Hamburg. Bei ihrem Debüt als Box-Promoterin hat die Fliegengewichts-Weltmeisterin zwei WM-Gürtel erobert. „Es war eine Schlacht“, sagt sie.

Sie hätte am liebsten die ganze Welt umarmt, wenn sie gekonnt hätte. Aber Susi Kentikian hatte mit den vielen Gratulanten in der Wilhelmsburger Inselparkhalle schon genug zu tun. Jeden, der ihre Wege kreuzte, schloss die 152 Zentimeter kleine Powerfrau in ihre starken Arme, sie herzte ihren Vater, ihre Trainer, sogar die Journalisten, während eine dicke Beule auf der linken Stirnhälfte, ein Veilchen am linken Auge und ein tiefer Cut an der rechten Augenbraue die sichtbaren Zeichen ihrer Ringschlacht waren.

Ein Sieg, zwei Titel für die Hamburger Profiboxerin

Die Erleichterung über einen – zumindest vom Ergebnis her – gelungenen Start in die Karriere als selbstständige Unternehmerin war aus jeder Faser ihres verbeulten Gesichts abzulesen, nachdem die 28 Jahre alte Hamburger Profiboxerin in der Nacht zu Sonnabend durch einen einstimmigen Punktsieg (98:92, 97:93, 97:94) gegen die Mexikanerin Susana Cruz Perez ihren WM-Titel im Fliegengewicht nach Version des Weltverbands WBA verteidigt und den vakanten Titel der WIBF dazugewonnen hatte. Die 2000 Zuschauer, darunter 500 eingeladene Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Wilhelmsburg, feierten die Siegerin.

„Ich bin einfach nur glücklich, dass ich den Kampf gewonnen habe. Es war eine Schlacht, weil meine Gegnerin viel zäher war, als ich es erwartet hatte. Zum Glück konnte ich dagegenhalten und fighten bis zum Ende“, sagte die gebürtige Armenierin. Dass dies angesichts einer chaotischen Vorbereitung kein Selbstgänger war, gab Kentikian in den Katakomben der Heimstätte des Basketballteams Hamburg Towers unumwunden zu.

Rückenprobleme hatten Kampf beinahe verhindert

Rückenprobleme hatten sie in den Wochen vor dem Kampf mehrfach an den Rand einer Absage getrieben. Vor allem aber die Belastung, nach dem Ende der Zusammenarbeit mit dem Kölner Promoter Felix Sturm zu Jahresbeginn den Weg in die Selbstständigkeit gewählt zu haben, sorgte für immensen Druck. „Ich musste mich um alles selber kümmern und hatte den Kopf überhaupt nicht frei fürs Boxen“, sagte sie, „unter diesen Voraussetzungen muss ich deshalb mit dem Ergebnis zufrieden sein.“

Dass der erhoffte Knock-out nicht heraussprang, mit dem die einstige „Killer Queen“, die nur einen ihrer letzten 16 Profikämpfe vorzeitig beenden konnte, ihr früheres Image wieder hatte aufpolieren wollen, lag daran, dass ihr die Linie fehlte. Anstatt öfter aus der Distanz zu boxen und nach zwei, drei überfallartigen Haken wieder aus dem Feuer zu gehen, ließ sie sich zu häufig auf den Schlagabtausch mit der wild und unorthodox anstürmenden Mittelamerikanerin ein. „Ich dachte, ich müsste dagegenhalten, habe darüber aber meine Stärken vergessen“, sagte Kentikian, die zudem auch früh von dem blutenden Cut am rechten Auge gehandicapt war. Eine alte Narbe war nach einem unabsichtlichen Kopfstoß der Mexikanerin wieder aufgerissen.

Kentikians Entdecker: „Mit purer Willensstärke durchgehalten“

Leider schaffte es auch ihre Ecke nicht, sie auf einen besseren Kurs zu führen. Während Cheftrainer Artur Grigorian in den Pausen versuchte, beruhigend einzuwirken, riefen die Betreuer Igor Ilic-Eckert und Magomed Jangubaev dauerhaft konträre Anweisungen in den Ring. Diese Kakophonie musste ihr Ziel verfehlen, auch wenn Kentikian später angab, sie habe „diesen Push von meiner Ecke gebraucht“.

