Robert und Artem Harutyunyan sind Hamburgs größte Olympiahoffnungen im Faustkampf – sie treten anders als die Klitschkos in verschiedenen Gewichtsklassen an.

Hamburg. Das Einzige, was sie trennt, sind vier Kilogramm, und das ist gut so, denn sonst hätten Robert und Artem Harutyunyan ein ziemlich hässliches Problem. Ihrer Mutter haben sie versprochen, dass sie niemals gegeneinander in den Ring steigen werden, ganz so, wie man es von den berühmtesten Boxbrüdern der Welt, Vitali und Wladimir Klitschko, kennt. Aber weil der olympische Faustkampf brutal ist und nur der Beste seiner Gewichtsklasse Deutschland bei den großen internationalen Turnieren vertreten darf, sind die vier Kilo Gewichtsunterschied ein Segen. Robert, 24, kämpft im Leichtgewicht bis 60 Kilogramm, sein ein Jahr jüngerer Bruder Artem im Halbweltergewicht bis 64 Kilo, und weil beide national zur absoluten Spitze zählen, durften sie im vergangenen Jahr erstmals gemeinsam zur Weltmeisterschaft nach Kasachstan reisen.

Wer den in Armenien geborenen und seit 1991 in Hamburg aufgewachsenen Brüdern gegenübersitzt, der kann spüren, was ihnen solche Erlebnisse bedeuten. Sie haben ja immer schon alles gemeinsam gemacht. Als Sechsjährige hatten sie, beeinflusst vom Vater, der im Sowjetmilitär Karatetrainer war, mit Taekwondo begonnen, fünf Jahre später beim SV Lurup das Box-ABC erlernt. Und als 2010 der Lockruf vom Olympiastützpunkt in Schwerin kam, folgten sie diesem beide. Seit drei Jahren leben sie in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt, natürlich in einer gemeinsamen Wohnung. Die Arbeit wird brüderlich geteilt, Robert macht die Wäsche, Artem ist der Chefkoch. Beide trainieren unter dem langjährigen Profi-Weltmeistercoach Michael Timm, selbstverständlich in derselben Trainingsgruppe. Und wenn wirklich kein anderer Partner mehr da ist, machen sie sogar gemeinsam Sparring. „Aber das ist ein bisschen so, als würde ich mich selbst schlagen“, sagt Artem.

Treu zueinander stehen, Verbundenheit zeigen – das scheint im Leben der Harutyunyans das Leitmotiv zu sein. Noch immer starten sie für ihren Hamburger Verein TH Eilbeck, jedes wettkampffreie Wochenende verbringen sie in Hamburg, bei ihren Eltern in der Schanze oder mit Freunden; sie veranstalten regelmäßig Wohltätigkeitsevents, auf denen Spenden gesammelt werden, die sie in den Anfängen ihrer Karriere selbst gern erhalten hätten. „Wir haben in Hamburg und in Deutschland die Chance bekommen, Erfolg zu haben“, sagt Robert, „das wollen wir jetzt zurückzahlen.“

Am liebsten in Form von Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Das Ticket nach Brasilien ist für beide der große sportliche Traum, dem sie alles unterordnen. Die Chance, dass er in Erfüllung geht, ist da, keine Frage. Beide gehören zu den 16 weltbesten Boxern ihrer Gewichtsklassen, beide stehen im A-Kader der deutschen Nationalmannschaft, beide kämpfen für das deutsche Team in der halbprofessionellen World Series (WSB), das im Viertelfinale am 28. März und 4. April auf Team Kasachstan trifft. Und beide sind für den Chemie-Pokal Ende Mai in Halle an der Saale nominiert, der angesichts fehlender internationaler Höhepunkte im Jahr 2014 als „Mini-WM“ gilt.

Um sich komplett auf den Sport konzentrieren zu können, haben sie das Projekt HB-Boxing gegründet. HB steht für Harutyunyan-Brothers, und hinter dem Label steht ein Netzwerk aus kompetenten Partnern wie ihrem Hamburger Manager Raiko Morales und dessen Cousin Christian Morales, der Landestrainer in Schwerin ist. „Wir suchen nach Unterstützern, die den beiden die letzten 20 Prozent Konzentration ermöglichen, die es braucht, damit sie den Traum von Rio wahr machen können“, sagt Raiko Morales.

Warum sie ihr Leben auf das Boxen ausrichten, das wurde Artem und Robert Harutyunyan spätestens klar, als sie im vergangenen Jahr ihre WM-Debüts feierten. Obwohl sie seit der Auswanderung nur einmal nach Armenien zurückgekehrt waren, wurden ihre Kämpfe dort live im Fernsehen gezeigt. Nachbarn von einst, die jahrelang kein Lebenszeichen von sich gegeben hatten, meldeten sich telefonisch bei den Eltern und waren vor Stolz kaum zu bändigen. „Die verbindende Kraft, die der Sport hat, ist faszinierend“, sagen beide, „dafür lohnt es, jeden Tag hart zu kämpfen.“ Nur miteinander natürlich, nie gegeneinander.