Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof BGH verhandelt darüber, ob er Pechsteins Schadensersatzklage gegen den Eislauf-Weltverband zulässt.

Claudia Pechstein gibt nicht auf. Weder auf dem Eis noch vor den gerichtlichen Instanzen. Wegen einer aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Zwei-Jahres-Sperre 2009 führt die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin zwei Tage nach dem frühzeitigen Ausscheiden bei der Allround-WM in Berlin den siebten Prozess gegen den Eislauf-Weltverband ISU zur Wiederherstellung ihres Rufes und um fünf Millionen Euro Schadensersatz.

Der möglicherweise historische Termin findet am Dienstag am Bundesgerichtshof in Karlsruhe statt. Das Urteil wird erst in einigen Wochen erwartet. Doch sind sich Experten sicher, dass schon der Verhandlungsverlauf Rückschlüsse zulässt, in welche Richtung die Richter tendieren könnten. Die wichtigsten Fragen:

Warum unterzieht sich Pechstein so einem Prozess-Marathon?

Sie betont immer wieder, dass es ihr um Gerechtigkeit ginge. 2009 war Pechstein ohne positiven Befund durch den Welteislauf-Verband ISU zu einer Doping-Sperre von zwei Jahren verurteilt worden. Einziges Indiz waren Pechsteins schwankende Retikulozytenwerte. Die Athletin bestreitet jegliches Doping. Inzwischen ermittelten Hämatologen aus mehreren Ländern eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Grund ihrer Werte. Pechstein verklagt die ISU wegen erlittenen Unrechts und erhielt im Januar 2015 Rückenwind durch das Urteil des Oberlandesgerichts München.

Warum beschäftigt sich jetzt das höchste deutsche Zivilgericht mit dem Fall?

Die ISU war nach dem Münchner Urteil in Revision gegangen. Sie vertritt nach wie vor die Auffassung, dass Sportler mit ihrer Unterschrift unter die sogenannte Schiedsklausel akzeptieren, dass sie sich ausschließlich der Sportschiedsgerichtsbarkeit unterwerfen und somit von einem Gang vor ein Zivilgericht ausgeschlossen sind. Dem Bundesgerichtshof obliegt es nun, die vom OLG angenommene Klage Pechsteins zu bestätigen oder abzuweisen.

Geht es Pechstein „nur“ um fünf Millionen Euro Schadensersatz?

Nach eigener Aussage hat Pechstein 750.000 Euro in die Prozesse investiert, alle Rücklagen sind aufgebraucht. Allein 170.000 Euro zahlte Pechstein für Sportgerichts-Verfahren gegen die ISU vor dem CAS sowie dem Schweizer Bundesgericht. Da sie nicht erfolgreich war, musste sie auch alle Kosten der Gegenseite tragen. Durch die Sperre hatte sie nicht nur an Image, sondern auch viele Geldgeber verloren. Insofern ist das Geld nicht unwichtig. Doch ihr geht es um mehr: Sie fordert eine Reformierung der Schiedsgerichtsbarkeit.

Was heißt Reformierung der Sportschiedsgerichte?

Pechstein und ihr Team wollen erreichen, dass Schiedsgerichte die gleiche rechtsstaatliche Basis bieten wie Zivilgerichte. Dabei steht vor allem die Unabhängigkeit der Richter im Vordergrund. Derzeit werden die Richter, die beim CAS urteilen, mehrheitlich von den Verbänden bestimmt. So lange nicht gewährleistet sei, dass der CAS beklagten Sportlern ein faires Verfahren einräume, in dem zum Beispiel bei neuen Beweisen auch die Wiederaufnahme des Verfahren möglich wird, verlangt Pechstein für sich und andere Sportler das Recht, ein Zivilgericht anrufen zu dürfen.

Welche Wirkung kann das Urteil haben?

Sollte der BGH Pechstein folgen, würde das Urteil eine Revolution für die Sportschiedsgerichtsbarkeit auslösen. Der US-Amerikaner Mike Morgan, Mitbegründer von Morgan Sports Law, spricht in der „New York Times“ von „Schockwellen“, die ein solches Urteil aussenden würde. Das Prinzip allein zuständiger Sportschiedsgerichte wäre erschüttert. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte schon 2014 Reform-Vorschläge an den CAS gesandt.

Wie geht es weiter, sollte der BGH die Revision der ISU zurückweisen?

Dann würde am Oberlandesgericht München weiter verhandelt. Dort würde der Fall Pechstein erneut aufgerollt, die ISU müsste ihr einen Dopingverstoß nachweisen. Zuvor hatte ISU-Gutachter Giuseppe d’Onofrio eine Blutanomalie als Ursache für Pechsteins Werte als unwahrscheinlich dargestellt. Längst liegt aber eine klare Diagnose für diese Anomalie vor. DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat Pechstein deshalb rehabilitiert und sie als Opfer bezeichnet. Die ISU wäre in der Hinterhand, weil es weltweit keinen anderen Mediziner als d’Onofrio gibt, der die These vom Blutdoping Pechsteins stützt. Selbst d’Onofrio hat aber eingeräumt, dass seine hämatologischen Kollegen mit ihrer Anomalie-Diagnose recht haben könnten. Die ISU müsste bei einer Niederlage alle Kosten im BGH-Prozess zahlen.

Was passiert, wenn der BGH die Revision der ISU zulässt?

Das wäre ein Rückschlag für Pechstein, ihre Schadensersatzklage wäre vorerst hinfällig. Die ISU würde ihre Auffassung bestätigt sehen und viel Geld sparen. Allerdings hat Pechstein bereits angekündigt, im Fall einer Niederlage vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen. Sie sähe dann ihr Grundrecht verletzt, wie jeder andere Bundesbürger ein Zivilgericht anrufen zu dürfen.