Hamburg. Was der Cheftrainer des Sauerland-Stalls, Ulli Wegner, über Jürgen Brähmers Kritik am Trainerwesen denkt.

Neubrandenburg ist bereit für den Boxkampf des Jahres. Nachdem WBA-Weltmeister Jürgen Brähmer (Schwerin) und sein Herausforderer Nathan Cleverly (29) aus Wales am Freitag beide das Limit des Halbschwergewichts (79,378 kg) einhielten, steht ihrem Aufeinandertreffen im Jahnsportforum an diesem Sonnabend (22.40 Uhr/Sat.1) nichts mehr im Weg. Der Ausgang des Kampfes ist für Brähmers Promoter Sauerland in den Verhandlungen um eine Verlängerung des zum Jahresende auslaufenden Vertrags mit TV-Exklusivpartner Sat.1 nicht unwichtig.

Der Sportler, der am Mittwoch nach seinem 51. Profikampf 38 Jahre alt wird, hat selbst für den Fall einer die Karriere beendenden Niederlage vorgesorgt. Sein Wissen will Brähmer der Boxwelt in Zukunft als Trainer zur Verfügung stellen. Mit Supermittelgewichtstalent Tyron Zeuge (24), der am 5. November in Potsdam zum Rückkampf mit WBA-Champion Giovanni De Carolis (Italien) antritt, arbeitet er seit Jahresbeginn in Schwerin zusammen.

Und weil der Mecklenburger neue Wege in der Ausbildung des deutschen Nachwuchses gehen will, hatte er kürzlich im Abendblatt das bestehende System hart kritisiert. Insbesondere die Unwilligkeit der „Dino-Trainer, sich auf neue Dinge einzulassen“, ist ihm ein Dorn im Auge. Brähmer plädiert für eine Umverteilung der Aufgaben in einem Trainerteam und die Einbindung von Spezialisten, anstatt einen Cheftrainer zu haben, der für alles allein zuständig ist.

Wegner: "Brauche immer die Kontrolle"

Einer, der sich von der Kritik angesprochen fühlt, ist Ulli Wegner. Der Cheftrainer des Sauerland-Stalls sagt: „Vieles von dem, was Jürgen denkt, ist richtig und stößt wichtige Diskussionen an.“ Warum er dennoch der Meinung ist, mit nur einem Assistenten auskommen zu können, erklärt der 74-Jährige mit der Verantwortung, die er für seine Sportler trage. „Ich muss in die Seele meiner Jungs kommen“, sagt Wegner, „und das geht nur, wenn ich immer die Kontrolle habe.“ In der ehemaligen DDR habe er eine umfassende Grundausbildung in allen Fachbereichen erhalten. „Die ist notwendig, wenn man ein guter Trainer sein will. Außerdem habe ich mich ständig weitergebildet.“ Natürlich höre er auf den Rat von Fachleuten aus dem Bereich Athletik oder Psychologie. „Aber die Technikausbildung erfolgt unter taktischen Gesichtspunkten, und die Taktikschulung nutze ich, um in die Seele meiner Sportler zu blicken. Deshalb kann ich das nicht in andere Hände legen“, sagt er.

Brähmers Vorwurf, Sportler würden zu häufig nach einem Standardschema trainiert, das vor allem die Regeneration vernachlässige, kann Wegner nachvollziehen. „Den Fehler, jungen Sportlern zu wenig Erholung zu gönnen, habe ich auch gemacht. Ein professioneller Aufbau ist leider bei den Amateuren aufgrund der Fülle der Kämpfe kaum möglich“, sagt er. Als Proficoach habe er aber eine Trainingsstrategie entwickelt, die er auf jeden Sportler individuell zuschneide. Ein Einblick in seine Unterlagen, den der gebürtige Stettiner dem Abendblatt gewährte, zeigt die akribische Herangehensweise.

Auf zwei Din-à-4-Seiten hat Wegner für jeden Boxer genau ausgearbeitet, welche Taktik er im Kampf zu beachten hat und welche Schlagkombinationen wann einzusetzen sind. Dazu führt er Buch über sämtliche Trainingseinheiten und die Körperwerte der Sportler, die Ordner füllen in seinem Arbeitszimmer ganze Regalwände. „Ich habe mit meinem System Erfolg gehabt und habe noch immer Erfolg damit“, sagt er, „dennoch bin ich sehr gespannt darauf, ob Jürgen mit seinen Ideen erfolgreich sein wird. Seine Impulse sind wichtig für das deutsche Boxen.“