Philemon Rono bereitete Wilson Kipsang als Tempomacher den Weg zum Marathon-Weltrekord. Am Sonntag will der Kenianer in Hamburg selbst triumphieren

Hamburg. Seit Philemon Rono und John Mwangangi am Donnerstagnachmittag auf der Dachterrasse des Radisson-Blu-Hotels waren, sollten sie wissen, was Hamburg alles zu bieten hat. Vom 26. Stock genießt man einen grandiosen Überblick über die Sehenswürdigkeiten der Stadt. In etwa 100 Meter Höhe fühlt sich allerdings auch der Nieselregen unangenehmer an als ohnehin schon, die ortsübliche Brise lässt die beiden Kenianer frösteln.

„Hoffentlich scheint am Sonntag die Sonne“, sagt Rono. Er wird dann zwar seinen Blick stur nach vorn richten auf seinen 42,195 Kilometern durch die Stadt. Aber wenn sein Marathondebüt ein gelungenes werden soll, kann er Kälte nicht gebrauchen. 2:06 Stunden hat er sich vorgenommen. Eliud Kipchoges Streckenrekord aus dem Vorjahr liegt nur eine halbe Minute darunter. Dass er mit seinem Landsmann und Trainingskollegen prinzipiell mithalten kann, weiß Rono seit dem vergangenen Herbst. Damals machte er in Berlin 30 Kilometer lang Tempo für Kipchoge und Wilson Kipsang. Kipsang siegte in Weltrekordzeit von 2:03:23 Stunden, Kipchoge wurde in 2:04:05 Zweiter.

Aber 30 Kilometer laufen und einen Marathon, „das ist ein gewaltiger Unterschied“, sagt Mwangangi, 25. Er hat bereits zwei Marathons bestritten und weiß: „Die Erschöpfung kommt normalerweise erst nach 36 Kilometern.“ Für den Haspa-Marathon wurde er als Tempomacher verpflichtet. In etwa 63:15 Minuten soll er die 15-köpfige Spitzengruppe über die Halbmarathonmarke führen. „Das reicht in Hamburg normalerweise immer noch für eine Spitzenzeit, weil die zweite Streckenhälfte deutlich weniger eng und kurvig ist“, sagt Jurrie van der Velden, der die afrikanischen Spitzenathleten in Hamburg betreut.

Auf Rono, 23, ruhen notgedrungen die Hoffnungen von Marathon-Veranstalter Frank Thaleiser und seinem sportlichen Leiter Jos Hermens. Die eigentliche Nummer eins, Martin Lel, hatte sich wegen einer Verletzung abgemeldet, vergangene Woche auch Äthiopiens Lauflegende Haile Gebrselassie wegen einer Pollenallergie. Zuletzt musste der ersatzweise verpflichtete Tilahun Regassa absagen, weil ihn seine am Ostermontag in Boston erlittene Knieverletzung noch zu sehr behindert.

Rono bringt alle Voraussetzungen mit, um zu den vielen Spitzenläufern Kenias aufzuschließen. Im vergangenen Jahr wurde er Landesmeister im Crosslauf, bei den Afrikameisterschaften belegte er den dritten Platz. Er ist den langen Weg durch die Distanzen gegangen, den auch Mwangangi und die meisten anderen erfolgreichen Marathonläufer gegangen sind: hat mit dem 3000-Meter-Lauf angefangen und die Entfernungen dann nach und nach gesteigert. Seit zwei Jahren wird er als sogenannter Hase bei Marathons engagiert. Das Geld, das er dabei zusätzlich zu seinem Sold als Polizist verdient, reicht, um Frau und Kind zu ernähren. Aber die üppigen Preisgelder gibt es nur für die, die auch im Ziel vorn platziert sind. Seit vier Monaten bereitet sich Rono auf diesen Lauf vor.

Mwangangi, Gefängnisaufseher von Beruf, will beim Amsterdam-Marathon im Oktober wieder durchlaufen. Wie lange er am Sonntag im Rennen bleibt, ob 30 oder sogar 35 Kilometer wie kürzlich in Rotterdam, mache er davon abhängig, wie stark er sich fühle. Und wenn er sich nach 35 Kilometern immer noch stark fühlt? „Dann laufe ich durch“, sagt Mwangangi, „wenn es erlaubt ist.“ Van der Velden nickt.