Going. Vor der WM-Revanche spricht Wladimir Klitschko über seinen Bezwinger, Kritik an seinem Boxstil, seine Freundin und seine Karrierepläne.

Das Team um ihn herum hat sich nicht verändert, das Umfeld im Trainingslager in Österreich auch nicht. Und doch sind die Voraussetzungen, unter denen sich Wladimir Klitschko auf seinen 69. Profikampf vorbereitet, andere. Erstmals seit April 2006 ist der 40 Jahre alte Ukrainer nicht mehr der gejagte Titelverteidiger, sondern der hungrige Herausforderer. Am 9. Juli will er sich in Manchester von Lokalmatador Tyson Fury (27) die WBO- und WBA-WM-Titel im Schwergewichtsboxen zurückholen, die der Brite ihm am 28. November 2015 in Düsseldorf entrissen hatte. Wer sieht, mit welcher Intensität Klitschko im Training die Hände fliegen lässt und an seiner Schlagvariabilität arbeitet, der darf sich auf einen spannenden Kampf freuen.

Bilder von der Niederlage gegen Fury:

Wladimir Klitschko verliert gegen Tyson Fury

Wladimir Klitschko zeigte eine schwache Leistung gegen den Briten
Wladimir Klitschko zeigte eine schwache Leistung gegen den Briten © WITTERS | TimGroothuis
Der neue Weltmeister Tyson Fury
Der neue Weltmeister Tyson Fury © dpa | Rolf Vennenbernd
Klitschko fand kein Mittel gegen  Fury
Klitschko fand kein Mittel gegen Fury © REUTERS | Lee Smith
Wladimir Klitschko versucht einem Schlag von Tyson Fury auszuweichen
Wladimir Klitschko versucht einem Schlag von Tyson Fury auszuweichen © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Fury provoiziert Klitschko und verschränkt seine Arme hinter dem Rücken
Fury provoiziert Klitschko und verschränkt seine Arme hinter dem Rücken © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Tyson Fury geht in Deckung
Tyson Fury geht in Deckung © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Fury profitierte von seiner hohen Reichweite
Fury profitierte von seiner hohen Reichweite © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Wladimir Klitschko landet einen Treffer bei Tyson Fury
Wladimir Klitschko landet einen Treffer bei Tyson Fury © REUTERS | Ina Fassbender
Fury versucht Klitschko zu provozieren
Fury versucht Klitschko zu provozieren © Bongarts/Getty Images | Sascha Steinbach
Nach den ersten Runden lag Klitschko nach Punkten hinten
Nach den ersten Runden lag Klitschko nach Punkten hinten © REUTERS | Ina Fassbender
Klitschko hatte Schwierigkeiten an Fury heranzukommen
Klitschko hatte Schwierigkeiten an Fury heranzukommen © REUTERS | Ina Fassbender
Fury kam Klitschko teils gefährlich nahe
Fury kam Klitschko teils gefährlich nahe © WITTERS | TimGroothuis
In den ersten Runden gab es zwischen Wladimir Klitschko und Tyson Fury keine nennenswerten Aktionen
In den ersten Runden gab es zwischen Wladimir Klitschko und Tyson Fury keine nennenswerten Aktionen © REUTERS | Ina Fassbender
Wladimir Klitschko steigt in den Ring
Wladimir Klitschko steigt in den Ring © REUTERS | Ina Fassbender
Rod Stewart brachte das Publikum vor dem Kampf in Stimmung
Rod Stewart brachte das Publikum vor dem Kampf in Stimmung © Bongarts/Getty Images | Lars Baron
50.000 Besucher füllten die Arena in Düsseldorf
50.000 Besucher füllten die Arena in Düsseldorf © REUTERS | Ina Fassbender
Hayden Panettiere, die Verlobte von Wladimir Klitschko
Hayden Panettiere, die Verlobte von Wladimir Klitschko © Lars Baron
Die ehemaligen Boer Lennox Lewis (l.) und Henry Maske in Düsseldorf
Die ehemaligen Boer Lennox Lewis (l.) und Henry Maske in Düsseldorf © Bongarts/Getty Images | Lars Baron
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Herr Klitschko, noch in der Woche vor Ihrem ersten Duell mit Tyson Fury waren Sie überzeugt davon, nie wieder in Ihrer Karriere zu verlieren. Wie lange haben Sie gebraucht, um die Pleite zu realisieren?