Einer, der hätte helfen können, durfte nicht in der Ecke sitzen. Frank Rieth, Kentikians Entdecker und langjähriger Amateurtrainer, der im Sommer wieder ins Betreuerteam eingeschert war und seinem Schützling vor allem im mentalen Bereich stabilisiert hatte, musste als Amateurcoach den Profistatuten Folge leisten und einen normalen Ringplatz einnehmen. Von dort konnte er kaum Einfluss nehmen. „Dennoch war ich absolut begeistert davon, wie Susi sich durchgebissen hat. Sie hatte eigentlich nur Luft für drei Runden, den Rest hat sie mit purer Willensstärke durchgehalten“, lobte er.

Es waren ja auch nicht nur die Rückenprobleme und die Belastungen der Organisationsaufgaben gewesen, die Kentikian in der Vorbereitung beeinträchtigt hatten. Auch die unsichere finanzielle Situation hatte schwer auf ihr gelastet. Hauptsponsor Martin Kristek (Care-Energy) trat im live übertragenden Spartensender Sport 1 als Moderator auf, was ihm gestattet war, weil er die Sendezeit gekauft hatte. Ungewöhnlich war es trotzdem, dass der Hauptsponsor seine eigene Veranstaltung moderierte.

Regina Halmich: „Das Frauenboxen geht kaputt“

Es war allerdings nicht das einzige Kuriosum eines Abends, über dessen Vorprogramm aus Höflichkeit der Mantel des Schweigens gelegt werden soll. Nur der Höhepunkt der Niveaulosigkeit muss erwähnt werden, weil eine Expertin ihn mit deutlichen Worten vernichtete. Alicia Melina Kummer, eine frühere Miss Schleswig-Holstein, hatte im Leichtgewicht die Mexikanerin Martha Lara zur Gegnerin, die den äußeren Eindruck vermittelte, beste Kundin ihres Hauptsponsors „Amenir Burger“ zu sein. Doch obwohl Kummer über zehn Runden schwere Prügel kassiert hatte, legten ihr Vertreter der Weltverbände WBA, WIBF und GBU unter dem Gejohle des Publikums die Gürtel um, die sie als neue interkontinentale Meisterin auswiesen.

Das veranlasste Regina Halmich, die ehemalige Weltmeisterin im Fliegengewicht und Wegbereiterin des Frauenboxens, zu einer unmissverständlichen Aussage. „Das Frauenboxen geht kaputt, weil Sportlerinnen um Titel boxen und diese sogar gewinnen, die nicht einmal eine linke und rechte Gerade schlagen können. Manchmal wünschte ich mir, die Verbände würden ihre Titel verschenken, damit man sich solche Kämpfe nicht anschauen muss.“ Das war der Volltreffer des Abends.

Für Kentikian, die Halmich als ihr großes Idol betrachtet, hatte die Sport-1-Expertin dagegen ein verhaltenes Lob parat. „Ich habe gespürt, wie aufgeregt Susi war. Dass sie noch nicht ihre alte Form hat, war klar zu sehen, aber unter den Umständen, unter denen sie hier gekämpft hat, bin ich zufrieden mit ihrer Leistung. Sie hat mit Power und Emotionen gekämpft und ist auf dem richtigen Weg.“

Kentikians Zukunft derzeit ungewiss

Wohin dieser Weg als nächstes führt, ist unklar. Ob es eine weitere Veranstaltung unter der Ägide von Care-Energy geben wird, ob neue Geldgeber einen zweiten Neustart ermöglichen oder ob sie doch noch einmal Gespräche mit dem Berliner Sauerland-Stall über eine Kooperation aufnehmen wird – Susi Kentikian wollte darüber noch nicht sprechen, vielleicht konnte sie es auch einfach noch nicht. Am Sonntagabend hat sie noch einen TV-Auftritt im „Sportclub“ des NDR zu absolvieren, danach will sie einige Tage ausspannen, um sich über die Zukunft klar zu werden. „Ich weiß, dass ich einiges ändern muss. Vor allem darf ich nicht wieder ein Jahr Pause machen, ich muss regelmäßig in den Ring. Aber ich weiß auch, dass ich es nächstes Mal besser machen werde“, sagte sie. Mit dieser Einstellung ist schon viel gewonnen.