Internationales Olympisches Komitee fordert Veränderungen. Weltverband sieht Hockey 5 als Zukunftsmodell. Hallen-WM vor dem Aus

Leipzig. In Mali haben sie jetzt richtig Lust auf Hockey. Leandro Negre erzählt das am Rande der Hallen-WM in Leipzig mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht, und das muss man verstehen. Schließlich ist der Spanier, seit 2008 Präsident des Welthockeyverbands FIH, auf einer Mission. 132 Mitgliedsverbände sind dem 68-Jährigen zu wenig, er möchte, dass weltweit mehr Hockey gespielt wird. Um dafür zu werben, reist er auch in Winkel der Erde, die mit dem Krummstock bislang ungesegnet waren. Wie Mali.

Negres Werkzeug, das Wundermittel, mit dem er auch die Westafrikaner köderte, heißt Hockey 5. Die neue Spielform, bei der nur noch vier Feldspieler plus ein Torhüter pro Team benötigt werden, soll helfen, in Ländern mit wenigen Hockeyspielern den Aufbau von Nationalverbänden zu ermöglichen, die an internationalen Turnieren teilnehmen können. Entstanden war die Idee, nachdem Hockey, das bei den Herren seit 1928 und bei den Damen seit 1980 zum olympischen Programm zählt, nach den Spielen 2012 in London auf der Liste der Streichkandidaten gelandet war. „Wir mussten reagieren, uns für Neuerungen öffnen“, sagt Negre, „und Hockey 5 ist unsere Zukunft.“

Aus Sicht des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat Hockey zwei Nachteile: Es wird weltweit von zu wenigen Nationen ernsthaft betrieben. Und die 18-köpfigen Kader belegen zu viel Platz im olympischen Dorf, zumal sich ihr Turnier über die volle Dauer der Spiele zieht. Was läge also näher, als die Aufgebote durch die Schaffung einer neuen Spielform zu verkleinern, die dazu noch mehr Nationen zur Teilnahme verhelfen könnte?

Um diese neue Spielform testen zu können, beschloss die FIH zweierlei: Bei den Olympischen Jugendspielen im chinesischen Nanjing im August 2014 wurde Hockey nur im neuen Format ausgetragen. Und Hockey 5 wurde zur Saison 2013/14 weltweit für alle Hallenmatches eingeführt. Hallenhockey wurde bis dahin mit fünf Feldspielern gespielt. Das Kalkül des Weltverbands war, durch weniger Spieler mehr Aktionen, mehr Tore und dadurch höhere Attraktivität zu schaffen. In den Bundesligen waren die Erfahrungen indes so verheerend, dass der Deutsche Hockey-Bund (DHB) zur kürzlich abgelaufenen Saison 2014/15 wieder zum alten System zurückkehrte – als einzige Nation.

Die FIH hat diesen Alleingang akzeptiert, weil sie weiß, dass sie den starken deutschen Verband als Aushängeschild für die traditionelle Feldvariante mit elf Spielern pro Team braucht. Und dass Hallenhockey nirgendwo so populär ist wie in Deutschland, zeigt sich nicht nur an den Erfolgen der deutschen Teams bei den bisherigen drei Hallenweltmeisterschaften, wo sie fünf der sechs Goldmedaillen holten. Dennoch will Negre den Kampf, auch die Deutschen von Hockey 5 zu überzeugen, nicht aufgeben.

Vor allem warnt er davor, Hallenhockey mit Hockey 5 gleichzusetzen, auch wenn, wie auch in Leipzig, international nur noch mit vier Feldspielern gespielt werde. „Hockey 5 hat ganz andere Regeln, und es kann vor allem draußen gespielt werden, so wie es viele neue Mitgliedsverbände wünschen“, sagt er. Tatsächlich unterscheidet sich Hockey 5 in zwei Regeln gravierend von der traditionellen Variante in Feld und Halle: Es gibt keine Schusskreise mehr, Tore dürfen von überall erzielt werden. Und die Strafecke als wichtiges Element hat kaum noch Bedeutung.