Wladimir Klitschko: Einige Monate hat das schon gedauert, bis das wirklich angekommen war. Und auch heute kann ich nicht glauben, was damals passiert ist. Auch wenn es komisch klingt: Ich fühle mich nicht als Besiegter. Ich habe einen Fehler gemacht, den ich korrigieren muss. Aber da in jedem Schlechten auch etwas Gutes liegt, genieße ich diese Zeit. Ich fühle mich lebendiger, denn der Druck, immer der Gejagte zu sein, ist riesig. Der Jäger hat eine ganz andere Energie und Perspektive, und das spüre ich gerade.

Sie hatten zuletzt im April 2004 gegen Lamon Brewster verloren. War die Pleite gegen Fury, die vierte Ihrer Karriere, die schlimmste?

Ich hoffe es, denn weder bin ich danach in ein tiefes Loch gefallen wie nach dem Brewster-Kampf noch hat sie meine Motivation zerstört. Ich habe meine Erfahrungen aus drei Niederlagen, deshalb wusste ich, was zu tun ist. Drei Tage nach der Niederlage habe ich ja bereits bekannt gegeben, dass ich die Option eines Rückkampfes, die vertraglich festgeschrieben war, nutzen wollte. Daran sehen Sie, dass es meinerseits nie Gedanken daran gab, alles hinzuwerfen.

Viele haben Ihnen geraten, Ihr Team zu verändern, sich von Ihrem Coach Johna­thon Banks zu trennen, der im Kampf keine Lösungen parat hatte. Warum haben Sie an ihm festgehalten?

Wenn man nach mehr als elf Jahren ohne Niederlage plötzlich verliert, wird alles infrage gestellt. Ist Klitschko zu alt? Hat er keine Power mehr? Aber als Insider weiß ich, dass ich das beste Team habe, das ich mir wünschen kann. Ich habe die Kritik wahrgenommen und mir andere Meinungen angehört, auch die meines Bruders Vitali. Aber es gibt niemanden, auf den ich die Fehler abwälzen kann. Ich allein war es, der nicht geliefert hat. Deshalb habe ich den Schlüssel zu Veränderungen allein bei mir gesucht.

Wladimir Klitschko (40) beim traditionellen Medientraining im Hotel Stanglwirt in Österreich
Wladimir Klitschko (40) beim traditionellen Medientraining im Hotel Stanglwirt in Österreich © dpa

Haben Sie nach der eingehenden Analyse des ersten Kampfes die Fehler gefunden, die zur Niederlage geführt haben?

Ich war körperlich in guter Form, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Es hatte mentale Gründe, dass meine Fäuste nicht geflogen sind. Ich konnte den Kampf nicht so dominieren, wie es meine Art ist. Wenn man ehrlich ist, war es ja eigentlich gar kein Kampf. Das waren zwölf Runden Schattenboxen. Ich war einfach nicht präsent im Ring. Ich habe zu wenig geschlagen, das werde ich verbessern.

Sie sprechen von mentalen Problemen. Hat Sie die Depressionserkrankung Ihrer Partnerin Hayden Panettiere beeinflusst?

Nein, da bin ich Profi genug, dass mich äußere Einflüsse nicht aus meinem Fokus herausreißen.

Dann muss Fury Sie mit seinem Stil und seinen Provokationen ja doch mehr beeindruckt haben als andere Gegner.

Viele haben mich das gefragt, ob Fury es geschafft habe, unter meine Haut zu dringen mit seinem Gerede. Aber das kann ich ausschließen. Mit diesem ganzen Unsinn kann er mich nicht treffen, dafür ist meine Haut viel zu dick. Was allerdings ein Faktor war, war sein Stil. Der war schon außergewöhnlich, und ich gebe zu, dass ich damit nicht klargekommen bin. Ich bin in der Hoffnung durch die Runden gestolpert, dass er irgendwann müde werden würde und ich dann meine Schläge ins Ziel bringen könnte. Aber das ist nicht passiert.

Es hat Sie überrascht, dass er der erste Gegner seit langer Zeit war, der seine vollmundigen Ankündigungen auch tatsächlich umgesetzt hat?

Ich habe gar nicht darauf gehört, was er angekündigt hat, deshalb weiß ich nicht, ob er das umgesetzt hat.

Wie kann es sein, dass jemand wie Sie, der sich akribisch auf seine Gegner vorbereitet, im Ring überrascht wird?

Das ist das, was ich auch meinen Gegnern antworte, wenn sie erklären, mich studiert zu haben. Man kann 95 Prozent der Vorbereitung durch intensives Gegnerstudium abdecken. Aber die restlichen fünf Prozent im Ring, in denen man spürt, was der Gegner wirklich kann, die kann man nicht simulieren. Das Gute ist: Ich weiß jetzt, was Fury wirklich kann. Deshalb ist dieser Rückkampf auch eine riesige Herausforderung. Ich bin sehr froh, dass ich die Chance bekomme, das zu reparieren, was schiefgelaufen ist.

