Lokalmatador Alexander Zverev und Österreichs Dominic Thiem begeistern die Tennisfans in Hamburg. Die Karrierewege der beiden Newcomer ähneln sich.

Hamburg. Der erste Sieg auf der ATP-Tour ist für jeden Tennisprofi ein unvergessliches Erlebnis. Alexander Zverev wird sich an die 58 Minuten seines Lebens, die als Meilenstein seiner Karriere bleiben werden, mit großem Vergnügen erinnern. Als der 17 Jahre alte Hamburger am Dienstagnachmittag vor rund 4000 Fans auf dem Centre-Court am Rothenbaum seinen zweiten Matchball nutzte, um den zehn Jahre älteren Niederländer Robin Haase mit 6:0 und 6:2 zu demütigen, da stand fest, dass die Euphorie um den neuen Hoffnungsträger des deutschen Herrentennis neue Nahrung erhalten hatte.

Besonders die abgeklärte Art, mit der der weltbeste Juniorenspieler der vergangenen Saison Haase, immerhin an Position 51 der Weltrangliste und damit 234 Plätze höher als sein Bezwinger eingestuft, laufen ließ, erstaunte und begeisterte die Beobachter gleichermaßen. Zverev, dessen Bruder, der frühere Daviscupspieler Mischa, 26, nach einer Handgelenksoperation mit eingegipstem linkem Arm in der VIP-Loge mitfieberte, brillierte mit seiner hart und präzise platzierten Vorhand, schlug souverän auf und nutzte die sich ihm bietenden Breakchancen mit einer Ruhe, als würde er seit Jahren nichts anderes tun. „Hier in Hamburg meinen ersten ATP-Sieg zu schaffen, das ist etwas ganz Besonderes. Die Aufregung war weg, als ich das erste Spiel gewonnen hatte“, sagte er.

In der zweiten Runde wartet an diesem Mittwoch mit dem Weltranglisten-22. Michail Juschni aus Russland zwar ein anderes Kaliber als der überforderte Haase, dennoch rechnet sich der 196-cm-Schlaks, der in Hamburg von seiner kompletten Familie unterstützt wird, gute Chancen aus, das Achtelfinale zu erreichen. „Wenn ich so spiele wie heute, ist ein Sieg möglich. Ich muss aber schauen, wie ich das heutige Erlebnis verkrafte“, sagte er.

Zwei, die wissen, was Zverev zu verarbeiten hat, sind Jiri Vesely und Dominic Thiem. Der Tscheche und der Österreicher standen im Januar 2011 und damit drei Jahre vor Zverev gemeinsam an der Spitze der Juniorenweltrangliste, ehe sie den Sprung in den Profibereich wagten. Nach harten Monaten mit vielen Erstrundenpleiten auf der viertklassigen Futureturnierserie hatten sie in kleinen Schritten Fuß gefasst im Rennen der Weltbesten. Aktuell steht Vesely, der vor fünf Tagen seinen 21. Geburtstag feierte, an Position 68 der Weltrangliste, der wenige Monate jüngere Thiem ist 13 Plätze höher notiert.

Vesely, der im vergangenen Jahr von der Herrentennisorganisation ATP mit dem „Star of Tommorow“-Preis ausgezeichnet worden war, hatte sich beim Übergang von den Junioren zu den Profis körperlich und mental umstellen müssen. „Für mich war es vor allem hart, auf einmal so viel zu verlieren. Das war ich von den Junioren einfach nicht gewohnt“, sagt er. Um sich auf das physisch viel anspruchsvollere Spielniveau einzustellen, versuchte er so oft wie möglich im tschechischen Verbandszentrum in Prostejov mit Stars wie Tomas Berdych oder Radek Stepanek zu trainieren. „Die haben mir wertvolle Tipps gegeben und mir vor allem immer wieder Mut gemacht, trotz der Niederlagen nicht aufzugeben“, sagt er.

Mit 17 konnte Vesely, der in Niedersachsen aufwuchs und perfekt Deutsch spricht, sein erstes Futureturnier gewinnen. Er vergleicht diesen Moment mit Zverevs Triumph beim Challengerturnier in Braunschweig Anfang Juli. „Damals hat sich in meinem Kopf etwas bewegt. Ich wusste, dass ich mit den Profis mithalten kann. Von da an fiel mir alles leichter“, sagt er.

Dominic Thiem kann den Moment, der bei ihm den Schalter im Kopf umlegte, noch genauer eingrenzen. Es war im vergangenen Jahr beim Heimturnier in Kitzbühel, als er in der zweiten Runde Jürgen Melzer schlagen konnte, Österreichs Frontmann, zu dem er bis dahin aufgeschaut hatte. „Jürgen war zwar nicht in Topform, dennoch war das für mich ein unglaublicher Moment, vergleichbar mit dem Sieg, den Zverev in Braunschweig gegen Tobias Kamke geschafft hat“, sagt der Wiener.

Spätestens seit er Anfang Mai beim Masters in Madrid den Weltranglistendritten Stanislas Wawrinka (Schweiz) besiegte, gilt Thiem als Shootingstar. Nach seinem glatten Zweisatzsieg über Vesely im pikanten Erstrundenduell am Rothenbaum bezwang er am Dienstag den an Position acht gesetzten Spanier Marcel Granollers mit 2:6, 6:3, 7:5 und zog ins Achtelfinale ein. Sein Erfolgsrezept sei gewesen, die Challengerserie schnell zu überspringen und sich bei den ATP-Turnieren durch die Qualifikation zu kämpfen. „Matches gegen die Besten bringen am meisten, und wenn man dann ein paar Siege schafft, ist das Selbstvertrauen da. Anfangs habe ich meine Gegner viel stärker wahrgenommen, als sie manchmal waren. Aber mit den ersten Siegen wurde der Respekt kleiner, und das hat mir unheimlich geholfen“, sagt er.

An Selbstvertrauen hat es Alexander Zverev dagegen noch nie gemangelt. Im vergangenen Jahr, als er in Hamburg bei seinem Hauptfelddebüt dem Spanier Roberto Bautista Agut in zwei Sätzen unterlag, war die ATP-Tour noch eine Nummer zu groß. In diesem Jahr antwortete der Youngster auf die Frotzelei von Turnierdirektor Michael Stich, er könne ihn ja auf dem kleineren Platz 1 ansetzen, um die Aufregung zu mildern: „Auf keinen Fall, ich muss auf den größten Showcourt.“ Dort wird man ihn, sollten sich nicht alle Experten täuschen, in den kommenden Jahren noch sehr viel häufiger sehen.