Hamburg. Europarekordler im Weitsprung hat wegen Knieproblemen Trainingsrückstand. Im Kampf um die dritte Olympia-Teilnahme wird die Zeit knapp.

Kürzlich hat Sebastian Bayer Post von der Deutschen Sporthilfe bekommen. Er möge sich schon einmal den Termin für den „Champion des Jahres“ frei halten. Wie in jedem Jahr werden auch in diesem Frühherbst wieder die erfolgreichsten Athleten zu einem einwöchigen Cluburlaub nach Andalusien eingeladen. Einzige Bedingung: Bayer muss bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) eine Medaille gewinnen.

Bayer, 29, wäre es zuzutrauen, unter normalen Umständen. Vor vier Jahren in London sprang er mit 8,10 Metern um ganze drei Zentimeter am dritten Platz vorbei. Und nachdem sich die Olympiasieger Dwight Phillips (USA/2004) und Irving Saladino (Panama/2008) vom Wettkampfsport zurückgezogen haben, gibt es weltweit keinen aktiven Springer mehr, der es je so weit gebracht hat wie Bayer vor sieben Jahren bei seinem famosen Halleneuroparekord-Satz auf 8,71 Meter.

Die Vorsaison musste Bayer auch wegen Fußbeschwerden ausgelassen

Aber die Konkurrenz ist derzeit gar nicht Bayers Problem. Es ist sein eigener Körper, wieder einmal. Schon die Vorsaison hatte der HSV-Athlet wegen Fußbeschwerden ausgelassen – um seine dritte Olympiateilnahme nicht zu gefährden. Seit Februar ist es nun das Knie, das Sorgen bereitet und ihn nicht so trainieren lässt, wie er es eigentlich müsste. „Was fehlt, ist nicht Kraft oder Ausdauer“, sagt Bayer, „sondern die spezifische Belastung beim Sprung.“

Sein Trainer Uwe Florczak hat längst angefangen, rückwärts zu rechnen. Am 12. Juli, exakt einen Monat vor dem Qualifikationswettkampf in Rio, schlägt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) dem Deutschen Olympischen Sportbund seine Kandidaten für die Spiele vor. Bis dahin muss Bayer die Norm von 8,15 Metern erfüllt haben, wobei nur zwei weitere Deutsche weiter gesprungen sein dürfen. „Um das zu schaffen, brauchen wir mindestens sechs Wochen, in denen Sebastian nahezu schmerzfrei Sprint- und Sprungtraining absolvieren kann“, sagt der Hamburger Florczak, der als leitender Bundestrainer den Bereich Sprung im DLV verantwortet.

Die Uhr beginnt zu ticken

Es wird ein Wettlauf gegen die Zeit. Und die Uhr beginnt spätestens kommende Woche zu ticken. Am Dienstag soll es mit ersten Sprüngen aus sechs bis acht Schritten Anlauf losgehen, dann die Belastung von Woche zu Woche gesteigert werden: auf zehn bis zwölf, dann 14, dann 16 Schritte. Wobei auch immer wieder Erholungsphasen einzuplanen sind. Um seine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, benötigt Sebastian Bayer 20 Schritte Anlauf.

Wann er wieder einen Wettkampf bestreiten kann – seinen ersten seit den Europameisterschaften vor zwei Jahren in Zürich –, lässt sich nicht absehen. Für ihn selbst ist klar: „Ich werde nicht einsteigen, bevor ich mir nicht sicher bin, dass ich 7,80 oder 7,90 Meter springen kann. Ich will mich nicht unter Wert verkaufen. Da gewinne ich lieber zwei zusätzliche Trainingstage.“

Vor den deutschen Meisterschaften am 18./19. Juni in Kassel ist daran kaum zu denken. Und selbst wenn es bis dahin reicht, wären die nationalen Titelkämpfe für Florczak „allenfalls ein Aufbauwettkampf“. Der allerdings ist nicht nur Voraussetzung für die Teilnahme an den Europameisterschaften in Amsterdam (6. bis 10. Juli), er ist auch die letzte Gelegenheit, um sich dafür zu qualifizieren. Gefordert sind mindestens 8,00 Meter.

2012 war sein vielleicht bestes Jahr

Bayer wäre gern in Amsterdam dabei. Europameisterschaften sind sein Wettbewerb, zweimal gewann er in der Halle Gold, einmal im Freien, das war 2012 in Helsinki. Es war sein vielleicht bestes Jahr – weil sein Körper weitgehend mitspielte. Die Olympianorm im ersten Wettkampf abgehakt, dann zum fünften Mal deutscher Meister geworden, dann mit 8,34 Metern überlegen Europameister, dann ins olympische Finale gesprungen, nachdem er 2008 in Peking mit 7,77 Metern noch in der Qualifikation hängen geblieben war.

Wäre er damals so von seinem Körper im Stich gelassen worden wie jetzt, „dann wäre ich nervös geworden“, sagt Bayer. Aber jetzt, mit bald 30, sei er „in einem Alter, in dem ich die Dinge sehr gut einschätzen kann. Mir ist bewusst, dass es eng werden kann, aber meine Erfahrung gibt mir sehr viel Zuversicht, dass ich die 8,15 Meter springen kann.“

Wenn nicht bei den deutschen Meisterschaften, dann eben am 3. oder 10. Juli, eine Ausnahmegenehmigung vorausgesetzt. Sollte sich kein geeignetes Meeting finden, würde Florczak selbst einen Wettkampf oder sogar zwei organisieren, im Hammer Park zum Beispiel, dort gibt es eine gute Anlage. Einzige Voraussetzung: Ein zweiter Bundeskaderathlet müsste teilnehmen. Es wäre das geringste Problem. Flor­czak ist seit Jahren auch Bundestrainer der männlichen Weitspringer.