Es gibt einige, die glauben, Sie hätten absichtlich verloren, um mehr Interesse für den Rückkampf zu erzeugen und neue Motivation zu erlangen. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?

Sie kennen mich seit vielen Jahren. Können Sie sich vorstellen, dass ich absichtlich verliere? Ein klares Nein ist meine Antwort.

Kann es passieren, dass Fury Sie im Ring erneut überrascht?

Er weiß wahrscheinlich selbst noch nicht, wie er boxen wird. Dieses Chaos gehört ja zu seinem Stil. Auch wenn er versucht hat, mich zu verwirren, als er auf der ersten Pressekonferenz seinen dicken Bauch gezeigt hat, weiß ich, dass er in bester Verfassung sein wird. Er ist jung, sein Ego ist groß, und er wird sich Gedanken darum gemacht haben, wie er Champion bleiben kann. Aber ich bin besessen davon, ihn zu besiegen. Dafür arbeite ich täglich hart.

Sie sind häufig für Ihren defensiven Stil kritisiert worden. Mit der Zögerlichkeit dürfte es am 9. Juli vorbei sein.

Zögern ist keine Option im Rematch, das ist klar. Da geht es nur nach vorn. In den vergangenen zehn Jahren als Weltmeister habe ich meine Emotionen immer sehr gut kontrolliert. Aber manchmal muss man sie auch laufen lassen. Ich habe nichts zu verteidigen und entsprechend auch nichts zu verlieren. Das Kampfmotto lautet: Revenge or Repeat – Rache oder Wiederholung. Wiederholen möchte ich die Pleite nicht, und ich weiß, dass ich stärker zurückkommen kann.

Wie hart war es für Sie, die drei Weltmeistertitel zu verlieren, die Sie über die Jahre mühsam verteidigt hatten, und so das Ziel, alle vier Gürtel zu vereinen, abhaken zu müssen?

Im ersten Moment war das schon komisch, dass man das, was man über Jahre gesammelt und behütet hat, auf einen Schlag verliert. Andererseits hat das wieder Spannung ins Schwergewicht zurückgebracht. Und die Titel sind im Rückkampf zweitrangig. Für mich geht es um die Ehre, denn erst zum zweiten Mal nach Lamon Brewster kämpfe ich gegen einen Mann, gegen den ich verloren habe. Das ist etwas ganz Besonderes. Dieser Kampf wäre auch ohne Titel ein großer Kampf.

Ist Ihnen die Niederlage gegen einen limitierten Mann wie Fury peinlich?

Nein, es ist schade, dass ich meine Aufgabe nicht erledigen konnte, aber es gibt dieses Auf und Ab im Leben, und es gibt Tage, an denen nichts funktioniert. Peinlich ist es mir, dass ich durch die Niederlage Fury eine Bühne geboten habe, die dieser Schwachmat nutzt, um seine verrückten Ansichten auszubreiten. Dass er als Champion das Boxen so schlecht repräsentiert, das hat mich wirklich aufgeregt. Das ist unseres Sports nicht würdig.

Sie spielen auf die wiederholten sexistischen und rassistischen Ansichten an, die Fury in diversen Interviews geäußert hat?

Seine Ansichten zu Frauen und Homosexuellen waren schon mehr als grenzwertig. Aber als er dann noch anfing, von einer Gehirnwäsche durch die Juden zu reden, da hörte er sich an wie Hitler. Das hat mir gezeigt, dass er psychisch krank ist. Deshalb gibt es nur zwei Optionen. Der Verband suspendiert ihn, oder ich bringe ihn im Ring zum Schweigen.

Wenn Sie erneut verlieren, war es das dann mit Ihrer Karriere?

Für mich gibt es dieses Wenn nicht, ich werde zurückschlagen. Meine Uhr tickt erst einmal nur bis zum 9. Juli. Was danach kommt, entscheide ich nach dem Rückkampf.

Könnte es auch sein, dass Sie nach einem klaren Sieg abtreten?

Ich verstehe, dass es für viele Fans interessant ist, wie es weitergeht. Ich war beeindruckt davon, wie viele Menschen mir auch nach der Niederlage die Treue gehalten haben. Ich hätte erwartet, dass sich mehr Leute von mir abwenden. Aber ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Ich realisiere, dass ich 40 Jahre alt bin, aber ich fühle mich nicht so. Mein Ego treibt mich an. Alle Fragen werden am 9. Juli beantwortet werden.

Dann nur noch diese Frage: Gibt es für Fury die gleiche Option wie für Sie – ein Rematch bei einer Niederlage?

Es wird keinen dritten Kampf geben. Und das nicht, weil ich mit dem Boxen aufhöre ...