Hamburg. Arne Gabius über seinen deutschen Marathonrekord, Doping in Kenia, einen Start in Hamburg und Laufen nach den Anschlägen in Paris.

Erholt sieht Arne Gabius aus, als er am Donnerstagvormittag im 26. Stock des Hotels Radisson Blu erscheint. Keine Spur mehr von den Strapazen vor knapp vier Wochen, als sich der 34-Jährige vom Lauf-Team Haspa-Marathon in Frankfurt zum deutschen Rekord (2:08:33) quälte.

Hamburger Abendblatt: Herr Gabius, haben Sie nach den Anschlägen von Paris ein mulmiges Gefühl, wenn Sie an Ihren nächsten Marathon denken?

Arne Gabius: Für die Marathonwelt war eher der Anschlag in Boston 2013 der Einschnitt. Gerade in Amerika sind die Sicherheitsvorkehrungen seither rigoros: Man darf keine Rucksäcke mitbringen, nur durchsichtige Plastiktüten, Polizei ist allgegenwärtig.

Hamburgs Innensenator Michael Neumann hat verkündet, dass das veränderte Sicherheitskonzept beim Haspa-Marathon gar nicht wahrnehmbar sein soll.

Gabius: Das halte ich für einen guten Ansatz. Es trägt nicht zur Beruhigung bei, wenn überall Schwerbewaffnete stehen. Wir sollten uns Großveranstaltungen, sei es ein Marathon oder ein Bundesligaspiel, nicht vermiesen lassen, sondern unser Leben weiterleben. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht.

Haspa-Marathon-Chef Frank Thaleiser hätte Sie am 17. April gern in Hamburg am Start. Ist das nur eine Geldfrage?

Gabius: Nicht nur, aber auch. Diesen Marktwert hat man sich ja auch erarbeitet und in gewisser Weise verdient. Im Vordergrund steht die Vorbereitung auf Olympia in Rio. London ist natürlich eine Überlegung. Boston ist eine sehr bergige Strecke, da kann ich nicht abschätzen, was das für die Regeneration heißt. Der Nachteil von Hamburg ist in meinem Fall der mediale Druck: Ich sehe die Gefahr, nach einem solchen emotionalen Höhepunkt die Anspannung für Rio zu verlieren. Spätestens im Januar werde ich wissen, wo ich laufe.

Wäre ein deutscher Rekord auch in Hamburg möglich?

Gabius: Die Strecke ist schnell, das hat Eliud Kipchoge bei seinem Streckenrekord 2013 (2:05:30) bewiesen. Die Höhenunterschiede sind allerdings größer als in Berlin oder Frankfurt. Das Komische ist: Ich kenne die Strecke gut, bin sie aber noch nie gelaufen.

Was kann nach dem Rekord für Sie persönlich noch kommen?

Gabius: Ein neuer Rekord. Mindestens eine Minute ist im nächsten Jahr noch drin. Und dann stehen da noch ein paar Läufer vor mir, die ich angreifen möchte: Stefano Baldini mit seinen 2:07:22, Viktor Röthlin, der nur eine Sekunde langsamer war. Das kann ich auch.

Sie haben sich Ihren Rekordlauf selbst mehrmals angeschaut. Wie ist es, sich selbst leiden zu sehen?

Gabius: Hart. Einmal habe ich während des Rennens sogar geschrien, die Szene wurde mehrfach gezeigt. Andererseits wusste ich ja, wie es ausgehen würde. Und ich kann genau sagen, was zu welchem Zeitpunkt los war: dass es zum Beispiel keine Seitenstiche waren, sondern der Hüftbeugemuskel. Laufen auf hohem Niveau tut weh, auf der Bahn sogar noch mehr. Aber es härtet ab.

Wären Sie rückblickend lieber früher auf die Straße gewechselt?

Gabius: Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Als ich 2011 mein Studium beendet hatte, habe ich mir gesagt: Ich habe noch etwas vor auf der Bahn. Es wurde dann ja auch eine richtig tolle olympische Saison 2012 mit dem zweiten Platz bei der EM und neuen Bestzeiten. Danach war ich bereit für die längeren Distanzen. Vorher hätte das Gefühl überwogen, etwas verpasst zu haben. Eins ist klar: Ohne die Grundschnelligkeit, die ich mir über die kürzeren Distanzen erarbeitet habe, wäre dieser Rekord nicht möglich gewesen.

Zu früh sind Sie sicher nicht auf die Straße gewechselt, wenn man die Entwicklung der Stadionleichtathletik sieht.

Gabius: Es gehen immer mehr junge Athleten auf die Straße, weil da viel mehr zu verdienen ist. Aus einem Diamond-League-Meeting geht ein afrikanischer Läufer, wenn es dumm läuft, sogar mit einem Minus raus. Da hatte ich manchmal fast das Gefühl, mich für die Einladung rechtfertigen zu müssen. Beim New-York-Halbmarathon wurde ich begrüßt wie ein verlorener Sohn. Die Wertschätzung ist eine ganz andere.

Kurz nach Ihrem Rekord schlug der Dopingskandal in Russland hohe Wellen. Waren Sie überrascht?

Gabius: Von der Dimension schon. Dass die gesamte russische Mannschaft gesperrt wird, hätte ich vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten. Die Welt-Antidopingagentur hat offensichtlich einen guten Job gemacht. Was mich schockiert hat, war, dass der Weltverbandspräsident Schmiergelder kassiert hat, um positive Tests zu vertuschen.

Wie groß ist Ihr Vertrauen noch?

Gabius: Die Russen haben zum Glück keine Langstreckenläufer …

… die Kenianer umso mehr, und auch dort gibt es ein Dopingproblem.

Gabius: In Kenia steht aber kein System dahinter, sondern Ärzte, die mitverdienen wollen. Dort würden intensive Kontrollen helfen. Übrigens auch in Äthiopien. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die großen Marathons nur noch Läufer einladen, die eine bestimmte Anzahl an Trainingskontrollen vorweisen. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr in den Anti-Doping-Kampf investiert wird, auch von Sponsoren.

Hamburg will 2024 die Olympischen Spiele ausrichten. In welcher Funktion wären Sie gern dabei?

Gabius: Mein guter Freund Bernard Lagat wird jetzt 41 Jahre alt und hat Seniorenweltrekorde aufgestellt. Meb Keflezighi ist ebenfalls 40 und hat im vergangenen Jahr den Boston-Marathon gewonnen. Hey, unmöglich ist nichts! 2:12 Stunden kann ich vielleicht auch mit 43 noch laufen. Diese Herausforderung würde ich gern annehmen.

Als Olympiabotschafter kommen Sie eher nicht infrage. Ins Team Hamburg dürfen Sie nicht, weil Sie nicht Ihren Wohnsitz hier haben.

Gabius: Das finde ich schade. Ich sage immer: Ich wohne in Stuttgart, bin in der Welt zu Hause und in Hamburg daheim. Ich kenne die Hamburger Sportszene wie kein anderer und wäre gern Botschafter der Olympiabewerbung. Wo immer ich hinkomme, mache ich Werbung für meine Heimatstadt. Schon bei der Bewerbung für 2012 war ich Feuer und Flamme.