Genau das ist der Grund, warum Heino Knuf die beiden unterschiedlichen Systeme nicht für kompatibel hält. „Hockey 5 ist eine andere Sportart“, sagt der Sportdirektor des DHB, „wenn wir komplett darauf umstellen würden, dann verlören wir unsere Identität.“ Negre will das gar nicht verhehlen, er will vielmehr dafür kämpfen, dass die neue Spielform zusätzlich ins olympische Programm aufgenommen wird. Der Spanier zieht den Vergleich zum Volleyball, der es geschafft habe, mit der Strandvariante neue Zielgruppen anzusprechen, ohne seinen Ursprung aufzugeben. „Wir wollen doch gar nicht, dass das traditionelle Hockey ausstirbt. Wir wollen, dass der Weltverband durch die Neuerung gestärkt wird“, sagt er.

Knuf dagegen befürchtet, dass spätestens 2024 die traditionelle Feldvariante keinen Platz mehr bei Olympischen Spielen haben wird: „Es ist das reine Wunschdenken des Präsidenten, neben dem traditionellen Hockey eine zweite Variante bei Olympia installieren zu können.“ Natürlich werde man sich deshalb mit Hockey 5 beschäftigen. „Wir wollen uns der Zukunft nicht verschließen und können es uns nicht leisten, dort nicht anzutreten“, sagt er, „aber wir werden dafür neue Kader aufbauen müssen. Unsere Athleten sind schon jetzt zeitlich so überlastet, dass wir ihnen keine weitere Spielform zumuten können.“

Was das für die deutschen Vereine bedeutet, in denen bislang Hockey 5 als Spielform nicht angeboten wird, ist schwer abzusehen. Die Frage, ob es für eine Woche Aufmerksamkeit alle vier Jahre – das IOC spielt längst mit dem Gedanken, das Hockeyturnier zeitlich einzudampfen – ratsam ist, eine traditionelle Sportart sterben zu lassen, hat man sich im DHB schon gestellt. Problem sind die Fördergelder des Bundesinnenministeriums, die an das olympische Abschneiden gekoppelt sind. „Wir werden diese Diskussion führen müssen“, sagt Knuf, „aber wir werden alles tun, um Hockey in dem Format zu belassen, in dem es jetzt stattfindet.“

Was auf keinen Fall zur Debatte steht, ist eine Abschaffung der Hallensaison. „Die Halle ist für die technische und taktische Ausbildung unserer Jugendlichen ein so wichtiges Element, das werden wir nicht aufgeben“, sagt Knuf. Negre kann das nachvollziehen, dennoch sieht er weltweit nur eine Zukunft für die Variante unterm Dach, wenn sie ihre Regeln radikal verändert – hin zu denen, die für Hockey 5 gelten. „Deutschland muss dabei eine Führungsrolle übernehmen. Ansonsten ist es sehr wahrscheinlich, dass diese WM in Leipzig die letzte ist“, sagt er. Knuf kann das nicht schocken. „Das würden wir zwar bedauern“, sagt er, „aber die Hallen-WM gibt es erst seit 2003, in Deutschland wird aber viel länger schon erfolgreich Hallenhockey gespielt. Deshalb hätte ein Abschied der FIH aus dem Hallenhockey für uns keine gravierenden Einbußen zur Folge.“

Ungeachtet der Diskussionen um die Zukunft haben die deutschen Teams in Leipzig die Gegenwart am Freitag sehr positiv gestaltet. Die Damen holten sich mit einem 5:1 (2:1) gegen Australien den Gruppensieg, schlugen Polen im Viertelfinale 2:1 (0:1) und spielen am Sonnabend (16 Uhr) im Halbfinale gegen Österreich. Die Herren besiegten Australien 9:4 (6:3) und treten als Gruppensieger am Sonnabend (12 Uhr) im Viertelfinale gegen die Schweiz an. Die Finalspiele finden Sonntag um 13 Uhr (Damen) und 14.30 Uhr statt. In Mali werden sie davon nichts mitbekommen.