Deutschlands größtes Tennistalent gewinnt Hamburger Lokalderby in drei Sätzen und steht am Rothenbaum im Halbfinale

Hamburg. Es fielen Worte wie „routiniert“, „megacool“ und „abgewichst“, und wer am Freitagmittag den ersten Satz des Hamburger Viertelfinalduells am Rothenbaum gesehen hatte, der hätte wohl nicht glauben können, dass es ein 28-Jähriger war, der diese Worte wählte, um die Leistung eines 17-Jährigen zu beschreiben. Mit 6:0 hatte Tobias Kamke, immerhin deutscher Daviscupspieler und Nummer 83 der Weltrangliste, den ersten Durchgang nach 21 Minuten für sich entschieden, und es sah ganz danach aus, als würde Alexander Zverev ruckartig aufwachen aus seinem Traum.

Doch was dann folgte, nämlich zwei Satzgewinne für Zverev mit 7:5 und 6:3 nach insgesamt 124 Minuten Spielzeit, war eine Demonstration mit doppeltem Lehrwert. Zum einen bewies Zverev zum vierten Mal bei diesem Turnier, warum er als größte deutsche Tennishoffnung seit Boris Becker und Michael Stich gilt. Zum anderen unterstrich Kamke, warum er den Sprung in die besten 50 der Welt auch nach jahrelangem Anrennen nicht schafft. Wer als routinierter Spieler einen mental am Boden liegenden Youngster mit so vielen leichten Fehlern wieder ins Spiel holt und sich schließlich selbst als Nervenbündel präsentiert, der muss sich nicht wundern, wenn der Generationenwechsel im deutschen Herrentennis schneller vollzogen wird, als es viele für möglich gehalten hatten.

Immerhin war Kamke, der bis einschließlich des ersten Satzes am Freitag ein starkes Turnier gespielt hatte und mit der erstmaligen Viertelfinalteilnahme bei seinem Heimspiel grundsätzlich zufrieden sein durfte, ehrlich genug, sein Versagen einzugestehen. „Ich habe einen überragenden ersten Satz gespielt, aber ihm dann die Chance gegeben, wieder zurück ins Match zu kommen. Auch wenn er Respekt dafür verdient, wie er dann gespielt hat: Ich habe viel zu viele leichte Fehler gemacht“, sagte er. Das sah Turnierdirektor Stich ähnlich: „Wenn Tobi sein Spiel konsequent durchzieht, gewinnt er das Match. Aber die unglaubliche Geschichte von Sascha ist für das Turnier natürlich super.“

Das sieht auch Patrik Kühnen so. Der 48-Jährige, von 2003 bis 2012 Daviscup-Teamchef und heute in Dubai für das Versicherungsunternehmen FWU als Berater für Leistungssportler tätig, ist von der Entwicklung Zverevs begeistert. „Ich kenne die Familie Zverev schon lange, Mischa hat ja unter meiner Leitung Daviscup gespielt. Sie bieten Alexander ein perfektes Umfeld, und das zahlt sich jetzt aus“, sagt er.

Patrik Kühnen sieht Zverevs Umfeld als Garant für die starke Leistung an

Zverev habe in den vergangenen Tagen ein ungeheures Selbstbewusstsein aufgebaut. In München, wo Kühnen Turnierdirektor ist, hatte er Ende April noch 1:6, 2:6 gegen den Österreicher Jürgen Melzer verloren. „Danach habe ich ihm gesagt, dass er geduldig bleiben und das Positive sehen soll. Ich habe ihm geraten, sich alles zu notieren, was er besser machen will. Das hat er in Hamburg bislang perfekt umgesetzt. Seine Entwicklung ist sensationell!“

Keine Frage: Zverev, den die Herrentennisorganisation ATP auf ihrer Homepage als „Wunderkind“ rühmt, ist die Sensation der Woche. Er ist der erste 17-Jährige seit dem Kroaten Marin Cilic 2006 im schweizerischen Gstaad, der im Halbfinale eines ATP-Turniers steht, und wer ihm nach dem Match zuhörte, der konnte sich erneut des Eindrucks nicht erwehren, dass da ein neuer Star heranwächst, der sich schon jetzt deutlich reifer präsentiert, als man es von einem Teenager auf Abenteuertour erwarten dürfte. Er habe, sagte der 196 cm lange Aufschlagriese, nach dem verlorenen ersten Satz sein Spiel etwas variiert, „ein paar hohe Bälle und mehr Spin gespielt, um ihn aus dem Konzept zu bringen“. So einfach kann Tennis manchmal sein, wenn der Gegner mitspielt. Zverevs Schlägerwerfen im ersten Satz, das zornige Hadern und Zaudern, all das war da längst vergessen.

Zverev scheute sich noch, von einem Generationenwechsel zu sprechen, zu viel Respekt hat er vor Kamke, den er seit Kindertagen aus dem gemeinsamen Heimatverein Uhlenhorster HC kennt. Aber dass er ihn, nach dem Erstrundensieg beim Challengerturnier in Braunschweig, nun innerhalb von 18 Tagen zweimal besiegt hat, ist ein deutliches Zeichen. „Tobi steht immer noch viel höher als ich in der Weltrangliste, er ist der bessere Spieler. Wenn ein paar Bälle anders fallen, kann ich heute auch verlieren“, sagte der von 6000 Fans umjubelte Jungstar. Nun aber steht er im Halbfinale, an diesem Sonnabend (18 Uhr) gegen den Spanier David Ferrer, und der Traum hält an.