Hamburg. Um für Olympia zu werben, will Hamburg die Titelkämpfe 2020 ausrichten – auf Kosten des zweitgrößten Laufs der Stadt?

Auf der Reeperbahn morgens um halb zehn soll gesungen werden an diesem Sonntag. Ein DJ wird versuchen, die Teilnehmer am Start des Hella-Hamburg-Halbmarathons den berühmten Straßenwalzer anstimmen zu lassen. Wenn das Experiment gelingt, wird es ein stimmgewaltiger Chor werden: 8072 Läufer und Skater haben sich vorab angemeldet. Damit verzeichnet die Veranstaltung bei ihrer 21. Auflage den zwölften Teilnehmerrekord nacheinander.

8072 – „das ist eine unfassbare Zahl, die mich vor Ehrfurcht in die Knie gehen lässt“, sagt Veranstalter Karsten Schölermann von der Agentur BMS. Auch im Jahr eins nach dem Jubiläum konnte der Halbmarathon wieder einen Zuwachs von knapp zehn Prozent verzeichnen. Sollte Schölermanns Rechnung aufgehen – Zahl der Voranmeldungen minus 150 Starter des Kinderlaufs am Sonnabend minus 350 Skater minus 20 Prozent Ausfallquote plus 500 Nachmeldungen –, dann könnte sein Lauf nach der Zahl der Finisher mit etwa 6500 zum zweitgrößten Halbmarathon in Deutschland hinter Berlin (20.000) aufsteigen.

Es war das Ziel, das sich Schölermann vor zehn Jahren gesetzt hat, als seine 1990 gegründete Laufgesellschaft noch recht weit davon entfernt war, profitabel zu sein. Wachstum ist für den Sport- und Musikveranstalter allerdings kein kommerzieller Selbstzweck: Es ist eine Existenzfrage – was auch an der Olympiabewerbung liegt.

Zu deren Konzept gehört, dass Hamburg im März 2020 gern die Weltmeisterschaften im Halbmarathon ausrichten würde. Sie böten bei Kosten von insgesamt etwa drei Millionen Euro eine vergleichsweise günstige Möglichkeit, die Stadt in der Kernsportart Leichtathletik in den Fokus der Weltöffentlichkeit zu rücken.

Schölermann hat angeboten, die WM zu organisieren und mit seinem etablierten Lauf zu verschmelzen. Kopenhagen hat es im vergangenen Jahr vorgemacht: Statt einiger weniger Eliteläufer wie früher hatte die WM plötzlich 20.000 Teilnehmer. Mit deren Gebühren könnte zudem rund die Hälfte der Kosten refinanziert werden.

Doch dürfte das Vergabeverfahren, sofern es eins gibt, an BMS vorbeilaufen: „Wir kommen als Privatveranstaltung im Denken des Hamburger Leichtathletik-Verbands nicht vor“, klagt Schölermann. Schließlich verfügt der HLV über eine eigene Veranstaltungsgesellschaft. Sie richtet neben dem Haspa-Marathon neuerdings auch den „Halbmarathon Hamburg“ aus. Dessen Premiere im vergangenen Herbst in Wandsbek fiel mit 1000 Teilnehmern verhalten aus und endete nur dank einer fünfstelligen Zuwendung des Bezirks nicht in den roten Zahlen. Hauptsponsor HEK stieg bereits aus.

So gesehen bräuchte Schölermann die Konkurrenz nicht zu fürchten. Als WM-Ausrichter aber schon: „Ich würde ein Jahr ohne meine Schlüsselveranstaltung wirtschaftlich nicht überleben. Wir können nicht über Jahre etwas aufbauen und dann einfach ausfallen lassen. Zwei Halbmarathons mag die Stadt verkraften, nicht aber eine WM und einen Halbmarathon auf Weltniveau.“

Denn dort sieht Schölermann den Hella-Halbmarathon inzwischen angekommen. Um den Lauf sportlich aufzuwerten, hat BMS erstmals die renommierte niederländische Management-Agentur Volare Sports eingeschaltet. Die bringt gleich vier Athleten in Hamburg an den Start, die in diesem Jahr schon um eine Stunde oder sogar schneller über die 21,0975-Kilometer-Strecke gelaufen sind und den Streckenrekord des Kenianers Charles Wachira Maina aus dem Vorjahr (1:01:41) somit akut gefährden.

Das würde sich auch für sie lohnen. Die Siegprämien für Frauen wie Männer wurden auf 1000 Euro verdoppelt, für den Streckenrekord gibt es noch einmal 750 Euro. Zeitprämien sollen auch nicht ganz vorn platzierte Athleten motivieren, das Tempo hoch zu halten. Bei den Frauen ruhen die Hoffnungen auf Vorjahressiegerin Agnes Mutune aus Kenia, die auch schon schneller war als bei ihrem Streckenrekord (1:12:46). Unter den lokalen Teilnehmern ragen Andrea Diethers vom Lauf-Team Haspa-Marathon und der sechsmalige Halbmarathonmeister Mourad Bekakcha vom HSV heraus.

Den Hamburger Titel kann ihnen Schölermann allerdings nicht als Anreiz bieten. Er wird in Wandsbek vergeben. Dass der PSD-Bank-Halbmarathon, wie er jetzt heißt, international als Konkurrenzveranstaltung auftritt, findet Schölermann „problematisch“. Sein Angebot, unter einem gemeinsamen Label für den Laufstandort Hamburg zu werben, habe die Marathon-GmbH abgelehnt. Deren Chef Thaleiser scheint vielmehr auf Konfrontationskurs zu gehen: Er kündigte gerade seine Mitgliedschaft in den German Road Races (GRR) auf, der Interessenvertretung von 63 deutschen Straßenläufen.

Hintergrund ist deren Widerstand gegen die Zwangsabgabe von einem Euro, die der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) von 2016 an pro erwachsenem Finisher pauschal einfordert. Die Veranstalter vor allem kleiner Läufe mit niedrigen Startgeldern, von denen auch BMS einige im Portfolio hat, laufen dagegen Sturm – auch weil sie keine Gegenleistung erkennen können. „Ich will zumindest sehen, dass ich vom Verband repräsentiert werde“, sagt Schölermann. Immerhin: DLV-Präsident Clemens Prokop hat ihn und Michael Brinkmann (Münster) als GRR-Sprecher jetzt zu einem runden Tisch über die „Lauf-Maut“ eingeladen.