Stuttgart. Österreicher gewinnt Stuttgarter ATP-Turnier nach denkwürdigem Endspiel. Damit ist der Shootingstar 2016 erfolgreicher als Djokovic.

Shootingstar Dominic Thiem ließ sich nach der erfolgreich gemeisterten Geduldsprobe rücklings auf den Rasen fallen und konnte seinen Titel-Coup im Stuttgarter Regenchaos kaum fassen. Durch das 6:7 (2:7), 6:4, 6:4 im denkwürdigen Finale des ATP-Turniers auf dem Weissenhof gegen Philipp Kohlschreiber (Augsburg/Nr. 7) avancierte der "Domi-Nator" aus Österreich zum derzeit erfolgreichsten Spieler des Jahres.

"Das fühlt sich unwirklich an. Vielleicht lief es in Stuttgart so gut, weil ich ohne Erwartungen angereist bin", sagte Thiem. Dabei hat der 22 Jahre alte Paris-Halbfinalist, bodenständiger Anführer der "NextGen", in der laufenden Saison bereits 45 Matches gewonnen. Branchenführer Novak Djokovic aus Serbien folgt in dieser Statistik mit 44 Siegen erst auf Platz zwei.

Platt wie eine Flunder: Thiem im zweiten Teil des Finals am Montag
Platt wie eine Flunder: Thiem im zweiten Teil des Finals am Montag © dpa

"Dominic spielt derzeit das beste Tennis seines Lebens. Er agiert mit viel Geschwindigkeit und Kraft", hatte Djokovic den Weltranglistensiebten schon jüngst am Rande der French Open gelobt.

Auch Grand-Slam-Rekordsieger Roger Federer, der im Semifinale von Stuttgart an Thiem gescheitert war, traut dem Aufsteiger noch viel zu: "Er ist ein super Spieler. Es sind gerade interessante Zeiten im Herrentennis", meinte der Schweizer mit Blick auf die jungen Wilden.

Thiem zählt jetzt zu Wimbledon-Favoriten

In Stuttgart jedenfalls unterstrich Thiem vor seiner Weiterreise zu den Gerry Weber Open in dieser Woche in Halle/Westfalen trotz schwierigster Bedingungen sein enormes Potenzial. Dass er in Wimbledon (ab 27. Juni) nun zum Favoritenkreis zählt und in seiner Heimat einen Hype auslösen könnte, wollte er noch nicht so recht wahrhaben. "Jetzt ist erstmal Fußball-EM, da liegt in Österreich die Konzentration drauf", sagte Thiem.

Der 32-jährige Kohlschreiber, der bislang bei sieben ATP-Events triumphieren konnte, verpasste indes seinen insgesamt sechsten Titel bei einem deutschen Turnier. "Dominic hat momentan ein riesen Selbstvertrauen und ist top drauf. Er war einfach besser", gab Kohlschreiber zu.

Thiem hat durch seinen Erfolg am Weissenhof als erster Spieler in diesem Jahr Turniere auf drei unterschiedlichen Belägen (Sand, Hard, Rasen) gewonnen. Vor seinem Start in Stuttgart hatte der Chelsea-Fan aus Wiener Neustadt in seiner Karriere erst zwei Gras-Matches siegreich gestalten können.

Das Finale war nach insgesamt drei Regenunterbrechungen am Sonntagabend auf Montag verschoben worden. Bei der Fortsetzung nach gut 14-stündiger Pause wurde am Montagvormittag allerdings nicht mehr auf dem Centre Court, sondern wegen der besseren Griffigkeit des Rasens auf dem zweitgrößten Platz am Rande der Anlage gespielt. Rund 500 Zuschauer bildeten den ungewöhnlichen, aber durchaus charmanten Rahmen.

McEnroe schielt auf Thiem

Auf Titelgewinner Thiem hat auch John McEnroe bereits eine Auge geworfen. Die US-Ikone besuchte den Powerspieler mit der einhändigen Rückhand unlängst beim Training in Paris und wünschte ihm viel Glück. "Das war schon etwas ganz Besonderes", schwärmte der Niederösterreicher von "BigMac".

Dabei hätte eine bakterielle Darminfektion Thiem fast komplett ausgebremst. Mit 16 Jahren hatte er sich diese in Südafrika unbemerkt eingefangen. Drei Jahre lang konnte keine Diagnose gestellt werden, die Ärzte tappten im Dunkeln. Thiem fühlte sich schlapp und entdeckte sogar Blutspuren in seinem Stuhl. Was er allerdings verschwieg, um nicht mit dem Training aussetzen zu müssen. "Körperlich und psychisch war diese Phase eine extreme Belastung für mich", berichtete Thiem, der vom ehemaligen Boris-Becker-Coach Günter Bresnik betreut wird.