Am Sonntagmorgen boxt Wladimir Klitschko gegen Bryant Jennings in New York um die WM. Ein Gespräch über Erfolgsdruck, die USA und Heimatgefühle.

Mehr als sieben Jahre ist es her, dass Wladimir Klitschko zuletzt in den Vereinigten Staaten von Amerika in den Ring stieg. An diesem Sonntagmorgen (5 Uhr MEZ/RTL) kehrt der 39 Jahre alte Ukrainer zurück, um im New Yorker Madison Square Garden, dem „Mekka des Boxens“, seine WM-Titel im Schwergewicht nach Version von WBA, WBO und IBF gegen US-Hoffnung Bryant Jennings, 30, zu verteidigen.

Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt Klitschko den Grund für die lange US-Pause und schildert die Emotionen, die er mit seiner Rückkehr in die Staaten verbindet.

Hamburger Abendblatt: Herr Klitschko, 2008 haben Sie letztmals im Madison Square Garden gekämpft. Haben Sie Amerika vermisst?

Wladimir Klitschko: Amerika habe ich nicht vermisst, schließlich bin ich sehr häufig hier, weil meine Verlobte aus den USA stammt und ich meine athletische Vorbereitung oft in Florida absolviere, auch wenn ich in Europa kämpfe. Aber im Madison Square Garden zu boxen, das ist immer etwas ganz Besonderes, das habe ich schon vermisst. Es wird mein vierter Kampf hier, ich freue mich darauf. Und ich glaube, dass sich auch die Fans in Europa freuen, mal wieder etwas anderes geboten zu bekommen.

Ihre Verlobte Hayden Panettiere ist in den USA eine bekannte Schauspielerin, Ihre gemeinsame Tochter Kaya Evdokia wurde 2014 hier geboren. Wie viel Amerika steckt in Ihnen?

Klitschko : Nationalität hat für mich nie eine Rolle gespielt und tut es auch jetzt nicht. Meine Heimat ist die Ukraine, und ein Teil meines Herzens ist deutsch. Aber in den USA gibt es eine Sprache, die jeder versteht, und das ist die Sprache des Könnens. Es gibt hier genügend Boxer, die keine Amerikaner, aber dennoch anerkannt sind, weil sie gut sind. Ich fühle mich in den USA wohl, ich hatte während der Vorbereitung jedes Wochenende die Gelegenheit, meine Familie zu sehen, was ich sehr genossen habe.

War es ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen, als Sie am Dienstagmittag zur Pressekonferenz in den Garden fuhren?

Klitschko : Es war eher wie ein Déjà-vu. Alles war wie damals, die Stadt sieht noch gleich aus, der Garden auch, vom Gefühl her hat sich nichts verändert. Der Unterschied war, dass anstelle von Emanuel Steward (Klitschkos Ex-Trainer verstarb im Oktober 2012, d. Red.) Johnathon Banks neben mir saß, als wir im Auto herfuhren.

Warum hat es so lange gedauert, bis Sie wieder in den USA boxen?

Klitschko : Das ist ganz einfach. Es gab wieder eine große Nachfrage. Der Pay-TV-Sender HBO hat meine letzten Kämpfe gezeigt und uns ein Angebot gemacht, wieder in den USA zu boxen, weil das Interesse der Fans an meinen Kämpfen in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Vor allem aber gibt es mit Bryant Jennings jetzt einen starken einheimischen Herausforderer. Deshalb glaube ich, dass es die richtige Zeit und der richtige Ort für meine Rückkehr ist.

Ihr letzter Kampf in New York im Februar 2008 war dagegen eine Enttäuschung für die US-Fans. Die wollten Action sehen, und dann wurde Ihre Titelvereinigung mit Sultan Ibragimow zu einem sehr langweiligen Punktsieg. Haben die harten Kritiken in den USA an Ihrem Kampfstil dazu beigetragen, dass Sie danach lange nicht zurückkehrten?

