Paris. Cristiano Ronaldo und Portugal sind am Ziel der Träume. Die Europameisterschaft ist der erste Titelgewinn der Nationalmannschaft.
Es gab diesen einen Moment im Flugzeug, als Cristiano Ronaldo auf dem Heimflug von Paris nach Lissabon etwas Ruhe fand. Er saß allein in der vordersten Reihe. Dunkelblauer Anzug mit Weste, weißes Hemd, Brillantknopf am Ohr. Auf dem Schoß: der Pokal des Europameisters, geschmückt mit grün-roten Bändern. Ronaldo schmiegte seine Wange an das Silber, als liebkose er seinen Sohn. Natürlich wusste er: Ein Fotograf hält die Szene fest. Soll er doch! Seit Portugal mit dem 1:0 gegen EM-Gastgeber Frankreich erstmals Europameister wurde, sprudeln Stolz und Genugtuung aus jeder Körperzelle. Große Spieler hat das kleine Portugal hervorgebracht. Eusebio. Paulo Sosa. Luis Figo. Aber nur er, Cristiano Ronaldo, bringt als Kapitän diesen Pokal mit nach Hause.
„Ich habe immer davon geträumt, mit Portugal zu gewinnen“, sagte der 31-jährige Superstar von Real Madrid. „Ich verdiene es, Portugal verdient es, die Fans verdienen es.“ Und in exakt dieser Reihenfolge. 2004 war er im eigenen Land spektakulär im Finale an Griechenland gescheitert. 2016 ist das Trauma besiegt. „Das ist einer der glücklichsten Momente meiner Karriere.“
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„Es waren Jahre voller Opfer“
Und das sagt einer, der überall Erfolg hatte. Dreimal Sieg in der Champions League. Dreimal Weltfußballer des Jahres. Englischer Meister. Spanischer Meister. Pokalsiege, Supercup, praktisch alles. Nur kein Turniersieg mit der Nationalelf. Die Euro in Frankreich war sein siebter Versuch. „Es waren viele Jahre voller Opfer“, sagte Ronaldo, „niemand hat an uns geglaubt.“ Er schon. Jetzt sitzt er hier im Flieger, umringt von Fußballstars und Talenten, die für ihn durchs Feuer gehen. In Frankreich haben die Portugiesen einen anderen Ronaldo erlebt. Nicht nur den, der jeden Ballverlust als persönliche Beleidigung empfindet. Sondern einen, der Abwehrarbeit verrichtet, in Zweikämpfe geht, Gegenspielern nachläuft. Fürs Team Verletzungen riskiert.
Sogar seine Auswechslung nach der Knieverletzung, die ihm der Franzose Dimitri Payet zu Spielbeginn zugefügt hat, trägt zur Legendenbildung bei. „Als er sagte, er kann nicht mehr, habe ich meinen Teamkollegen gesagt: Wir müssen das jetzt für ihn gewinnen und für ihn kämpfen“, erzählte Verteidiger Pepe vom Drama in der 25. Minute, als Ronaldo vom Platz getragen wurde.
Tatsächlich wehrten die Portugiesen jede Angriffswelle der Franzosen ab, wie sie es schon im gesamten Turnier getan hatten. Mit drei Unentschieden waren sie als Gruppendritter von der Vorrunde in die K.-o.-Phase gestolpert und erzwangen jede neue Runde mit knochenharter Abwehrarbeit. Mit dem EM-Titel stehen sie auf einer Stufe mit Italien, die das gleiche Kunststück beim WM-Sieg 1982 schafften.
Ein Märchen auch für Fonte
„Das könnte ein Hollywoodfilm sein“, stammelte José Fonte, der sich mit Pepe gegen den EM-Torschützenkönig Antoine Griezmann (sechs Tore) gestemmt hatte. „Vor wenigen Jahren habe ich noch in der dritten englischen Liga gespielt — jetzt bin ich Europameister.“ Portugal kann sein Glück kaum fassen. Pepe: „Gott hat uns geholfen, wir waren Kämpfer auf dem Platz.“
Frankreich galt als Favorit, seit die Mannschaft drei Tage zuvor Weltmeister Deutschland mit zwei Griezmann-Toren aus dem Turnier geschossen hatte. „Wir waren nicht so abgebrüht wie gegen Deutschland“, versuchte Trainer Didier Deschamps eine Erklärung, warum Griezmann diesmal leer ausging.
Anders Portugal. Als Ronaldo draußen war und die Mannschaft merkte, dass Frankreich keine Lösung gegen ihr Abwehrbollwerk fand, brachte Trainer Fernando Santos sogar eine frische Offensivkraft: den späteren Siegtorschützen Éder. Auch der pries Ronaldo: „Er hat gesagt, dass er uns allen vertraut. Mit dieser Energie machte er uns Mut.“ Fußball am Rande des Kitschs.
Die EM aus der Sicht Ronaldos:
Die EM aus der Sicht von Cristiano Ronaldo
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Ronaldo betete zwölf Jahre lang
In der Schlussphase stand Ronaldo so wild gestikulierend, motivierend, mit beiden Armen am Spielfeldrand rudernd, dass nicht mehr zu erkennen war, wer das Sagen hatte – er oder Santos. Die missbilligenden Blicke des Trainer nahm Ronaldo nicht wahr. Das hier war sein Ding. Als er später als Kapitän bei der Siegerehrung den EM-Pokal hochriss, weinte Ronaldo vor Glück.
„Ich habe seit 2004 darum gebetet, dass ich noch eine Chance bekomme“, sagte er. Damals war er 19 Jahre alt, die Entdeckung der EM in Portugal, als er Figo im Mittelfeld diente. Seine Muskelberge wurde wie eine Weltneuheit gefeiert. Titel gewann er mit Portugal nicht. Bis Éder in der 109. Spielminute den Ball aus 22 Metern ins linke Ecke feuerte und Ronaldo erlöste.
Ausgerechnet Éder. „So ist Fußball“, sagte der Neu-Bayer Renato Saches, „Éder wurde immer kritisiert, und dann trifft er. Das war die bestmögliche Antwort.“ Eine bessere lieferte der Trainer, der über Éder sagte: „Das hässliche Entlein ist reingekommen und hat getroffen. Jetzt ist er ein wunderschöner Schwan.“ Mindestens so schön wie Cristiano Ronaldo, logisch.
Deschamps will weitermachen
Die Franzosen dagegen können es nicht fassen, dass sie nach der EM 1984 und der WM 1998 nicht auch das dritte Turnier zu Hause gewinnen konnten. „Es schmerzt, aber es lässt uns glauben, dass bessere Tage in der Zukunft liegen“, sagte Trainer Deschamps. Er will als Nationaltrainer die Mannschaft auf die WM 2018 in Russland vorbereiten. „Das ist mein Plan.“
Vorher müsse er die Niederlage verdauen. Es gebe keine richtige Erklärung, warum seine Equipe von Sieg zu Sieg eilt und sogar Weltmeister Deutschland mit 2:0 im Halbfinale schlägt — dann aber in 120 Spielminuten kein Tor gegen Portugal erzielt. Lag es an Griezmann? Der EM-Torschützenkönig verlor nach dem Champions-League-Finale sein zweites Endspiel in 43 Tagen. „Ich möchte ihm gratulieren für das, was er geleistet hat“, sagte Deschamps. Ohnehin lag die Schuld eher bei Starspielern wie Paul Pogba, der keine Struktur ins Spiel bringen konnte. Einen Trost bekommen die Franzosen: 250.000 Euro Prämie und ein Mittagessen bei Staatspräsident Francois Hollande.