Der Hamburger Hockey-Nationalspieler Oliver Korn lag Anfang des Jahres mit einem lebensbedrohlichen Blinddarmdurchbruch im Krankenhaus. Nun hat er sich zur WM ins Nationalteam zurückgekämpft.

Hamburg. Diesen Spruch, dass die Gesundheit das höchste Gut ist, hatte Oliver Korn oft gehört und doch selten ernst genommen. Als Leistungssportler denkt man nicht gern über Dinge nach, die einen mental runterziehen, man lernt, mit Schmerzen zu leben und über Grenzen zu gehen. In den vergangenen Wochen jedoch hat der 29-Jährige den Ernst dieser Worte zu spüren bekommen, nicht nur seine Hockeykarriere hätte beendet sein können, sondern sogar sein Leben. Und so darf man dem Mittelfeldspieler vom Uhlenhorster HC glauben, wenn er vor dem Start der WM in den Niederlanden an diesem Sonnabend sagt: „Dass ich es zur WM geschafft habe, ist fast unglaublich. In erster Linie bin ich froh, dass ich es überhaupt überstanden habe.“

Die Leidensgeschichte, die der gebürtige Düsseldorfer mit dem Wort „es“ umschreibt, begann im Juni 2013. Nach dem World-League-Turnier in Malaysia klagte er über ein Ziehen im Bauch und eine Beule in der Blinddarmregion. Weil einige Entzündungswerte im Blut extrem hoch waren, befürchtete man eine aus Asien eingeschleppte Virusinfektion. Doch weder im Krankenhaus noch im Tropeninstitut wurden die Ärzte fündig, und weil die Beschwerden nach einigen Wochen abklangen, spielte Korn Ende August die EM in Belgien und ging anschließend mit Ehefrau Nora auf eine ausdehnte Australien- und Karibikreise.

Vier Tage nach der Rückkehr am Neujahrstag 2014 flog er mit dem Nationalteam nach Indien, wo die Bauchbeschwerden erneut auftraten. Einen Tag nach der Landung in Hamburg musste Korn am Blinddarm operiert werden. Dabei stellten die Mediziner fest, dass dieser chronisch entzündet war und schon vor Monaten durchgebrochen sein musste. Das Immunsystem eines trainierten Athleten ist in der Lage, einen solchen Entzündungsherd eine Zeitlang mit einer Art Hülle im Griff zu halten, doch irgendwann kollabiert es, und so war es auch bei Korn. Fünf Tage nach der Operation entzündete sich das Bauchfell, er musste zwei weitere Male operiert werden und lag dazwischen mit „den schlimmsten Schmerzen meines Lebens“ auf der Intensivstation. „Ich konnte nicht atmen und keine Bewegung machen, ohne dass es höllisch weh tat“, erinnert er sich.

Nach 18 Tagen Krankenhaus wurde er mit 67 Kilogramm Körpergewicht entlassen. Das Kampfgewicht des drahtigen Dauerläufers, der vor allem durch seine Athletik besticht, liegt bei einer Größe von 1,80 Meter bei 77 Kilo. „Ich hatte zehn Kilo Muskelmasse verloren und war am Nullpunkt. Als ich mit dem Rad einmal um die Alster fuhr, fühlte ich mich wie ein 100-Jähriger“, sagt er. Die Leidenszeit war längst nicht überstanden, vier Wochen nach der Entlassung entzündete sich der Dickdarm. Es folgten fünf weitere Tage Krankenhaus, danach musste er erneut von vorn mit dem Aufbautraining beginnen. „Erst seit Anfang April fühle ich mich so gut, dass ich wieder voll trainieren kann“, sagt er.

Natürlich hat Oliver Korn noch nicht wieder das Niveau erreicht, das ihn zur unverzichtbaren Größe im Nationalteam gemacht hat. Aber dass er der Mannschaft trotzdem helfen kann, hat er Mitte Mai bei der WM-Generalprobe in Düsseldorf gespürt. Dass Bundestrainer Markus Weise das genauso sieht, unterstrich die Nominierung, mit der Korn zeitweise längst abgeschlossen hatte. „Ich hätte verstehen können, wenn Markus das Risiko zu groß gewesen wäre“, sagt er. Es gibt ja genug Menschen, die ihn für verrückt halten, dass er sich die Belastungen einer WM-Vorbereitung überhaupt wieder angetan hat. „Aber ich habe nichts ohne das Anraten meiner Ärzte gemacht“, sagt er. Er könne niemandem einen Vorwurf für seine Tour der Leiden machen; sich selbst nicht, weil er ja kaum Symptome gespürt und sich zwischendurch, als er wieder trainierte, gut gefühlt habe. Und auch den Ärzten nicht, die den Blinddarmdurchbruch übersehen hatten. „Das kann wohl passieren, wenn zu viel Luft im Bauch ist“, sagt er.

Es ist dieser Pragmatismus, der es Korn ermöglicht, ganz nüchtern das Für und Wider abzuwägen. Er ist kein Typ für Sentimentalitäten, keiner, der sich selbst wichtig nimmt. Am meisten hätten ihm seine engsten Angehörigen leid getan. „Die wussten, wie schlecht es um mich stand, als ich auf der Intensivstation lag. Ich selbst habe erst im Nachhinein erfahren, dass an so etwas auch gesunde junge Menschen sterben, deshalb hatte ich nie Todesangst oder auch nur die Sorge, dass ich es im Hockey nicht mehr packe“, sagt er. Dass Ehefrau Nora ihre Schwangerschaft wegen seiner Krankheit nicht genießen konnte, macht ihn traurig, aber als Ende April Sohn Titus, ihr erstes Kind, gesund zur Welt kam, war das wie ein Zeichen, „dass das Leben weitergeht und ich das genießen soll“, sagt er.

Nun also geht es zur WM. Oliver Korn fehlen noch immer einige Kilo Muskelmasse, auch die Wettkampfhärte, die man für sieben Spiele auf Topniveau innerhalb von 14 Tagen braucht, hat er noch nicht. Geblieben ist ihm sein eiserner Wille, alles aus sich herauszuholen, aber er weiß, dass er sich zügeln muss. Er hat ein vernarbtes Bauchgewebe, das an manchen Tagen zwickt. Er muss schwer verdauliche Kost meiden, weil die Darmflora durch monatelange Antibiotikagabe komplett zerstört ist. Gesundheit ist das höchste Gut, diesen Spruch muss er ernst nehmen.