Hamburg. Erstmals ist beim Haspa Marathon die Nummer eins der Weltrangliste am Start. Der Lauf dient vielen Nationen als Olympia-Qualifikation.

Bis vor einer Woche wusste die Siegerin des 31. Haspa Marathons noch gar nicht, dass sie in Hamburg starten würde. Gut, noch hat Meselech Melkamu nicht gewonnen, aber Jos Hermens ist sich sicher, dass die Äthiopierin das Rennen am Sonntag machen wird: „Sie hat nicht nur die beste Vorleistung“, sagt der sportliche Leiter, „sie hat auch den größten Ehrgeiz.“ Dass Melkamu erst am vergangenen Freitag ihr Visum zugestellt bekam, ist aber sicher.

Melkamu, 30, ist nicht die einzige Topathletin, die Hermens und Renndirektor Frank Thaleiser kurzfristig noch zugelaufen ist. Über den Umweg Hamburg hoffen es viele noch zu den Spielen nach Rio zu schaffen. „Der Marathon steht in diesem Jahr unter dem olympischen Motto“, sagt Thaleiser.

Meselech Melkamu hat in dieser Saison bereits eine erstklassige Zeit stehen: 2:22:29 Stunden, gelaufen Ende Januar beim Dubai-Marathon. Die Leistung ist allerdings mit zwei Sternchen zu versehen. Zum einen: Die ersten beiden Plätze in Dubai waren ebenfalls von Äthiopierinnen belegt, in der Weltrangliste stehen sogar drei Landsfrauen vor Melkamu. Zum anderen: Der Kurs in dem Emirat gilt als besonders leicht: Er führt kerzengerade der Küste entlang, keine Erhebung, keine Kurven, nur zwei Wendepunkte, dazu ideale klimatische Bedingungen. Der Niederländer Hermens, bekanntester Athletenmanager weltweit, schätzt, dass das locker eine Minute ausmacht. Aber selbst wenn man sie auf Melkamus Zeit aufschlägt, würde das reichen, um den Streckenrekord in Hamburg (2:24:12) zu unterbieten.

Das wird auch nötig sein, um als eine von drei Athletinnen ihres Landes für Rio nominiert zu werden. Leistungen unter Laborbedingungen wie in Dubai werden in den großen Laufnationen Äthiopien und Kenia mittlerweile kritisch betrachtet. Und das kommt anspruchsvolleren Strecken wie Hamburg, trotz der zunehmenden Konkurrenz von Marathons in China und dem arabischen Raum, durchaus entgegen. „Die Verbände nominieren inzwischen nicht mehr stur nach der Weltjahresbestenliste“, sagt Hermens, „sie akzeptieren inzwischen Hamburg als einen der großen Frühjahrsmarathons neben Boston oder London, bei dem man sich für die Spiele qualifizieren kann.“

Nur so ist zu erklären, dass Hermens auch kurzfristig Tesfaye Abera für einen Start in Hamburg gewinnen konnte. Der Äthiopier gewann in Dubai in 2:04:23 Stunden, schneller war in dieser Saison noch kein Läufer weltweit. Ein Weltjahresbester unter den Teilnehmern – das gab es in der 30-jährigen Geschichte des Haspa Marathons noch nie. Im Vorjahr war Abera noch nahezu unbemerkt als Zehnter in 2:10:49 Stunden durchs Ziel an der Karolinenstraße gelaufen.

Die wundersame Steigerung lässt Hermens allerdings weniger auf Doping als auf eine Umstellung des Trainings und der Wettkampfplanung schließen – von den besonderen Bedingungen in Dubai ganz abgesehen. „Außerdem hatte ich vor einem Jahr in Hamburg Probleme mit den Beinen“, sagt Abera, 23.

In London wäre ihm ein drei- bis viermal so hohes Startgeld sicher gewesen. Hermens riet ihm dennoch ab: „Dort sind so viele Topleute, dass Tesfaye untergehen könnte. Hier können wir das Rennen auf ihn zuschneiden und ihn auf der Strecke coachen.“ Wenn Abera dann in die Nähe des Streckenrekords von Eliud Kipchoge (2:05:30 Stunden) kommen sollte, „dann wird es für den Verband schwer, ihn nicht für Rio zu nominieren“.

37 Nationen haben in diesem Jahr ihre Spitzenläufer nach Hamburg entsandt, insgesamt sind es 140. „Diese Zahl macht uns stolz“, sagt Thaleiser. Sogar Brasilien wertet den Lauf als Ausscheidung für die Spiele im eigenen Land. Den Grund glaubt Hermens zu kennen: „In London oder Boston ist es ein bisschen wie in einer Fabrik. In Hamburg ist es familiär, hier fühlen sich die Athleten wohl.“