich gab es zwei besondere Spiele. Natürlich das Italien-Spiel bei der EM, weil wir Italien endlich bei einem großen Turnier schlagen konnten. Der Charakter und die Einstellung haben gestimmt, das war generell bei der EM mein positives Fazit. Das zweite Spiel war die WM-Qualifikationspartie gegen die Tschechische Republik in Hamburg, wo ich nach längerer Zeit mal wieder bei einem Qualifikationsspiel das Gefühl hatte, jeder einzelne Zuschauer geht euphorisiert nach Hause und sagt: „War das wieder schön!“ Damit wollte die Mannschaft ein Statement setzen.

Inwiefern ein Statement?

Bierhoff: Ein Ausdruck dessen, wofür wir stehen. Mit unseren Leistungen haben wir dafür gesorgt, dass in der Öffentlichkeit immer der höchste Maßstab angelegt wird. Dies entspricht auch unseren eigenen Ansprüchen. In Hamburg haben wir gezeigt, dass wir Freude daran haben, unsere Leistung zu bestätigen.

Welche drei Eigenschaften zeichnen den idealen Nationalspieler aus?

Bierhoff: Absoluter Siegeswille. Verantwortungsbewusstsein. Teamfähigkeit.

Warum diese drei?

Bierhoff: Ich glaube, auf diesem extrem hohen Niveau, auf dem sich die Nationalmannschaft im internationalen Wettbewerb bewegt, musst du die letzten Prozente ausreizen. Die Mannschaft gibt immer auch eine Visitenkarte für unser Land ab, sie repräsentiert Deutschland. Die heutigen Nationalspieler kommen größtenteils aus den Nachwuchsleistungszentren Da wird die gute Jugendarbeit gemacht. Da bist du relativ früh umsorgt und hast schon recht früh einen guten Verdienst. Aber wenn du nicht diese innere Motivation mitbringst, dich unbedingt durchsetzen zu wollen, dann ist es schwer, dich da oben durchzusetzen. Talent alleine reicht nicht.

Wie macht man Talente besser? Wo setzt man an, dass es nicht so lange dauert?

Bierhoff: Wir wissen, dass die Zeit für die Arbeit mit den Spielern begrenzt ist. Die wichtigste Ausbildung, die Basisausbildung, passiert in den Vereinen, die hervorragende Arbeit leisten. Direkt im Einflussbereich des DFB sind die Spieler ja nur, wenn sie in eine Nationalmannschaft berufen werden. Da können wir sozusagen an der Veredelung mitwirken. Die Vereine aber können wir unterstützen mit noch besseren Ausbildungskonzepten, mit noch besser ausgebildeten Trainern und Spezialisten. Unser Auftrag muss auch sein, neben den Spielern auch Schiedsrichter und vor allem Trainer besser zu machen.

Die Vereine müssen zuerst sehen, dass ihr eigenes Geschäft läuft. Bayern München und Borussia Dortmund sind zum Beispiel gegen die Vermarktung von ihren deutschen Nationalspielern, weil sie die Gehälter bezahlen. Ist das nicht ein Problem?

Bierhoff: Mich stört, wenn der Eindruck erweckt wird, die Nationalmannschaft nimmt nur und gibt nichts zurück. Allein in puncto Bekanntheitsgrad und Image profitiert ein Verein etwa in der Auslandsvermarktung von jedem einzelnen Nationalspieler. Selbst wenn man sich überlegt, was Olympia bewirkt hat: Der Wert von einzelnen Spielern ist enorm gestiegen. Und das hilft, damit die Bundesliga weiter so attraktiv bleibt, wie sie ist. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des deutschen Fußballs besteht ja gerade in dem solidarischen Miteinander zwischen Profis und Amateuren. Im Grundlagenvertrag zwischen DFB und Liga sind sämtliche Geldströme geregelt, beide Seiten profitieren voneinander. Aber ich sehe auch gefährliche Tendenzen im deutschen Fußball. Die Fehler werden oft im Erfolg gemacht. Wir sind Weltmeister, wir haben einen hervorragenden TV-Vertrag für die Bundesliga, und plötzlich entwickeln sich Begehrlichkeiten, Eifersüchteleien, es entsteht Streit.

Besteht die Gefahr tatsächlich?

Bierhoff: Es geht um Geld, Positionen und Marktanteile. Alles Dinge, die wir in den Jahren vorher in Ruhe geregelt haben. Ich glaube, wir müssen echt aufpassen. Der Fan hat ein sehr feines Gespür. Wenn er irgendwann merkt, dass er von überdachten Tribünen und einer schnellen Bratwurst im Stadion profitiert, aber die Substanz und Ehrlichkeit des Spiels verloren zu gehen drohen, wendet er sich ab. Da müssen wir aufpassen. Die Unterstützung der Fans ist kein Selbstläufer. Das haben wir ja auch bei den Länderspielen ein wenig gespürt.

Woran?

Bierhoff: Dass unsere Spiele auch nicht immer ausverkauft waren. Diese Signale müssen wir ernst nehmen. Der deutsche Fußball braucht das Miteinander, um erfolgreich zu bleiben. Für den DFB sind die Einnahmen aus der Vermarktung der Nationalmannschaft essenziell, um den zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen – gerade an der Basis – gerecht werden zu können. Das Geld, das wir mit der Nationalmannschaft einnehmen, bleibt ja nicht bei der Nationalmannschaft. Im Moment ist viel zu viel Gier im Markt. Ich hoffe, dass wir wieder mehr aufeinander Rücksicht nehmen, dass auch die Liga und die Vereine verstehen, dass wir Freiräume brauchen. Nicht um goldene Wasserhähne zu kaufen, sondern um den Fußball in der Breite zu unterstützen.