Hamburg. Turnierdirektor Michael Stich zieht eine kritische Bilanz – und will mit ATP und DTB bald die Zukunft klären.

Wenn es stimmt, dass Angriff die beste Verteidigung ist, dann hat Turnierdirektor Michael Stich am Sonntag die richtige Taktik gewählt. „Wir müssen sagen, dass wir mit dem Feld absolut nicht zufrieden sind. Das ist für ein 500er-Turnier nicht akzeptabel, wir werden alles tun, um das zu ändern. Im nächsten Jahr wird es definitiv besser“, sagte der Wimbledonsieger von 1991 auf der Bilanzpressekonferenz des Herrentennisevents am Rothenbaum, bevor er nachdrücklich darum bat, „jetzt nicht wegen eines schwächeren Jahres alles kaputtzureden, was wir uns in den vergangenen sieben Jahren aufgebaut haben“.

Man muss sich an die Fakten halten, um Stichs Worte zu bewerten. Dass Hamburg in diesem Jahr das nominell schwächste Teilnehmerfeld seit Beginn der Profiära verkraften musste; dass der Rothenbaum im Vergleich mit den anderen zwölf Turnieren der 500er-Serie – dritte Kategorie hinter Grand Slam und Masters – seit 2014 das im Bereich der Top-30-Spieler am schwächsten besetzte Feld hatte – all das ist nicht wegzudiskutieren.

Hauptgrund für die außergewöhnliche Absenz der Stars in diesem Jahr war die Terminnot. Wegen der anstehenden Olympischen Spiele in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) legte die Herrentennisorganisation ATP das Rothenbaum-Turnier direkt in die Woche nach Wimbledon – und setzte zeitgleich auch das Viertelfinale des Teamwettbewerbs Daviscup an. Das Problem: Die ATP hatte Stich verschwiegen, dass den Spielern erlaubt war, bis einen Tag vor Meldeschluss noch zugunsten eines Daviscupstarts aus dem Turnier herauszuziehen. „Ich empfinde das als Respektlosigkeit der Spieler und der ATP gegenüber einem Turnier, das seit 110 Jahren existiert“, sagte Stich, der nach einer eingehenden Analyse der entstandenen Einbußen mit der ATP über mögliche Kompensationen verhandeln will. Einen Rechtsstreit schloss der 47-Jährige allerdings aus.

Kommentar: Große Enttäuschung am Rothenbaum

Dass mit 58.300 Zuschauern an den neun Tagen inklusive Qualifikation zwar rund 15 Prozent weniger kamen als 2015, wo insgesamt 71.200 Fans den Spanier Rafael Nadal zum Titel pushten, aber immer noch mehr als 2009, 2011, 2012 oder 2014, als ebenfalls keiner der großen Stars aufschlug, gehört allerdings ebenso zur Wahrheit. Das Finale zwischen der Nummer 24 (Cuevas) und der 47 der Weltrangliste war, seit das Turnier 2009 den Mastersstatus an Madrid verloren hatte, zwar erst das zweite Endspiel ohne Beteiligung eines Top-20-Spielers, aber auch keine Paarung, für die sich ein Veranstalter schämen muss. Insofern hatte Stich recht, als er darum bat, „die sportlichen Leistungen der Spieler, die wir hier hatten, ebenso anzuerkennen wie den Fakt, dass deren Tennis den Zuschauern gefallen hat.“ Die 45 Partner hätten, sagte Geschäftsführer Detlef Hammer von der veranstaltenden Agentur HSE, allesamt ihre Bereitschaft zur Verlängerung der Partnerschaft bekundet. Mit potenziellen Titelsponsoren sei man in Gesprächen.

Killing traf den richtigen Ton, die Zverevs verloren an Ansehen

Dennoch wird man um eine intensive Diskussion über die zukünftige Ausrichtung des Turniers nicht umhin kommen. Fakt ist, dass der Deutsche Tennis-Bund (DTB) als Lizenzinhaber die Ausrichtung bis 2018 an die HSE übertragen hat. Bis dahin läuft der ATP-Kalender, der den Rothenbaum im kommenden Jahr vom 22. bis 30. Juli und 2018 vom 21. bis 29. Juli vorsieht.

Wer das Turnier nach 2018 veranstaltet, ist noch unklar

Stich erneuerte am Sonntag das Bekenntnis, das Turnier langfristig ausrichten zu wollen. Erste Gespräche darüber hatte es am Mittwoch mit Dirk Hordorff, DTB-Vizepräsident Leistungssport, gegeben. „Der DTB hat uns versichert, dass wir erster Ansprechpartner sind und man gern mit uns weitermachen würde“, sagte Stich. Diese Aussage bestätigte DTB-Präsident Ulrich Klaus zumindest in Teilen. „Die HSE ist natürlich unser erster Ansprechpartner, aber wir haben mehrere Interessenten. Wer das Turnier nach 2018 ausrichtet, werden wir in einer öffentlichen Ausschreibung ermitteln.“ Klar ist, dass der DTB das traditionsreichste deutsche Herrenturnier an seinem jetzigen Standort halten will. „Die Lizenz wollen und werden wir nicht veräußern“, sagte Klaus.

Umso wichtiger wird die Frage nach dem Termin werden, die die Diskussion um den Wechsel des Platzbelags befeuert. Stich bekräftigte das mit dem DTB und dem Club an der Alster, dem die Anlage an der Hallerstraße gehört, abgesprochene Interesse, mittelfristig zum Mastersstatus zurückzukehren. „Das ist unsere Vision, auch wenn es schwierig wird“, sagte er. Da unter den neun Events der 1000er-Serie derzeit nur das Hallenturnier in Paris Ende Oktober schwächelt, könnte ein Umzug in den Herbst ein Thema werden. Alster hatte im Juni umfangreiche Pläne für den Neubau der Anlage vorgestellt, der bis 2022 abgeschlossen sein soll. „Ein Hallenturnier mit zwei Matchcourts wäre mit einem neuen Centre-Court und temporären Hallenplätzen möglich“, glaubt Stich.

DTB und Alster wappnen sich allerdings auch für den Fall, dass die ATP nach 2018 die Hartplatzsaison zulasten des traditionellen „Clay Sweeps“, der Rückkehr auf Sand nach der Rasensaison, verlängert. Wir haben mit dem DTB bereits darüber gesprochen, dass es Lösungen gäbe, wenn wir für ein Topturnier auf Hartplatz umrüsten müssten. Bislang gibt es aber weder diese Anforderung seitens der ATP noch detaillierte Pläne unsererseits“, sagte Alster-Präsident Thomas Wiedermann. Ein ATP-Sprecher sagte dazu: „Wir haben derzeit keine Pläne, die Sandplatzsaison zugunsten einer Verlängerung der Hartplatzserie zu beschneiden. Es gibt derzeit auch keine Forderungen an Hamburg, den Platzbelag zu verändern, ebenso gibt es keine Überlegungen, den Termin des Turniers am Rothenbaum zu verlegen.“