Klitschko : Emanuel Steward hat immer gesagt: Du bist so gut wie dein letzter Kampf. Natürlich war der gegen Ibragimow eine Enttäuschung. Er war angekündigt als eine historische Titelvereinigung, die es im Schwergewicht neun Jahre nicht gegeben hatte. Und dann ist Ibragimow leider nur weggelaufen, genauso wie 2011 David Haye in Hamburg. Zu einem guten Kampf gehören immer zwei, und wenn einer die Herausforderung nicht annimmt, wird es entsprechend langweilig.

Spüren Sie vor Ihrem US-Comeback besonderen Druck, es den Fans diesmal recht zu machen, indem Sie genauso aggressiv boxen wie in Ihrem letzten Kampf gegen Kubrat Pulev? Der hat in den USA für Aufsehen gesorgt, weil Sie aktiv den Knock-out gesucht haben.

Klitschko : Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich glaube, dass ich an einem Zeitpunkt in meiner Karriere angekommen bin, an dem ich niemandem mehr etwas recht machen muss. Ich verspüre keinen Druck, irgendjemanden beeindrucken zu müssen. Ich weiß, was nötig ist, um einen Kampf zu gewinnen. Ich weiß, was ich kann, und ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Wenn ich meinen Plan durchziehe, dann werde ich gewinnen. Und wenn es wieder einen K.-o.-Sieg gibt, ist das schön. Aber planen kann man den nicht.

Ihr Gegner Bryant Jennings hat erst mit 24 Jahren mit dem Boxen begonnen. Als Sie 2006 Weltmeister wurden, hat er nicht einmal daran gedacht, in einem Boxring zu stehen. Sie haben Ihren Titel seitdem 17-mal verteidigt, zweimal weniger, als Jennings als Profi gekämpft hat. Wie schwer ist es, einen solchen Außenseiter nicht zu unterschätzen?

Klitschko : Sie wissen, dass ich seit meiner Niederlage gegen Corrie Sanders 2003 keinen Gegner mehr unterschätze. Diesen Gefallen werde ich auch Bryant Jennings nicht tun. Ich erwarte, dass er sich auf die Chance seines Lebens entsprechend vorbereitet hat. Er wird aggressiv sein, und er hat auf jeden Fall die Kondition, um zwölf Runden durchzuhalten. Was wir nicht wissen ist, wie er mit der neuen Erfahrung umgehen wird, in einem WM-Kampf auf einen Gegner zu treffen, der eine Qualität hat, die bislang keiner seiner Gegner hatte. Aber er hat das Herz, um damit umzugehen, das habe ich bei unseren Treffen gespürt. Er strahlt eine unglaubliche Energie aus. Nun liegt es an mir, seine Schwächen herauszufinden und ihn dort zu treffen, wo es ihn am meisten schmerzt.

Stört es Sie eigentlich, dass Ihr US-Comeback fast untergeht im Hype um den Superkampf Mayweather gegen Pacquiao, der eine Woche später in Las Vegas stattfindet und als „Jahrhundert-Kampf“ angepriesen wird?

Klitschko : Nein, ich freue mich vielmehr für das Boxen, dass es innerhalb von einer Woche zwei solch große Kämpfe gibt. Das zeigt, dass unser Sport lebt. Und ich sehe es als Vorteil, dass Jennings und ich zuerst kämpfen. Außerdem fühle ich mich gar nicht zu wenig wertgeschätzt. Auf dem Weg hierher habe ich am Times Square das große Plakat gesehen mit Bryant und mir darauf. Das ist doch eine tolle Bestätigung dafür, dass meine Arbeit wahrgenommen wird.

In den USA wird Ihr Kampf gegen Jennings nur als Aufwärmprogramm wahrgenommen für das Duell mit WBC-Champion Deontay Wilder, dem derzeit besten US-Schwergewichtler, das Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres stattfinden soll.

Klitschko : Natürlich wäre ein Duell mit Wilder irgendwann der logische Schritt, und das würde sicherlich im Pay-per-view laufen. Aber das ist momentan wirklich überhaupt kein Thema, das sind Gedanken wie an ein paar Schuhe, das man noch nicht gekauft hat. Erst einmal muss ich Bryant Jennings schlagen. Nur das zählt jetzt.