DLV entscheidet sich gegen die Nominierung des Deutschen Meisters und verweist auf ein Biomechanik-Gutachten. Der 25-Jährige will jetzt rechtliche Schritte prüfen

Frankfurt/Main. Paralympics-Sieger Markus Rehm ist wenige Tage nach seinem spektakulären Weitsprung-Sieg von Ulm auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Der 25-jährige Leverkusener darf nicht als erster Behinderter bei der Leichtathletik-EM in Zürich antreten. „Ich finde es schade und enttäuschend“, sagte er nach der Entscheidung des Deutsche Leichtathletik-Verbandes (DLV) am Mittwoch in Frankfurt/Main. Biomechanische Messungen der Weitsprünge von Rehm und seines Konkurrenten Christian Reif bei den deutschen Meisterschaften hätten erhebliche Bedenken an einer Chancengleichheit geweckt.

„Die in Ulm gemessenen Werte zeigen auf, dass sich Anlauf und Absprung signifikant unterscheiden. Es besteht der deutliche Zweifel, dass Sprünge mit Beinprothese und mit einem natürlichen Sprunggelenk vergleichbar sind“, erklärte DLV-Präsident Clemens Prokop. Er betonte: „Wir leben die Inklusion. Die Grenze der Inklusion ist die Vergleichbarkeit der Leistung, die Chancengleichheit im Wettkampf.“

Der unterschenkelamputierte Rehm hatte bei den nationalen Titelkämpfen am Samstag mit 8,24 Metern gewonnen. Entgegen seiner Ankündigung, den DLV-Beschluss zu akzeptieren, hält er sich nach seiner Nichtnominierung weitere Schritte offen. „Wenn es eine kluge Entscheidung ist, ist das keine Option. Wenn ich Zweifel an der Begründung habe, werde ich mich beraten“, sagte Rehm. Die biomechanische Analyse könne keine Grundlage für seine Nichtberücksichtigung sein: „Das halte ich für schwierig und unseriös.“ Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) respektiert und bedauert die Nichtnominierung Rehms. „Es ist schade, ich hätte dem DLV gewünscht, mutiger zu sein“, sagte DBS-Vizepräsident Karl Quade und kritisierte: „Aus meiner Sicht ist die Untersuchung in Ulm keine solide Basis. Dass man daraus valide ableiten kann, Markus Rehm hätte einen Vorteil, weiß ich nicht.“

Enttäuscht zeigte sich auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung über die Nichtnominierung. „Ich finde es schade und nicht glücklich, dass die Entscheidung so gefallen ist“, erklärte Verena Bentele. „Das ist kein guter Umgang mit der Leistungsfähigkeit von Behinderten, was ich sehr irritierend finde.“

Rehm könnte nun den Rechtsausschuss des DLV anrufen, wenn er gegen die Nichtnominierung juristisch vorgehen will. Noch nicht entschieden, aber davon auszugehen ist, dass der Weitspringer seinen Titel von Ulm an Reif abgeben muss.

Im Fall Rehm hatte der DLV nicht nur zu entscheiden, ob seine Nominierung im Sinne der Chancengleichheit gerecht ist. Vielmehr ging es auch um den dritten EM-Startplatz, für den ebenso Julian Howard aus Karlsruhe die Normanforderungen erfüllte. Der Meisterschaftsdritte hatte zwar die A-Norm für die EM mit 8,04 Metern um einen Zentimeter verfehlt, in Ulm aber mit 7,90 Metern sein Leistungsvermögen bestätigt. „In Abwägung der Umstände und dass er die Norm knapp verfehlte, haben wir Howard nominiert“, sagte Prokop. Unstrittig war die EM-Berufung des früheren und des aktuellen Europameisters, Christian Reif (Rehlingen) und Sebastian Bayer (Hamburg).

Eine Grundlage der DLV-Entscheidung gegen eine Berücksichtigung Rehms waren die biomechanischen Messungen seiner Sprünge in Ulm. Dabei stellten die Trainingswissenschaftler des Olympiastützpunkte Frankfurt/Main fest, dass es bei Anlauf und Absprung zwischen Prothesenträger Rehm und dem mit 8,20 Meter nahezu gleich weit gesprungenen Reif erhebliche Unterschiede gibt. Rehm sei langsamer angelaufen, habe aber eine „überdurchschnittlich hohe Vertikalgeschwindigkeit beim Verlassen des Bodens“ gehabt. Dies könnte auf einen möglichen Katapulteffekt der Karbon-Feder der Prothese schließen lassen. Laut Chef-Bundestrainer Idriss Gonschinska haben die Messungen ergeben, dass Rehm beim Absprung eine Geschwindigkeit von 9,73 Meter/Sekunde hatte und Reif von 10,74.