Nach einem mitreißenden Boxkampf in Magedburg beklagt sich Supermittelgewichtler Robert Stieglitz über ein Urteil, das er selbst zu verantworten hatte. Felix Sturm möglicher nächster Gegner für Arthur Abraham.

Magdeburg. Minutenlang hatten sie gestritten. Anfangs noch darüber, wer den Kampf bestimmt und wer die klareren Treffer gesetzt hatte, und warum das Urteil, das Arthur Abraham mit 2:1 Richterstimmen vorn sah, nun gerecht oder ungerecht war. Später dann darum, wer den anderen im Vorfeld schlechter behandelt und warum der eine nur zwei Freikarten bekommen hatte, anstatt seine gesamte Familie kostenlos versorgen zu können. Und im Überschwang der zunehmenden Kleingeistigkeit wäre beinahe in Vergessenheit geraten, was diese lange Magdeburger Nacht für das Profiboxen in Deutschland bedeutet hatte. Kalle Sauerland, dem Mitinhaber des Berliner Sauerland-Teams, gelang es schließlich mit zwei Sätzen, die er ruhig und sachlich aussprach, den Fokus endlich auf das Wichtige zu lenken: „Wir haben einen Superkampf gesehen mit zwei großartigen Kriegern“, sagte er. „Das war Werbung für den Boxsport, die wir gebraucht haben.“

Tatsächlich hatte das dritte Duell zwischen den Supermittelgewichtlern Robert Stieglitz und Arthur Abraham die 7500 Fans in der ausverkauften GETEC-Arena diverse Male von ihren Stühlen gerissen. Was sich die beiden Kämpfer dort im Ring lieferten, war nichts anderes als eine Schlacht mit offenem Visier. Niemand hatte einen Kampf auf technisch höchstem Niveau erwarten dürfen, aber WBO-Weltmeister Stieglitz, 32, und sein Herausforderer Abraham, 34, die als erste Deutsche in der Boxgeschichte zum dritten Mal in einem WM-Duell aufeinandertrafen, lieferten das, was der deutsche Boxfan goutiert: aktionsgeladene zwölf Runden, Fuß an Fuß, Faust auf Faust, ohne Rücksicht auf Verluste weder am eigenen noch am gegnerischen Leib.

Als Stieglitz’ Trainer Dirk Dzemski vor der letzten Runde erfuhr, dass sein Schützling hinten lag, war er geschockt. Nur deshalb, klagte er später, habe Abraham die Chance bekommen, den Champion mit einer harten Kombination zum Kopf auf die Knie zu zwingen. „Normalerweise hätte ich Robert geraten, dass er den Kampf ruhig nach Hause boxt. So musste er aber noch einmal Risiko gehen, und das hat Arthur ausgenutzt“, sagte Dzemski. Dass die Punktrichter Paul Thomas aus England (115:110) und Clark Sammartino aus den USA (114:111) den Herausforderer klarer vorn sahen, als es allein die wegen des Niederschlags mit 10:8 für Abraham gewertete Schlussrunde ergeben hätte, war für Stieglitz schlicht „Betrug. Ich habe diesen Kampf nicht verloren, habe maximal vier Runden abgegeben.“ Promoter Ulf Steinforth, Chef des gastgebenden SES-Stalles, sagte: „Robert hat diesen Kampf gewonnen. Für mich ist es ein Fehlurteil.“

Stieglitz aktiver, Abraham beweglicher

Man muss die Enttäuschung verstehen, schließlich hatte SES 2,3 Millionen Euro investiert, um den Kampf in Alleinregie zum Heimspiel für Stieglitz machen zu können. Dennoch gab es aus neutraler Sicht an der Wertung der beiden Abraham-Unterstützer weniger zu bemängeln als am 113:112, das der US-Amerikaner Michael Pernick für Stieglitz ermittelt hatte. Steinforth hatte den Kampf im Vorfeld in seiner Bedeutung für das Boxen so hoch eingeschätzt wie das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. Bleibt man in der Fußball-Terminologie, dann reicht es einfach nicht, 70 Prozent Ballbesitz zu haben, wenn man die Freistöße alle in die Mauer schießt und so die entscheidenden Treffer verpasst.

Stieglitz war zwar der aktivere Boxer, der über weite Strecken aus der Ringmitte den Kampf diktierte. Doch Abraham, der sich agil und beweglich präsentierte, wie seit seinem Punktsieg im ersten Duell mit Stieglitz im August 2012 nicht mehr, traf wesentlich effektiver. Stieglitz fehlte das Überraschungsmoment, das ihm im zweiten Treffen im März 2013 den vorzeitigen Sieg ermöglicht hatte. Zum einen, weil er nicht so entschlossen wirkte und überhaupt eine klare Linie vermissen ließ. Zum anderen aber auch, weil Abraham viel mehr arbeitete und sich nicht als unbewegliches Ziel hinter seiner Doppeldeckung verschanzte.

+++ Der Kampfverlauf zum Nachlesen +++

„Sehr zufrieden“, sagte Abrahams Trainer Ulli Wegner, könne man sein, „dass wir wieder einen neuen Weltmeister haben!“ Abraham freute sich nach der für ihn ungewohnt langen Vorbereitung über den Effekt, den das Training und vor allem die disziplinierte Ernährung gehabt hatten. Dennoch kündigte er an, beides in den kommenden Tagen schleifen zu lassen. „Ich freue mich, als Weltmeister nach Hause zu gehen und die Bratkartoffeln zu essen, die mir meine Mama macht“, sagte er.

Boxt Abraham jetzt Felix Sturm?

Lange wird der gebürtige Armenier allerdings nicht dem Müßiggang frönen können. Schon am 31. Mai soll er wieder in den Ring steigen. Über mögliche Gegner wollten sich seine Promoter Wilfried und Kalle Sauerland noch nicht konkret äußern. Ein Duell mit IBF-Mittelgewichtschampion Felix Sturm, dessen Manager Roland Bebak bereits Interesse am Sieger des Kampfes von Magdeburg signalisiert hatte, sei durchaus eine Option,.Auch eine Titelvereinigung gegen einen der anderen Weltmeister Sakio Bika (Australien), Andre Ward (USA) oder Carl Froch (England) ist denkbar. Und dann wäre da ja noch die Möglichkeit, die Geschichte fortzuschreiben und Abraham zum vierten Mal auf Stieglitz loszulassen. „Man darf ja nicht vergessen, dass beide Seiten mit der Trilogie gut verdient haben. Wir setzen weiter voll auf Robert, ein vierter Kampf mit Abraham wäre toll“, sagte Ulf Steinforth, und Kalle Sauerland sagte: „Für die nächste Pflichtverteidigung haben wir neun Monate Zeit. Vielleicht ist Robert dann wieder die Nummer eins.“ Unstreitig war an einem Abend voller Diskussionen, dass die deutschen Boxfans nichts dagegen hätten.