Hamburg. „Friday Night Boxing“ soll Talente aus der Region in den Mittelpunkt rücken. Der Sauerland-Stall setzt auf den Standort Wilhelmsburg.

Ach, das Boxen! Bisweilen lässt einen dieser so ästhetische, intensive Sport kopfschüttelnd zurück. Da stand also am Freitagabend auf der Gala des Sauerland-Profistalls in der Wilhelmsburger Inselparkhalle zum ersten Kampf ein Supermittelgewichtler von 19 Jahren in der roten Ecke, der auf den befremdlichen Namen Nasif Jihad hörte. Wer die Verbreitung des islamischen Glaubens im Nachnamen führt, unter deren Deckmantel „ heiliger Krieg“ Islamisten weltweit Andersgläubige ermorden, darf wohl nicht zimperlich sein, entsprechend grobschlächtig ging Nasif Jihad mit seinem Lübecker Gegner Chuck Honhold zu Werke.

Als nach vier Runden der einstimmige Punktsieg feststand, freute sich darüber in Jihads Ecke ein Mann, auf dessen T-Shirt in altdeutscher Frakturschrift „Germanen Boxstall Kiel“ geschrieben stand. Ein verstörender Kontrast zum Nachnamen des Kämpfers war das, aber vielleicht sagt dieses Bild auch viel mehr aus über Völkerverständigung im Sport, als es die wohlfeilen Sonntagsreden der Politiker zum Thema Integration je könnten. Und weil das Boxen als Schmelztiegel verschiedenster Milieus für Momente wie diesen steht, sind Kampfabende wie der vom Freitag auch immer ein Erlebnis.

Was folgen wird aus einem Abend, der als Premiere für das neue Format „Friday Night Boxing“ angekündigt worden war, mit dem der Berliner Sauerland-Stall in Zukunft viermal jährlich seine Bindung an Hamburg festigen möchte, bleibt allerdings abzuwarten. Dass rund 2000 Besucher, darunter auch Hamburgs Sportsenator Andy Grote, dem Debüt einen würdigen Rahmen verliehen, war positiv hervorzuheben. Allerdings war ebenfalls nicht zu überhören, dass das Publikum mit seinen neuen Lokalhelden, denn als solche sollen die aus der Region stammenden Kämpfer aufgebaut werden, noch nicht vollumfänglich warm geworden ist. Das war insbesondere während des Hauptkampfes zu spüren.

Der Hamburger Cruisergewichtler Noel Gevor (26) mühte sich gegen den zähen Schotten Stephen Simmons (32) zwar über zwölf Runden, technisch anspruchsvolles Boxen zu demonstrieren. Den Nachweis aber, im kommenden Jahr einen der amtierenden Weltmeister Tony Bellew (England/WBC), Oleksandr Usyk (Ukrai-ne/WBO) und Denis Lebedev (Russ-land/WBA und IBF) in Gefahr bringen zu können, blieb der Stiefsohn des ehemaligen Mittelgewichts-Europameisters Khoren Gevor, der nun als Trainer fungiert, schuldig. Seinen WBO-International-Titel verteidigte er nur durch Mehrheitsentscheid (116:112, 116:112, 113:116), wobei 115:113 für den Champion das korrekte Ergebnis gewesen wäre. Vor allem aber war die Stimmung in der Halle während der zwölf Runden in etwa so energetisch wie beim Tanztee im Seniorenheim. Dass die Fans durchaus bereit waren, lautstark anzufeuern, hatte im Vorprogramm Noels Bruder Abel (23) erlebt. Der Halbschwergewichtler bezwang im besten Kampf des Abends den Norweger Alexander Hagen über acht Runden einstimmig (dreimal 78:74) nach Punkten und erhielt für seine sauberen Kombinationen mehrfach Szenenapplaus.

Publikum applaudiert dem aktiveren Gegner mehr

Ein starker Konterboxer ist auch Noel, dennoch geriet dessen Auftritt für einen aufstrebenden WM-Kandidaten deutlich zu passiv. Wer zwölf Runden im Rückwärtsgang boxt und dabei zu oft getroffen wird, muss ertragen, dass das Publikum dem aktiveren Gegner mehr applaudiert. Zur Ehrenrettung des Hauptkämpfers muss indes angeführt werden, dass er eineinhalb Wochen der Vorbereitung von einer Erkältung eingeschränkt wurde und sich zudem nach der verletzungsbedingten Absage des Italieners Mirko Larghetti mit nur neun Tagen Vorlauf auf einen neuen Gegner einstellen musste. „Das war der härteste Kampf meiner Karriere, Stephen ist ein harter Hund, der viel Druck gemacht hat“, sagte Noel Gevor nach dem Sieg.

Promoter Kalle Sauerland will bei der Vollversammlung des Weltverbands WBO in Puerto Rico in der kommenden Woche darauf drängen, seinen Hoffnungsträger als Pflichtherausforderer von Weltmeister Usyk zu positionieren. „Und wenn wir dann 2017 eine WM-Chance bekommen, dann müssen wir sie nutzen, auch wenn ich mir wünschen würde, dass Noel noch zwei Vorbereitungskämpfe auf dem heutigen Niveau bestreitet“, sagte er.

Am 24. Februar ist Noel Gevor auf der nächsten Ausgabe des „Freitagnacht-Boxens“ im Inselpark eingeplant. Dann wäre Sauerland gut beraten, bei der Auswahl der Gegner für die Vorkämpfe etwas mehr auf Qualität zu achten. Zudem braucht Deutschlands größter Stall dann auch ein Stück mehr Glück, damit der diesmal kurzfristig wegen einer Nasenblessur ausgefallene Publikumsmagnet Sebastian Formella in den Ring steigen kann. Der Superweltergewichtler hatte gut 500 Tickets an Freunde und Kollegen – er arbeitet hauptberuflich als Containerfahrer im Hafen – verkauft. Seine Fans kamen am Freitag trotz seines Ausfalls in die Halle.

Für sich werben konnten auch Cruiser-gewichtler Ilja Mezencev (technischer K.-o.-Sieg in Runde fünf gegen den Tschechen Jiri Svacina) und Schwerge-wichtler Mohamed Soltby (Erstrunden-K.-o. gegen den Ungarn Zoltan Csala). Dagegen musste der als Polizeikommis-sar eingespannte ehemalige Kick-boxweltmeister Dima Weimer (31) froh sein, gegen den Tschechen Daniel Bazo ein Unentschieden zugesprochen bekom-men zu haben. Und so war Weimer vielleicht das Sinnbild für eine Premiere, bei der sich Kurioses, Niveauarmes und Hochklassiges die Waage hielten. Und für die man schlussendlich das Fazit ziehen muss, dass noch eine Menge Luft nach oben ist – aber Hamburg sich dennoch freuen sollte über ein Format, das die Sportlandschaft bereichern kann in den kommenden Monaten.