Montreal. Doch nur mit verbalen Spitzen und mentaler Stärke ist es nicht getan. Im WM-Halbfinale trifft deutsche Jugend auf amerikanische Power.

Mancher Politiker dieser Welt würde Silvia Neid vermutlich dieser Tage beneiden – um den guten Draht, den die Bundestrainerin zur Bundeskanzlerin mittlerweile pflegt. Angela Merkel, und diesen Umstand erzählte die Fußballlehrerin erst ganz am Ende eines Round-Table-Gesprächs, melde sich wirklich „jeden Spieltag“ bei ihr. Und wie es sich für eine brave Bürgerin gehört, „schreibe ich auch sofort zurück“. Es gebe eigentlich keinen besseren Beleg, dass der Frauenfußball gerade den höchsten Grad an Aufmerksamkeit generiert, jetzt wo das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und den USA bevorsteht. Der Klassiker im weiblichen Segment.

Dummerweise wird wegen des nordamerikanischen Fernsehmarkts diesmal am Dienstagabend kanadischer Zeit (Mittwoch 1 Uhr MESZ - lesen Sie alles zum Spiel ab 6.30 Uhr auf abendblatt.de) im baufälligen Olympiastadion von Montreal angestoßen, wenn das Team mit der besten Offensive (Deutschland/20 Tore) auf die Mannschaft mit der besten Defensive (USA/ein Gegentor) trifft. Nicht nur die höchste Frau im Staate muss überlegen, ob sie dafür die Nacht opfert. Aber es könnte sich lohnen, versichert Silvia Neid. Zwei Teams mit einem „absoluten Willen“ würden aufeinanderprallen. Im vorweggenommenen Finale.

„Die USA sind sehr von sich überzeugt. Ich glaube aber, ihnen ist auch nicht recht, dass sie gegen uns antreten müssen“, sagt die DFB-Trainerin. Deren weiträumig angelegter Powerstil „liegt uns vielleicht besser als Frankreich“, mutmaßt die 51-Jährige, die sich nach einer Demonstration deutscher Stärke auch deshalb sehnt, weil ihr von jeher einiges am amerikanischen Auftreten nicht gefällt. „Die Amis sind grundsätzlich laut. Sie werden wieder so tun, als hätten sie schon gewonnen.“ Die extreme Körpersprache und das extrovertierte Getue, das betont Dominante und bewusst Provokante werden nie das Ding der zur Bodenständigkeit erzogenen Frau aus dem Odenwälder Wallfahrtsort Walldürn sein, die sich mitunter verbissen ihren heutigen Status erst erkämpfen musste.

Neid verspricht Hope Solo ein Gegentor

Als Erweckungserlebnis für den deutschen Frauenfußball gilt ein Ereignis vor zwölf Jahren, bei dem die 111-malige Nationalspielerin bereits als Assistentin an der Seite von Tina Theune wirkte. WM-Halbfinale in Portland: Der Gastgeber und Titelverteidiger USA verlor 0:3 gegen Deutschland. Die US-Girls schienen zuvor unschlagbar, „aber Maren Meinert und Bettina Wiegmann, die damals in den USA spielten, haben uns gesagt: ‚Die kochen auch nur mit Wasser.‘“ Silvia Neid erinnert gern daran – und streut gleich noch mehr Salz in die Wunde. „Und dass wir und nicht sie Weltranglistenerste sind, knabbert auch an ihnen.“ Sie erklärt auch gleich, warum: „Wir bringen unseren Nachwuchs früh rein.“ Ihre Auswahl ist mit im Schnitt 25,1 Jahren fast fünf Jahre jünger. Und selbst in Richtung der seit 423 Minuten nicht mehr bezwungenen Star- und Skandaltorhüterin Hope Solo kündigt sie an: „Dann wird es ja Zeit, dass sie mal wieder ein Gegentor bekommt.“

Doch nur mit verbalen Spitzen und mentaler Stärke ist es nicht getan. Der Kräfteverschleiß auf dem Kunstrasen sei einfach unfassbar groß, meint Silvia Neid, die sich ob des körperlichen Zustands ihrer Spielerinnen („total kaputt“) wirklich sorgt. Doch sie lächelt derlei Umstände immer häufiger einfach weg. Wie zum Beleg hat sie noch eine Episode erzählt, die viel über die seit der WM 2011 veränderten Verhältnisse aussagt. Damals durfte nur die ältere Garde zu ihr „Silv“ sagen, die jüngere Generation musste das „Sie“ aus dem Juniorinnenbereich beibehalten. Ein großer Fehler, gesteht die Chefin rückblickend. „Allen, die hierhin gekommen sind, habe ich gleich das Du angeboten. Und jetzt, wo wir fast sieben Wochen zusammen sind, kostet das auch die Jüngeren keine Überwindung, mich zu duzen. Das finde ich ganz süß.“

Neid wünscht sich Merkel beim Endspiel

Der große Druck ist von ihr gewichen. „Ich bin total zufrieden, dass wir ins Halbfinale gekommen sind. Das ist ein richtig großer Erfolg.“ Alles, was kommt, sei jetzt „Zugabe“. Sie wird bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro weitermachen („Ich habe ja noch Vertrag“), das hat sie nun bestätigt – ebenso den Umstand, dass sie bei einem Scheitern „die Letzte gewesen wäre, die im Weg gestanden hätte“.

Ihre Nachfolgerin Steffi Jones weilt weiterhin bewusst nicht in Kanada; statt der DFB-Direktorin werden Generalsekretär Helmut Sandrock und Ligapräsident Reinhard Rauball beim Indoor-Soccer vor Ort sein. Und wer weiß, was danach passiert: Vielleicht schreibt Angela Merkel dann, dass sie gern nach Vancouver reist. Zum Endspiel am kommenden Sonntag. Silvia Neid: „Ich würde es mir wünschen.“