Deutschlands bester Profi Philipp Kohlschreiber spaltet die Tennisfans. Er will die Kritiker mit Leistung überzeugen – auch am Rothenbaum

Hamburg. Für den Mann, der nur noch sportlich für Schlagzeilen sorgen will, war der Mittwoch am Rothenbaum ein guter Tag. Philipp Kohlschreiber spielte schönes Tennis, die rund 4000 Zuschauer auf dem Centre-Court (insgesamt kamen 7500 auf die Anlage) freuten sich über seinen Auftritt und spendeten ihm mehrfach Szenenapplaus. Als der Augsburger nach 85 Spielminuten seinen ersten Matchball verwandelt, den portugiesischen Qualifikanten Gastao Elias mit 7:5, 6:1 bezwungen und sich damit für sein Achtelfinal-Rendezvous mit dem französischen Ex-Hamburg-Sieger Gilles Simon qualifiziert hatte, da wirkte der 30-Jährige befreit wie einer, dem ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg gelungen ist, eine Mission zu erfüllen.

Die Mission, auf der Kohlschreiber sich befindet, ist die eines Mannes, der sich unverstanden fühlt und falsch beurteilt und der nun versucht, mit der trotzigen Fokussierung auf das, was er am besten kann, seinen Ruf aufzupolieren. Nachdem sich der in der Weltrangliste einen Platz verbessert auf Rang 25 geführte Tommy Haas mit seiner schweren Schulterverletzung für Monate abgemeldet hat, ist Kohlschreiber wieder der aktuell beste deutsche Tennisprofi. Der, über den Fans und Experten am kontroversesten diskutieren, ist der Bayer schon lange.

Spätestens seit Anfang Februar der Daviscup-Eklat – als aus Verletzungsgründen keiner der drei deutschen Topspieler Haas, Kohlschreiber und Florian Mayer zum bedeutungslosen dritten Einzel gegen Spanien antreten wollte und so die Fans in Frankfurt am Main nachhaltig verärgert wurden – Kohlschreiber angelastet wurde, gilt er vielen als unverbesserlicher Egoist. Daviscup-Kapitän Carsten Arriens bootete ihn für die Viertelfinalpartie in Frankreich Anfang April aus und war damit schon der zweite Bundestrainer nach Patrik Kühnen, der sich mit dem Augsburger überwarf. Schon als Kohlschreiber 2012 vor den Olympischen Spielen in London seine Teilnahme wegen einer Verletzung kurzfristig absagte, war der Aufschrei groß. Seit dem Daviscup-Desaster halten ihn viele für einen vaterlandslosen Gesellen, der sich nur um sein eigenes Fortkommen schert.

Die Frage ist, ob das für einen Individualsportler eine schlechte Eigenschaft ist. Tatsächlich wirkt es seltsam, dass der Bayern-München-Fan unter Arriens im Bundesligateam von Kurhaus Aachen zu großen Leistungen fähig ist, für die Daviscup-Mannschaft jedoch nicht mehr infrage kommen soll. Arriens bestätigt, dass er „mit Philipp ein absolut professionelles Verhältnis“ hat. Im Konzept der Verjüngung des Teams scheint dennoch kein Platz für den besten deutschen Spieler zu sein. Und vielleicht ist es sogar ganz bequem, einen Sündenbock zu haben, um vom eigenen Versagen ablenken zu können. Die Vorkommnisse im Daviscup sind nie öffentlich aufgearbeitet worden, um keine Schlammschlacht zu verursachen. Möglicherweise ist Kohlschreiber nicht nur Täter, sondern auch Opfer.

Außer Frage steht, dass er ein außergewöhnlich guter Tennisspieler ist, aber dass man ihn nicht liebt in Sport-Deutschland, trifft ihn tief. Er würde das öffentlich nicht eingestehen, und vielleicht ist das Teil des Problems. Kohlschreiber ist ein angenehmer, umgänglicher Mensch, wenn man ihm im kleinen Kreis begegnet. Aber vor größerem Publikum wirkt er oft seltsam emotionsarm und spröde. Als er vorm diesjährigen Rothenbaum-Gastspiel gefragt wurde, warum er im vergangenen Jahr abgesagt hatte und ob es nicht ein Muss für die besten deutschen Spieler sei, beim wichtigsten deutschen Turnier anzutreten, sagte er nur: „Müssen tue ich gar nichts.“ In solchen Momenten möchte man ihn schütteln.

Stephan Fehske ist Kohlschreibers Manager und seit einigen Monaten in Personalunion auch sein Trainer. Die Vorwürfe, Kohlschreiber sei Opfer schlechter Beratung, treffen Fehske, er sagt aber: „Wenn ich Philipp helfen kann, indem ich die Kritik abfange, tue ich das gern.“ Natürlich habe man auch Fehler gemacht in der Kommunikation, nicht zuletzt deshalb ist seit Kurzem auch ein PR-Berater im Team. „Aber“, sagt Fehske weiter, „es gibt in Deutschland eine Erwartungshaltung, der sich Philipp verwehren muss.“ Zwar spiele sein Schützling sehr gern für sein Land, „aber nur, wenn er sich auch in der Form fühlt, das Beste geben zu können. Und das war weder bei Olympia noch im Februar im Daviscup der Fall.“

Kohlschreiber selbst räumt ein, „dass es in der Vergangenheit einige Themen gab, die mich zum Nachdenken gebracht haben“. Er sei selbstverständlich nicht frei von Schuld, „aber ich versuche keine Kraft mit der Vergangenheit zu vergeuden“. Nur mit sportlicher Leistung könne er verlorene Sympathien zurückgewinnen. Gerade in Deutschland spielt Kohlschreiber oft stark, vier seiner fünf Turniersiege auf der ATP-Tour gelangen auf heimischem Boden, zuletzt im Mai in Düsseldorf. „Darum geht es ihm: Dass die deutschen Fans ihn als guten Tennisspieler wahrnehmen“, sagt Fehske. An dieser Mission gilt es nun weiter zu arbeiten.