Das Abendblatt dokumentiert den Weg von vier Hamburgern zu den Sommerspielen. Die wichtigste Etappe ist geschafft: die Qualifikation.

Auch wenn König Fußball sich anschickt, für die nächsten vier Wochen die uneingeschränkte Herrschaft über Sportdeutschland an sich zu reißen: Nicht einmal zwei Monate ist es noch hin, ehe in Rio de Janeiro am 5. August die Olympischen Sommerspiele 2016 eröffnet werden. Bislang haben 16 Mitglieder des Teams Hamburg die Qualifikation für Brasilien sicher (siehe Infokasten unten).

Seit Anfang Februar begleitet das Abendblatt Beachvolleyballerin Laura Ludwig, Hockeyspielerin Lisa Altenburg, Ruderer Eric Johannesen und Boxer Artem Harutyunyan. Wir wollen in loser Folge aufzeigen, wie hart die Athleten in der Vorbereitung trainieren, wann aus Vorfreude Anspannung wird und was wichtige Etappen sind auf dem Weg nach Brasilien. Das wichtigste Zwischenziel haben alle vier in den vergangenen Wochen erreicht – die Qualifikation!

Eric Johannesen

Olympiafieber? Eric Johannesen rümpft die Nase und hebt die breiten Schultern zu einem Zucken. Er würde sich ja gern freuen auf die Sommerspiele in Rio de Janeiro, doch da sind die Nachrichten aus seiner Heimatstadt, die ihm den Spaß am Sport ein Stück weit verderben. Das Aus des Eishockeyteams der Hamburg Freezers hat auch den Achter-Olympiasieger vom Ruder-Club Bergedorf tief getroffen. „Auch wenn ich sicherlich kein echter Fan war, habe ich mir trotzdem ein Rettertrikot gekauft“, sagt er. Dass die Sportstadt Hamburg nun so schlechtgeredet werde, dass das Ende November 2015 verlorene Referendum um eine mögliche Bewerbung als Ausrichter der Spiele 2024 so hart durchschlagen würde – Johannesen hätte das nicht erwartet. „Mir tut das sehr weh, und ich mache mir schon Sorgen um die Sportstadt Hamburg“, sagt er.

Eric Johannesen, Ruderer
Eric Johannesen, Ruderer © Andreas Laible | Andreas Laible

Dann aber spricht der 27-Jährige doch über den Tag Ende April, an dem aus Hoffnung und positiver Erwartungshaltung Gewissheit wurde, weil er von Bundestrainer Ralf Holtmeyer in das Aufgebot für Brasilien berufen wurde. „Meine Nominierung mag vielleicht keine Zitterpartie gewesen sein, eine mentale Belastung ist es aber schon, noch nichts Genaues zu wissen. Als ich dann erreicht hatte, worauf ich über Jahre hingearbeitet habe, fiel eine echte Last von mir ab“, gibt er zu.

Mit der Nominierung sei für ihn der Startschuss zum zweiten Anlauf auf Gold gefallen. Von da an wurde nicht mehr im Zweier, sondern im Großboot gearbeitet. „Grundsätzlich sind alle Teammitglieder keine Anfänger, sodass man niemandem die Grundlagen erklären musste“, sagt er, „aber es sind acht Charaktere, die man so homogen wie möglich zusammenführen muss. Das ist harte Arbeit.“ Arbeit, die nun hauptsächlich im Training geleistet werden muss. Gold bei der Heim-EM in Brandenburg am 8. Mai war eine wichtige Zwischenetappe, das Weltcupfinale im polnischen Posen am 18./19. Juni ist der letzte Wettkampf vor Rio. Danach geht es mit dem Männer-Riementeam für knapp drei Wochen ins Trainingslager nach Völkermarkt (Österreich), der Feinschliff erfolgt dann mit dem gesamten deutschen Ruderaufgebot in Ratzeburg.

