Weltmeister Jürgen Brähmer betreut das deutsche Super-Talent. Am Sonnabend kann Tyron Zeuge den Rekord eines “Bad Boys“ pulverisieren.

„Der Rekord“, sagt Jürgen Brähmer, „der ist überhaupt nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir spektakuläres und schönes Boxen zeigen und am Ende den Ring als Sieger verlassen.“ Der Mann, der das tun soll, sitzt daneben und nickt. Natürlich will Tyron Zeuge seinem Trainer nicht widersprechen, und er wirkt tatsächlich auch nicht so, als sähe er es anders. Jüngster deutscher Profiboxweltmeister der Geschichte könnte der 24-Jährige werden, wenn er an diesem Sonnabend (22.15 Uhr/Sat.1) dem Italiener Giovanni De Carolis dessen WBA-Titel im Supermittelgewicht abknöpft. Graciano Rocchigiani war einen Monat älter, als er 1988 erstmals Champion wurde.

Aber der Eintrag in die Geschichtsbücher ist nicht das, was Zeuge interessiert. Er will sich einfach nur seinen Traum erfüllen. Nur wenige Minuten des gemeinsamen Gesprächs braucht es, um zu verstehen, dass sich in Brähmer und Zeuge zwei gefunden haben, die zusammenpassen. Beide sind Charakterköpfe, die ihre Meinung nicht nur haben, sondern auch standhaft vertreten, aber sie nicht in jede Kamera hinausposaunen. Sie teilen einen trockenen Humor, dessen bisweilen feinsinnige Ironie nicht jeder sofort versteht.

"Tyron Zeuge kam in einem desolaten Zustand"

Das Wichtigste aber ist, dass sie sportlich auf derselben Frequenz funken, und wahrscheinlich ist es das, was Zeuges Karriere gerettet hat. Im Januar war der beim Berliner Sauerland-Stall unter Vertrag stehende Kämpfer aus der Hauptstadt-Trainingsgruppe von Karsten Röwer nach Schwerin gekommen. Dort hat sich sein Stallkollege Brähmer, aktuell WBA-Weltmeister im Halbschwergewicht, sein eigenes Reich geschaffen. „Tyron kam in einem desolaten Zustand“, sagt Brähmer. Wegen seiner Gewichtsprobleme hatte der als größtes deutsches Talent geltende Normalausleger Kämpfe platzen lassen müssen.

Viel schwerer wog jedoch die mentale Leere, die den Vater einer knapp drei Jahre alten Tochter quälte. „Ich hatte die Lust aufs Boxen verloren, weil sich in das Training zu viel Routine eingeschlichen hatte“, sagt Zeuge, „es hat mich nur noch genervt.“ Offene Kritik an Röwer, der zum Zeitpunkt des Wechsels offiziell noch Brähmers Cheftrainer war – mittlerweile ist mit Conny Mittermeier ein Coach im Team dabei, der mit Zeuge und Brähmer arbeitet –, äußern beide nicht. Dass Zeuge sich überbelastet fühlte, ist allerdings kein Geheimnis. „Das war schon zu Amateurzeiten so. Ich bin einfach ein Typ, der auch mal seine Ruhe braucht“, sagt er.

Profiboxer Tyron Zeuge (M.), sein Trainer Jürgen Brähmer (r.) und Teammitglied Conny Mittermeier
Profiboxer Tyron Zeuge (M.), sein Trainer Jürgen Brähmer (r.) und Teammitglied Conny Mittermeier © dpa | Jens Büttner

Viel Training bringt nicht automatisch viel

Brähmer hat das verstanden, er ist ein ähnlicher Typ, einer, der auf seinen Körper hört und sich auf den Instinkt verlässt. „Ich glaube nicht, dass viel Training auch automatisch viel bringt, wie es in der DDR propagiert wurde. Auf die Dosierung kommt es an, und man darf nicht alle Sportler über einen Kamm scheren“, sagt der 37-Jährige. Dieses Einfühlungsvermögen, das er bei seinem neuen Coach spürt, hat Zeuge den Spaß an seinem Sport zurückgebracht. „Bei Jürgen fühle ich mich freier, man kann mit ihm reden und ist trotzdem sein eigener Herr“, sagt er. Nicht dass man ihn falsch verstehe, Training mit dem erfahrenen Champion sei beileibe kein lockerer Waldspaziergang.

Seine Ausdauerwerte seien besser denn je, und auch taktisch fühle er sich optimal vorbereitet. „Aber was das wert ist, muss ich im Kampf zeigen.“ Brähmer freut sich, dass ihm der Einstieg in die zweite Karriere im Sport gelungen zu sein scheint und seine Methoden bei Zeuge auf fruchtbaren Boden fallen. „Wenn Training ist, eiern wir nicht rum. Aber Tyron ist erwachsen, ich muss nicht den Oberlehrer spielen. Man muss als Trainer auch mal den Sportler entscheiden lassen, und ich weiß, dass Tyron alle Anlagen hat, um ein sehr erfolgreicher Boxer zu werden“, sagt er.

Doziert auf seine Art: Box-Weltmeister Jürgen Brähmer
Doziert auf seine Art: Box-Weltmeister Jürgen Brähmer © dpa | Jens Büttner

Private Rückschläge für Tyron Zeuge

18 Profikämpfe hat der 179 Zentimeter große Berliner seit seinem Debüt im März 2012 bestritten, er hat alle gewonnen, zehn vorzeitig. Sein Bewegungstalent ist offensichtlich, die Qualität, im Rückwärtsgang boxen zu können, ebenfalls. Der Druck, das zu schaffen, was alle von ihm erwarteten, mag ihn allerdings mehr belastet haben in den vergangenen Jahren, als es sich der als stets gut gelaunter Spaßvogel bekannte Boxer zugestehen wollte. Und auch der Tod des Vaters, der im Mai 2012 mit dem Motorrad verunglückte, auf dem er seinen Sohn oft zum Training gefahren hatte, musste erst einmal verarbeitet werden. Seine Mutter, seine Freundin und deren Familie hätten ihm dabei den notwendigen Halt gegeben.

Aus den zurückliegenden Monaten, sagt Tyron Zeuge, habe er sehr viel gelernt. „Alles, was von außen kommt, interessiert mich nicht mehr“, sagt er, „ich habe den Willen, das zu erreichen, was ich will, und nicht das, was andere wollen.“ So sein zu können, wie er sein wolle, „auch wenn ich weiß, dass ich manchmal nerve, weil mir immer etwas einfällt, um anderen auf den Sack zu gehen“, das habe ihm die Freiheit und Sicherheit gegeben, die er brauche, um seine Topleistung abzurufen. Jürgen Brähmer hört diese Worte gern. Sie hätten auch aus seinem Mund kommen können.