Frankfurt/Main. Freshfields-Abschlussbericht weist auf Bestechung oder Stimmenkauf rund um die Fußball-WM 2006 hin – Beweise gibt es aber nicht.

Nach viereinhalbmonatigen Ermittlungen hat die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu den Vorgängen rund um die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland vorgestellt. 128.000 elek­tronische Dokumente und E-Mails wurden gesichtet, davon 1695 Funde als relevant eingestuft. Prof. Dr. Christian Duve von Freshfields stellte die wichtigsten Punkte des Untersuchungsberichts vor, der auf der Homepage des DFB frei zugänglich ist.

War die WM 2006 gekauft? Die Frage aller Fragen konnte von Freshfields nicht beantwortet werden. Duve: „Wir haben keine Beweise für einen Stimmenkauf gefunden, aber können ihn auch nicht vollständig ausschließen.“

Wohin flossen die Millionen, um sich einen Zuschuss für die WM zu sichern? Der Zahlungsfluss, um den sich alles dreht, konnte komplett rekonstruiert werden (siehe Diagramm). Von einem Oder-Konto auf die Namen Beckenbauer und Robert Schwan (Beckenbauers Ex-Manager) flossen im Sommer 2002 – zwei Jahre nach der WM-Vergabe – sechs Millionen Schweizer Franken auf das Konto der Schweizer Anwaltskanzlei Gabriel & Müller. Von dort ging der Betrag auf das Konto der Kemco Scaffolding Corporation in Katar. Gesellschafter dieser Firma soll Mohammed bin Hammam gewesen sein, der damals der Fifa-Finanzkommission angehörte. Der inzwischen verstorbene Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus überwies dann zehn Millionen Franken auf das Schweizer Konto. Mit sechs Millionen wurde Beckenbauer „ausgelöst“, weitere vier Millionen gingen nach Katar. Auf Anfrage von Freshfields verneinte bin Hammam, den Betrag erhalten zu haben.

Wie kam das Geld zurück zu Louis-Dreyfus? Dies war bereits bekannt. 2005 erhielt Robert Louis-Dreyfus das ausgelegte Geld vom DFB über den Umweg eines Fifa-Kontos zurück. Die 6,7 Millionen Euro wurden als Beitrag „Kulturprogramm Fußball-WM 2006“ deklariert. Freshfields betonte, dass die Zahlung bewusst falsch deklariert, also verschleiert wurde. Nach der Absage der Gala wurde das Geld nicht zurückgefordert. Bleibt die Frage: Wofür das Ganze? Laut Bericht gibt es für die Vorgänge keine „plausible Erklärung“.

Handelte es sich bei der Zahlung um einen Bestechungsversuch? Eine klare Antwort hierauf gibt es nicht. Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk von Transparency International erklärte: „Wenn jemand zuständig ist, einen Zuschuss zu bewilligen, und sagt: ,Ich bewillige den nur, wenn es vorher eine Zahlung auf ein anderes Konto gibt‘, dann ist das eine Kickback-Zahlung. Eine Bestechung der Person, die über den Zuschuss entscheidet, ist das wahrscheinlichste Szenario.“ Wenn es denn um einen Zuschuss ging oder einen weiteren, dahinterliegenden Zweck. Ermitteln konnte die Kanzlei Freshfields nicht, wie das Geld nach dem Eingang in Katar verwendet wurde und ob es überhaupt bei bin Hammam angekommen ist.

Wie wird die Abmachung von Franz Beckenbauer mit dem ehemaligen Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner bewertet? Für Duve bleibt dieser Vertragsentwurf „rätselhaft“. Klar ist aber: Vier Tage vor der Vergabe der WM nach Deutschland waren Warner in einem Vertragsentwurf „diverse Leistungen“ zugesagt worden. Unter anderem wurden Warner 1000 Tickets der höchsten Kategorie für Spiele der WM-Endrunde versprochen. Darüber hinaus ging es bei der Vereinbarung um die Unterstützung von Trainern beim Kontinentalverband Concacaf, das Drucken von Nationalflaggen sowie Flugtickets. Insgesamt schätzte der damalige Generalsekretär Horst R. Schmidt den Gesamtwert der Vereinbarung auf zehn Millionen Mark ein. Im Report steht, dass die vorgesehenen Leistungen „jedenfalls teilweise erbracht“ worden seien. Ob dies als Bestechungsversuch zu werten ist, ließ Duve am Freitag offen.

Sind die Untersuchungen von Freshfields lückenlos? Bei Weitem nicht. Wie Duve erklärte, wurden 31 Personen befragt. Doch nicht jeder wollte sich äußern. Der ehemalige Fifa-Präsident Joseph Blatter verweigerte die Aussage. Auch Vertreter der Kirch-Gruppe wollten nicht sprechen. Diese hätte Freshfields laut Duve „gerne interviewt“, da die Kirch-Gruppe die TV-Rechte für die WM schon vor der Vergabe nach Deutschland gekauft und somit ein besonderes Interesse an einer erfolgreichen Bewerbung hatte. Doch auch hier bekam Freshfields keine Auskunft. Zudem waren nicht alle Akten verfügbar. Duve berichtete, dass einige Ordner nicht mehr in den Archiven zu finden waren, zum Beispiel einer mit der Aufschrift „Fifa 2000“. Dies belastet den ehemaligen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach. Es war eine seiner Mitarbeiterinnen, die den Ordner entlieh.

Wird es weitere Untersuchungen geben? Duve gab zu, dass einige Erkenntnisse erst sehr spät in den Report mit eingearbeitet werden konnten und so noch einige Fragen unbeantwortet bleiben. Ob die Freshfields-Kanzlei beauftragt wird, weitere Nachforschungen anzustellen, ist offen. Auf Nachfrage verwies Rainer Koch darauf, dass Freshfields nun die vorrangige Aufgabe habe, dem DFB mitzuteilen, ob der Verband Regressansprüche gegen die beteiligten Personen stellen könne.

Wie ist das Ergebnis des Freshfields-Berichts zu bewerten? Auch wenn Klarheit besteht, wo die Millionen landeten (in Katar), ist der Fall längst nicht aufgeklärt. Vor allem Beckenbauer gerät immer mehr in Bedrängnis. Zudem zeichnet das Vorgehen ein schlechtes Bild vom DFB: „Es war völliges Versagen interner Kontrollmechanismen, sowohl im WM-OK als auch innerhalb der DFB-Spitze“, kritisierten die neuen Amtsinhaber schonungslos.

Der Bericht offenbarte, dass Niersbach seit seiner Kenntnisnahme im Juni 2015 viel dafür getan hat, die Geschichte mit der 6,7-Millionen-Euro-Zahlung zu verschleiern. Interimspräsident Rainer Koch bezeichnete dessen Informationspolitik als „inakzeptabel“. Niersbach räumte am Freitag ein, seine Kollegen nicht zügig informiert zu haben: „Ich wollte erst gesicherte Informationen haben.“ Von der Zahlung vom Beckenbauer-Konto auf ein Konto in der Schweiz will er nichts gewusst haben.

Wie will der DFB weiter vorgehen? Die aktuelle DFB-Führung strebt Veränderungen an. Grindel, der am 15. April auf dem DFB-Bundestag zum neuen Präsidenten gewählt wird, will eine Stabsstelle Controlling und eine Ethikkommission schaffen. Zudem soll jedes Jahr eine Bilanz-Pressekonferenz stattfinden und ein Finanzbericht veröffentlicht werden. Ausgestanden ist die Affäre noch nicht. So drohen dem DFB Steuernachzahlungen in Millionenhöhe.