Hamburg. Hamburgs Tennishoffnung möchte bei ihrer zweiten Teilnahme beim Traditionsturnier von Wimbledon beweisen, dass sie gereift ist.

Die freche Unbekümmertheit, die sie in den vergangenen Monaten auf Rang 53 der Weltrangliste vorangebracht hat, hatte Carina Witthöft schon kurz nach der Auslosung zurückerlangt. Natürlich gibt es leichtere Aufgaben, als gleich zum Auftakt gegen die Weltranglistenzehnte antreten zu müssen, die als Mitfavoritin auf den dritten Grand-Slam-Titel des Jahres gilt. „Aber der Druck liegt ja bei ihr, und ich nehme es, wie es kommt“, sagte die Hamburgerin, nachdem ihr für die erste Runde des traditionsreichsten Tennisturniers der Welt, das an diesem Montag im Londoner Stadtteil Wimbledon beginnt, die Kielerin Angelique Kerber zugelost worden war.

Tatsächlich hat Carina Witthöft allen Grund, unbefangen in die für Dienstag angesetzte Partie gegen die deutsche Spitzenspielerin zu gehen. Kerber, 27, die in der vergangenen Woche wegen eines Infekts pausieren musste, kann die Favoritenrolle für das erste Duell mit der sieben Jahre jüngeren Perspektivspielerin nicht negieren. Allerdings hat Witthöft vor allem in puncto Wettkampfhärte in den vergangenen Monaten enorme Fortschritte gemacht. Im Mai gewann sie im französischen Cagnes-sur-Mer ihr erstes ITF-Turnier der 100.000-Euro-Kategorie, es war insgesamt schon der zehnte Turniersieg ihrer Karriere. „Die Erfahrung, eine ganze Woche lang konstant Bestleistung abrufen zu können und dann ein Turnier zu gewinnen, ist für mich mehr wert, als auf der WTA-Tour mal eine Topspielerin zu schlagen. Das zeigt mir, dass ich die Stabilität habe, meine Taktik und mein Spiel dauerhaft durchzuziehen“, sagt sie.

Die gesteigerte Wertschätzung, die sie angesichts ihrer Ranglistenposition und der Erfolge der vergangenen Monate vonseiten der Konkurrenz erfährt, ist für die Wentorferin, deren Eltern Kai und Gaby in Hamburg zwei Tennisschulen betreiben, Fluch und Segen zugleich. „Auf der einen Seite ist es gut zu wissen, dass ich respektiert werde. Andererseits ist es ein Nachteil, dass mich die Gegnerinnen jetzt kennen“, sagt sie. Natürlich sei ihr bewusst, dass sie mittlerweile auf Turnieren mehr beobachtet wird, dass sich ihre Kontrahentinnen auf sie einstellen und ihre Taktik auf sie abstimmen. „Aber genau das habe ich ja gewollt. Ich spüre, dass ich auf der WTA-Tour angekommen bin, auch wenn ich mein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft habe. Ich bin immer noch ganz am Anfang“, sagt sie.

Für das Turnier in Wimbledon gilt das nicht ganz. Ihr Debüt auf dem „heiligen Rasen“ feierte Witthöft vor zwei Jahren, als sie sich erstmals in ihrer Karriere für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers qualifizieren konnte. Ihr Erstrundenmatch gegen die Japanerin Kimiko Date-Krumm geriet allerdings zu einer Vorführung. 0:6 und 2:6 gingen die Sätze verloren, zu gewinnen gab es lediglich Erfahrung für die damals 18-Jährige, die im vergangenen Jahr in der Qualifikation scheiterte. „Mir ist damals ja vor Nervosität fast der Schläger aus der Hand gefallen“, erinnert sie sich, „jetzt kann ich das entspannter angehen.“

Wobei sie nicht verhehlen will, dass Wimbledon nicht nur wegen des ungewohnten Untergrundes einen besonderen Stellenwert hat. „Das Interesse der Öffentlichkeit ist viel höher als auf normalen WTA-Turnieren, und natürlich setzt man sich selbst viel mehr unter Druck, seine beste Leistung abliefern zu wollen“, sagt sie. Die Umstellung auf Gras ist ihr nicht leicht gefallen, bei den Generalproben im niederländischen s’Hertogenbosch und im englischen Birmingham scheiterte sie in der Auftaktrunde. „Ich habe dort zu oft gezögert, das darf man auf Rasen einfach nicht tun, und das werde ich in Wimbledon besser machen“, sagt sie.

Mit einem Auge wird Carina Witthöft in London auch auf den Herrenwettbewerb schauen. Dort tritt mit Alexander Zverev das zweite Hamburger Toptalent an. Der 18-Jährige steht erstmals in seiner Karriere im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers, an diesem Montag geht es zum Auftakt gegen den Russen Teimuras Gabaschwili. „Ich bin wahnsinnig gespannt auf Wimbledon und hoffe auf einen langen Verbleib im Turnier. Zwei, drei Runden traue ich mir schon zu“, sagt Zverev. „Wir kennen uns und reden gern miteinander, wenn wir uns auf Turnieren sehen“, sagt Witthöft. Am Rande der US Open 2014 saßen die Eltern der beiden Nachwuchsasse in New York lange beisammen, um sich auszutauschen.

Auch in London gäbe es dazu Gelegenheit. Alexander wird von seinen Eltern und Bruder Mischa, 27, betreut. Mutter Gaby begleitet Carina wie gewohnt als Trainerin, Vater Kai fliegt für das Erstrundenmatch ein. Danach muss er indes zurück, in Hamburg organisiert er am Wochenende in seiner Jenfelder Schule ein „Holzschläger-Turnier“, für das Carina die Schirmherrschaft übernommen hat. Natürlich wäre sie gern persönlich dabei. Aber wenn es die Möglichkeit gibt, länger in London zu bleiben, wird sie zupacken.