„Trainingsschwerpunkt ist jetzt der Ausdauerbereich, damit wir auf den mittleren 1000 Metern keine Zeit mehr einbüßen“, sagt Johannesen, der sein Zuhause in den kommenden Wochen nur noch selten sehen wird. Der Anspruch des Bundestrainers ist, dass ein Rennen entweder gut oder sehr gut laufen kann. „Wir haben uns vorgenommen, so gut zu werden, dass wir auch mit einem schlechten Rennen Olympiasieger werden“, sagt Eric Johannesen. Man kann sich vorstellen, dass dafür eine Menge Arbeit notwendig ist. Aber Ablenkung in Form von Arbeit hilft auch dabei, die Sorgen um die Heimat zu verdrängen.

Lisa Altenburg

Die Sorgen, die Lisa Altenburg in den vergangenen Wochen begleiteten, waren ganz anderer Natur. Fit werden musste die Torjägerin vom Uhlenhorster HC, um es ins Aufgebot der deutschen Hockeydamen zu schaffen. Ein Ermüdungsbruch im rechten Fuß, erlitten im Januar beim Zentrallehrgang in Singapur, hatte die 25-Jährige weit zurückgeworfen. Anfang April hatte sie ihr Comeback verschieben müssen, weil Komplikationen aufgetreten waren. Und trotzdem war ihr Name dabei, als Bundestrainer Jamilon Mülders Ende Mai sein 18 Spieler umfassendes Aufgebot bekannt gab.

Lisa Altenburg, Hockeyspielerin
Lisa Altenburg, Hockeyspielerin © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

„Ich bin einfach nur happy, dass es so positiv verlaufen ist“, sagt Altenburg, dem die langen Wochen der Rehabilitation wie „ein Leben in der Seifenblase“ vorkamen. Um die frohe Kunde der Nominierung persönlich zu vernehmen, war sie extra zum Lehrgang nach Köln gereist. „Und ich war wahnsinnig erleichtert, als klar war, dass ich dabei bin.“ Allerdings: Zu 100 Prozent sicher ist das noch nicht, ihre Spielfähigkeit muss sie noch nachweisen. Am besten bereits an diesem Wochenende, wenn die deutschen Damen in Hamburg auf der Anlage des Polo Clubs am Hemmingstedter Weg zum Viernationenturnier gegen Südkorea (Do, 19 Uhr), China (Sa, 15.30 Uhr) und Argentinien (So, 13.30 Uhr) antreten.

„In der vergangenen Woche habe ich viele Sprints mit Richtungswechseln absolviert, da fühlte sich der Fuß sehr gut an. In dieser Woche darf ich endlich wieder ins Mannschaftstraining einsteigen, und wenn alles wie geplant läuft, könnte ich gegen China oder Argentinien auflaufen“, sagt sie. Von Hamburg fliegt das Team am Sonntag nach London, wo Länderspiele gegen Südkorea und Australien anstehen. In der Woche darauf geht es bis 27. Juni zum Teambuilding an den Gardasee. „Ich bin nur auf die nächsten zwei Wochen fokussiert und denke noch gar nicht an Rio, denn wenn ich nicht fit werde, dann ist Brasilien eh kein Thema“, sagt sie.

Dass in den kommenden Wochen sehr wenig gemeinsame Zeit mit der drei Jahre alten Tochter Sophie bleiben wird, wurde in der Familie Altenburg dagegen schon thematisiert. Lisas Ehemann Valentin ist als Bundestrainer der Hockeyherren ebenfalls voll im Olympiastress, die Kleine wird viel Zeit mit den Großeltern verbringen. „Aber ehrlich gesagt freut sie sich riesig darauf. Und während meiner Verletzung hatte ich so viel Zeit für Sophie, dass die Abwechslung für sie jetzt auch schön ist.“

Laura Ludwig

Abwechslung hat Laura Ludwig wahrlich genug. Mit ihrer Partnerin Kira Walkenhorst ist die HSV-Beachvolleyballerin auch in den vergangenen Monaten durch die Welt gereist. Umso glücklicher ist die 30-Jährige, dass sie in dieser Woche mal im heimischen Bett schlafen kann. Am Rothenbaum findet nämlich das letzte für die Olympia-Qualifikation relevante Majorturnier statt. „Es ist sehr schön, einen richtigen Rückzugsort zu haben, auch wenn ein Heimturnier natürlich auch anstrengend ist, weil sehr viele Medienanfragen kommen und eine Menge Freunde und Familienmitglieder da sind, denen man etwas bieten will“, sagt sie.

