Magdeburg. Blitz-K.o. gegen Ruslan Chagaev beendet Francesco Pianetas Traum, erster deutscher Schwergewichts-Champ seit Max Schmeling zu werden.

Er weinte schon im Ring. Und als seine Stimme auf der Pressekonferenz erneut von Tränen erstickt wurde, da war klar, dass Francesco Pianeta auch den Kampf gegen die Trauer nicht würde gewinnen können. Schwergewichtsweltmeister hatte er werden wollen vor 5000 Zuschauern in der Magdeburger Getec-Arena, der 30 Jahre alte Deutschitaliener aus Gelsenkirchen; der erste deutsche Champion in der Königsklasse des Berufsboxens, seit der legendäre Max Schmeling vor 83 Jahren seinen Titel hatte abgeben müssen.

Und dann hatte sein Traum nicht einmal drei Minuten Bestand, er wurde zerschmettert von der linken Faust Ruslan Chagaevs. Dreimal traf der WBA-Weltmeister seinen Herausforderer, der wie er in der Rechtsauslage boxt, an der Schläfe. Schon das erste Mal hätte fast ausgereicht, um das Duell zu beenden. Der dritte Volltreffer brachte Pianeta dann dermaßen aus dem Gleichgewicht, dass er auch nach zehn Sekunden nicht aufrecht vor Ringrichter Jean-Louis Legland aus Frankreich stehen konnte. Logische Folge: Drei Sekunden vor Ende der ersten Runde lag sein Traum in Trümmern.

Pianeta entschuldigt sich bei seinem Promoter

Unter dem Eindruck der Enttäuschung dachte der 196 cm große Athlet vor allem an seinen Promoter Ulf Steinforth. „Es tut mir am meisten leid, dass ich Ulf mit so einer Leistung habe hängen lassen. Er hat seit Oktober für diesen Kampf geackert, und dann verschlafe ich die ersten Minuten“, sagte er, ehe ihn der nächste Weinkrampf schüttelte. Steinforth, Chef des Magdeburger SES-Stalls und erstmals in seiner Promoterkarriere Ausrichter einer Schwergewichts-WM, wollte seine Enttäuschung nicht verhehlen. „Da arbeitet man zehn Monate für so einen Abend, und dann ist nach 2:57 Minuten alles vorbei. So etwas habe ich auch noch nie erlebt. Francesco hat es verpennt, und vielleicht hat er Ruslan auch unterschätzt“, sagte er. Pianetas Cheftrainer Dirk Dzemski war der Pressekonferenz lieber ganz ferngeblieben.

Natürlich könnte man nun rätseln, wie es möglich ist, dass ein Profiboxer die Chance seines Lebens verschläft. Man könnte sich fragen, wie es sein kann, dass man einen zweifachen Weltmeister, der Chagaev ist, unterschätzen und ihm in der ersten Runde mehrfach in seinen Paradeschlag hineinlaufen kann. Und man muss analysieren, wieso Pianeta im Mai 2013 gegen Dreifachweltmeister Wladimir Klitschko (Ukraine) immerhin in die sechste Runde kam und dabei durchaus mutig angriff, und zwei Jahre später vor Chagaev wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange erstarrte.

Pianeta fehlt einfach die Klasse

Doch selbst, wenn man zu der Erkenntnis käme, dass ihn der große Druck, anders als gegen Klitschko eine reelle Chance auf das Erbe Schmelings zu haben, gelähmt haben könnte wie einst Deutschlands sympathischsten Verlierer Axel Schulz, muss eines festgehalten werden: Es ist gut, dass Pianeta nicht Schmelings Nachfolge antritt. So sympathisch und bodenständig der Mann, der vor fünf Jahren eine Hodenkrebserkrankung überstand, auch ist, ihm fehlt die Klasse, um in einem Atemzug mit dem größten deutschen Boxer aller Zeiten genannt zu werden. Dass er seinem Sohn Luciano, 9, nun zum zweiten Mal nicht den versprochenen WM-Gürtel mitbringen konnte, wird er irgendwann verkraften, und er wird einsehen, dass der Weg in die Weltspitze eben doch ein Stück zu weit ist für ihn.

Ebensolche Klasse wie sein Auftritt im Ring hatte, wie Chagaev, seine Trainer Pedro Diaz und Artur Grigorian sowie sein Promoter Timur Dugazaev mit der unerwarteten Kurzarbeit umgingen. Da war kein übertriebenes Triumphgeheul zu vernehmen oder arrogantes Sprücheklopfen, sondern nur ehrliches Mitgefühl mit einem Gegner, den man respektiert und stärker eingeschätzt hatte. „So ist Schwergewicht, ein Schlag kann entscheiden“, sagte Chagaev, „und heute war ich eben der Glückliche, der diesen Schlag gelandet hat.“

Chagaev gegen Klitschko wäre interessant

Seine Zurückhaltung in allen Ehren, doch in der Form, in der sich der Usbeke derzeit präsentiert, wäre ein zweites Duell mit Wladimir Klitschko tatsächlich interessant. Im Juni 2009 unterlag der 36-Jährige, der mit seiner Familie seit zwölf Jahren in Rahlstedt lebt und sich längst als Hamburger bezeichnet, gegen den Dominator des Schwergewichts durch Abbruch in Runde neun und war chancenlos.

Danach ging es für Chagaev, der im April 2007 durch einen Punktsieg über den „Russen-Riesen“ Nikolay Valuev erstmals WBA-Weltmeister geworden war, stetig bergab. Doch nach einigen Trainerwechseln scheint er mit Diaz und Grigorian sowie Athletikcoach Patrick Esume ein Team gefunden zu haben, das ihn zu Höchstleistungen führen kann. „Wenn Wladimir mir noch eine Chance gibt, bin ich bereit“, sagte er. Zunächst stehen aber zwei angeordnete Pflichtverteidigungen an. Innerhalb von 120 Tagen muss Chagaev gegen den US-Amerikaner Fres Oquendo kämpfen, dieser Kampf ist für November in Hamburg geplant. Der Sieger muss anschließend dem Australier Lucas Browne eine Titelchance gewähren.

Es ist eine Eigenart des Weltverbands WBA, verdiente Weltmeister wie Klitschko zu Superchampions zu machen und darunter einen „regulären“ Weltmeister zu führen. Ein solcher ist Chagaev, deshalb sprachen viele vor der Nacht von Magdeburg von einer WM zweiter Klasse, zumal beide Protagonisten von Klitschko deutlich ihre Grenzen aufgezeigt bekommen hatten. Ruslan Chagaev hat es aber immerhin geschafft, sich an der Spitze des Verfolgerfeldes zu positionieren. Schämen muss er sich dafür nicht. Diese Rolle übernahm in Magdeburg ein anderer.