Hamburg. Der THCC Rot-Gelb Hamburg wurde zu “Deutschlands Cricketverein des Jahres 2014“ gekürt. Trainer “Cam“ Jefferys spricht über die Faszination der Sportart.

Hollywoodstar Robin Williams nannte Cricket einmal „Baseball auf Valium“, der ebenfalls schon gestorbene britische Literaturnobelpreisträger Harold Pinter bezeichnete den Sport gar als „die großartigste Sache, die Gott je auf der Erde erschuf“. Von Cricket geht eine ganz besondere Faszination aus, sonst hätten nicht rund eine Milliarde Menschen weltweit den Auftakt der elften WM zwischen den Erzrivalen Indien und Pakistan verfolgt, genauso viele wie das Finale der Fußball-WM. Noch bis 29. März laufen die Titelkämpfe in Australien und Neuseeland. Das deutsche Team ist als Weltranglisten-37. nicht qualifiziert. Dafür hat sich das Abendblatt in der Hamburger Szene umgeschaut, beim THCC Rot-Gelb in Hamburg, der vom Deutschen Cricket-Bund (DCB) zum „Deutschen Verein des Jahres 2014“ gekürt wurde. Immerhin gibt es bereits etwa 100 Cricketclubs hierzulande.

Eine weitere Ehrung heimste beim THCC, der seine Heimspiele im Hemmingstedter Weg in Klein Flottbek austrägt, Cricketwart Mark Richardson ein: den „DCB-Preis für besondere Leistungen im Cricket“. Der 47-jährige Engländer war schon Sportdirektor des Norddeutschen Verbandes und ist Ehrenpräsident des legendären Heligoland Pilgrims Cricket Clubs. Als U19-Coach des THCC engagiert er sich dafür, jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan zu integrieren. Für diese Jugendarbeit bekam der Club einen dritten Preis – vom Bezirk Altona. Richardson ist der „Mr. Cricket Norddeutschlands“, aber ein ganz bescheidener, der in diesem Artikel am liebsten gar nicht erwähnt worden wäre.

Er verweist auf den Trainer der drei Herrenteams, Campbell Jeffreys, 39, der viel interessanter für ein Interview sei. Tatsächlich ist der Australier ein besonderer Gesprächspartner. Der studierte Historiker aus der Nähe von Perth sitzt in seiner Küche auf St. Pauli bei einem Earl Grey. Er erzählt, dass er mal Zweitligabasketballer war, drei Romane schrieb, einen Buchverlag gründete, als PR-Texter arbeitet, seit 2002 jedes Jahr den Hamburger Triathlon über die olympische Distanz absolviert, vor 15 Jahren nach Deutschland kam, seine Frau Kerstin kennenlernte und nun seit zehn Jahren in seiner Lieblingsstadt Hamburg wohnt. „Die Sonne ist nicht alles“, sagt der Australier.

Beim THCC landete er 2011, Cricketer war er schon als Kind. Schließlich ist Cricket in seiner Heimat, wie in vielen Ländern des Commonwealth, ein Volkssport. Er ist ein Idealist, ein Spielertrainer mit kindlicher Begeisterung für vieles. Geld bekommt er keins, nicht mal Aufwandsentschädigung für die Bundesligafahrten (die neue Saison beginnt im April) oder für Ausrüstung, die „Bats“ (Schläger) und „Pads“ (Beinschoner). Aber „Cam“ Jeffreys liebt, was er tut. „Cricket kommt von der Leidenschaft und ist auch Historie. Es gibt die ‚Laws of Cricket‘“, sagt er, also eigene „Gesetze“: „Keine andere Sportart ist wie Cricket. Das ist eine Mischung aus Sport und Stammtisch. Leute, die Cricket spielen, sprechen gern, man sitzt ja stundenlang herum.“ Und: „Cricketer sind vielseitig und witzig. Sie sind meistens nicht nur Sportler, sondern zum Beispiel gleichzeitig Physiker, spielen Golf und lieben Lyrik.“

Ja, für Unkundige sei es „completely langweilig“, räumt er ein. Man müsse nicht viel laufen und könne auch etwas übergewichtig und älter sein, Hauptsache, man habe eine tolle Auge-Hand-Koordination, könne gut werfen und schlagen. Es gäbe eine Variante, bei der sich ein Spiel über fünf Tage hinzieht. Bundesligapartien dauerten nur einen Tag, etwa sechs bis acht Stunden. „Aber auch da gibt es eine Pause am Nachmittag für den Afternoon Tea“, erklärte Jeffreys. „Die zehn bis 20 Zuschauer bleiben meistens nicht für das ganze Spiel.“ Nach dem Treffen in seiner Wohnung steht an einem Mittwochabend das Training an. Man trifft sich in einer versteckten Sporthalle hinter dem Altonaer Museum, die Spieler kommen alle mit Rädern und von fast überall her. Da ist Steve, 39, aus dem englischen Cambridge, und Adrian, 36, aus Australien; beide sind Doktoren der Physik am Forschungszentrum Desy. Es gibt Ingenieure aus Sri Lanka, die bei Airbus arbeiten, pakistanische Studenten, einen Neuseeländer und als Quotenfrau in dieser Trainingseinheit die Halbengländerin Tina. „Wir haben zehn Nationen. Diese Mischung macht unseren Verein aus“, sagt Jeffreys.

Mit dabei ist auch Safiullah, 18. Der „Young Player of the Year“ des Clubs ist sowohl als „Bowler“ (Werfer) als auch als „Batsman“ (Schlagmann) ein Ass. Er spielte einst in Peschawar im Flüchtlingslager. Mit Tennisbällen, fest umwickelt mit Isolierband, und Mülleimern als Wickets (die Ziele). Der Zehntklässler kam vor einem Jahr nach Hamburg, zog in ein Saga-Jugendhaus, seine Betreuerin fragte ihn nach seinem Hobby. Findig recherchierte sie den THCC. „Ich war überrascht und glücklich, dass es Cricket hier gibt“, sagt Safiullah.

Neben ihm steht Prof. Dr. Moritz Hagenmeyer, 49, Coach des 2014 gegründeten Damenteams und Anwalt. Er sieht mit dem beigen Jogginganzug im Fred-Perry-Stil und den Koteletten aus wie ein Engländer und sammelt alle Jahrgänge des Wisden Cricketers Almanack, der Cricket-Bibel. „Cricket is not a sport, it’s a state of mind“, sagt er, eine „Geisteshaltung“. Die Reporterin will er für seine dünn besetzten Damen anwerben. „Der Wurf ist eine Windmühlenbewegung“, ruft er. „Vorher die Hände mit dem Ball vor die Brust, als würde man in einen Apfel beißen!“ Und: „Zwei Finger auf der Naht!“ Der Reporterin schwirrt der Kopf, aber sie mag diese schräge Sportart und diese Leute. Sie will wiederkommen.