Laura Ludwig, Volleyball-Spielerin
Laura Ludwig, Volleyball-Spielerin © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Andererseits ist dieser Druck im Hinblick auf Olympia auch förderlich. Das Ticket für Rio hatte das Duo seit dem Sieg Mitte Mai bei den Antalya Open sicher, infrage stand die Qualifikation für die Weltranglistenvierten sowieso nie wirklich. Umso wichtiger wird es auch in den kommenden Wochen sein, die Spannung weiter hochzuhalten. „Wir müssen uns als Team weiter finden und die Automatismen entwickeln. Dafür ist ein Heimturnier eine gute Übungsform“, sagt die gebürtige Berlinerin. Dass Kira und sie am vergangenen Sonntag in Biel (Schweiz) ihren EM-Titel erfolgreich verteidigen konnten, sei ebenfalls eine wichtige Bestätigung dafür gewesen, „dass wir ein Turnier durchziehen, mit Rückschlägen und der Favoritenrolle umgehen können“.

Bis zu den Sommerspielen stehen nach Hamburg noch Majorturniere in Polen, Kroatien, der Schweiz und Österreich an. Die wenigen freien Tage, die in Hamburg bleiben, will Laura Ludwig nutzen, um zu entspannen, Freunde zu treffen und den Kopf frei zu kriegen von den bewegten und bewegenden Momenten, die ihr Sport ihr bietet.

Artem Harutyunyan

Bewegte Zeiten, die hat der Boxsport in den vergangenen Wochen ebenfalls erlebt. Am 1. Juni fällte der olympische Weltverband Aiba die endgültige Entscheidung, die Sommerspiele auch für Profis zu öffnen. Wer nun befürchtet, Artem Harutyunyan könnte angesichts der neuen, schlagkräftigen Konkurrenz in Panik verfallen, der ist völlig falsch gewickelt. „Mich interessiert überhaupt nicht, ob mein Gegner Profi ist, Weltmeister oder Anfänger. Ich muss mich gegen jeden behaupten, wenn ich Olympiasieger werden will“, sagt der 25-Jährige, der die historische Wende der Aiba sehr unaufgeregt verfolgt hat.

Boxer Artem Harutyunyan
Boxer Artem Harutyunyan © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Der Halbweltergewichtler, der für den TH Eilbeck startet, aber in Schwerin am Olympiastützpunkt trainiert, ist seit Monaten der entspannteste Athlet des Quartetts, weil er sein Rio-Ticket bereits im Juli vergangenen Jahres gelöst hatte. Entsprechend konzentriert konnte sich der gebürtige Armenier auf die Anforderung vorbereiten, die das Turnier in Brasilien ihm abverlangt: die Umstellung auf das olympische Format.

Dreimal drei Minuten wird in Rio gekämpft, die vierfache Distanz ist Harutyunyan aus der Aiba-Profiserie APB gewohnt. „Die größte Umgewöhnung ist das veränderte Tempo“, hat er festgestellt, „man muss bei dreimal drei Minuten viel mehr Gas geben.“ Dass er das kann, zeigte sich Ende April bei einem Turnier in Serbiens Hauptstadt Belgrad, das er gewinnen konnte. „Die Sicherheit war sofort wieder da“, sagt er, „es war wichtig zu spüren, dass ich nichts verlernt hatte.“ Aus Sorge vor einer Verletzung hat er bis zum ersten Gong in Rio keine Wettkämpfe mehr geplant. In der vergangenen Woche absolvierte das deutsche Team in Kienbaum einen Sparringslehrgang. Bis zum 17. Juni in Schwerin und anschließend zwei Wochen im österreichischen Sölden wird nun an den athletischen Grundlagen gefeilt.

Immer im Kopf die Vorfreude auf die ersten Olympischen Spiele, die noch einmal gewachsen ist, seit Klarheit darüber herrscht, dass Bruder Robert (26), der im Leichtgewicht die Rio-Qualifikation verpasst hatte, als Betreuer mit nach Brasilien darf. „Er ist meine mentale Stütze und gleichzeitig mein Trainingspartner“, sagt Artem, „dass Robert mitkommt, wird noch mehr Kraft freisetzen.“ Kraft, die er brauchen wird, um den Traum vom Gold wahr zu machen.