Der Franzose rast beim Grand Prix in Suzuka ungebremst in einen Bergungskran und erleidet lebensgefährliche Kopfverletzungen

Suzuka. Der Schock kam mit Verzögerung. Keine Kollision mit einem Konkurrenten, keine umherfliegenden Trümmer, ja nicht einmal Fernsehbilder zeugten von dem Unfall, der die Formel 1 am Sonntag erschütterte. Es dauerte einige Minuten, bis alle mitbekommen hatten, dass sich Jules Bianchi nicht – wie nach solchen Zwischenfällen üblich – bei seinem Rennstall gemeldet hatte. Teamchef Peter John Booth verließ umgehend den Kommandostand und eilte mit versteinerter Miene in die Teamgarage. Die meisten Zuschauer erfuhren erst vom Streckensprecher von dem schrecklichen Ereignis, das sieben Runden vor Schluss zum Abbruch des Rennens geführt hatte.

Zwei Minuten, nachdem Sauber-Pilot Adrian Sutil beim Großen Preis von Japan in Kurve sieben in die Streckenbegrenzung gekracht war, hatte auch Bianchi die Kontrolle über seinen Boliden verloren. Anders als der Deutsche, der seinen heftigen Einschlag körperlich unversehrt überstanden hatte, erreichte der Franzose den Reifenstapel nicht. Er prallte seitlich ungebremst in das massive Heck eines Bergungskrans, der Sutils qualmenden Wagen gerade von der Strecke bugsieren wollte. Der Zusammenstoß war so heftig, dass das Sauber-Wrack vom Haken fiel und der Überrollbügel, der wichtigste Schutzmechanismus bei Formel-1-Autos mit ihren offenen Cockpits, brach. Das völlig zerstörte Auto wurde später von der Polizei beschlagnahmt. Als die Rettungskräfte an der Unfallstelle eintrafen und den 25-Jährigen aus seinem Boliden befreit hatten, war der nicht mehr bei Bewusstsein. Das Magazin „Auto, Motor, Sport“ zitierte einen Augenzeugen: „Ich habe noch nie ein so übel zugerichtetes Auto gesehen.“

Es begannen Stunden des Bangens, wie sie die Königsklasse des Motorsports seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hat. Der Triumph von Lewis Hamilton, der mit seinem achten Saisonerfolg den Vorsprung vor dem zweitplatzierten Mercedes-Kollegen Nico Rosberg ausbaute, geriet schon während der Siegerehrung zur Nebensache. Die Piloten verzichteten in der hereinbrechenden Nacht von Suzuka auf die obligatorische Champagnerdusche, Pressekonferenzen wurden abgesagt, in jedem Motorhome war von einem „schwarzen Sonntag für die Formel 1“ die Rede. „Zu diesem Zeitpunkt zählt nur, dass Jules Bianchi okay ist und er sich wieder erholt. Im Vergleich dazu ist der Sport im Moment nicht so wichtig“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff stellvertretend für die erstarrte Formel-1-Familie. Bianchi-Landsmann Jean-Eric Vergne, Ferrari-Teamchef Marco Mattiacci und Williams-Pilot Felipe Massa eilten umgehend in die knapp 15 Kilometer entfernte Mie-Universitätsklinik, in die der von der Scuderia ausgebildete Franzose gebracht worden war.

Im Laufe des Abends (Ortszeit) ging die Fia in einem zweiten Statement näher auf den Gesundheitszustand des Marussia-Piloten ein. Die Details klangen alarmierend: „Die Aufnahmen des Computertomografen (CT) zeigen, dass Jules Bianchi schwere Kopfverletzungen erlitten hat. Er wird derzeit operiert und danach weiter intensivmedizinisch betreut.“ Sein Vater sprach von einem „Kopftrauma“.

Augenzeuge Sutil führte wenig später die schlechten Lichtverhältnisse als Grund für die Unfalldoublette an: „Es war ziemlich heikel. Gegen Ende des Rennens wurde der Regen stärker, es wurde dunkler. Die Sicht wurde schlechter, wobei diese Kurve ohnehin eine der schwierigsten ist.“ Der Crash hätte von Weitem ausgesehen wie eine Kopie seines Unfalls. Andere Fahrer meinten, die Bedingungen seien vertretbar gewesen.

Niki Lauda, der ehemalige Weltmeister, sprach hingegen von einer „Verkettung unglücklicher Umstände: Man kann nicht sagen, dass heute irgendetwas falsch gemacht wurde. Es war sehr unglücklich. Ein Auto ist abgeflogen, der Truck ist herausgekommen, und dann ist das nächste Auto abgeflogen.“ Auf dem engen Straßenkurs in Monaco etwa kommen die Bergungsfahrzeuge aus Platzmangel gar nicht erst auf die Strecke; ihre Greifarme reichen über die Leitplanken hinweg.